Montag, 26. Juni 2023

In Resonanz

Wann leben wir wirklich in Resonanz mit einem Du, das zu uns spricht? Und mit was kann uns dieses Resonanzfeld verbinden, so wir es in echtem Interesse erschliessen? 

Nun echtes Interesse bedarf der inneren Ruhe und von dort her des sich Herauslösen aus Lebenszusammenhängen in denen ich bis soeben noch gestanden oder mich bewegt habe. Interesse beinhaltet somit etwas wie einen Sitzplatz auf einer Aussichtsplattform einzunehmen, einen befreiten Blick sich zu eröffnen auf Neues, das ich so bisher mir nicht vor Augen gestellt habe. Heraus … lösen, Abstand herstellen. Eben Inter … esse aufbauen. Aussteigen aus der eigenen Sichtweise und den Blick öffnen auf …

Interesse stellt sich also nicht von alleine ein. Es fordert die Bereitschaft heraus sich einlassen zu können auf Neues. Und was sich hier in einem ersten Bemühen zunächst zeigt, wie vielfältig verschränkt sich unsere eigene Sichtweise darbietet - wenn wir auf sie hinblicken wollen - wie viele Rückkoppelungsspiegel aus verborgenen Asservaten Kammern wir unversehens bereitzustellen in der Lage sind, nur, um uns ja nicht mit dem Neuen in seiner ganzen Fülle konfrontieren zu müssen. Da ist es doch leichter Vorurteilsgase zu versprühen und sich mit dem Fächer eigen-sinnigen Vermeinens diese Gase wohlgefällig oder besserwisserisch um die eigene Nase streichen zu lassen, statt innerlich das „Bisher“ loszulassen und das Neue mit seiner ganz eigenen Lebensart zu zulassen. Interesse … Augen öffnen, Aufmerksamkeit bereit stellen - ein hoch aktives Unterfangen - das durchaus mit einem leisen Empfinden den Boden unter den Füssen zu verlieren verbunden sein kann.

Wann leben wir also wirklich in Resonanz … ? Wann? Vom Grunde her (Plato Höhlengleichnis) erst dann, wenn wir die Furcht in uns gemeistert haben im Wieder-Hinabstieg in die Höhle  unausweichlich zunächst allein uns selbst zu begegnen. Wie das, Interesse beinhaltet also zu allererst die Überwindung der Furcht vor der Selbstbegegnung mit uns selbst?

Versuch der Annäherung an diese Aussage über ein Beispiel. Ich begebe mich auf eine Internet-Reise nach Japan. Und begegne dort einer etwa 60-jährigen Japanerin bei der Arbeit in ihrem Garten. Kein professionell gedrehtes Video und doch zeichnet die Tochter die tägliche Arbeit ihrer Mutter in einer Weise nach, die berührt und bestürzt zugleich. Diese Frau bewegt sich in einer inneren Verbundenheit durch diesen Garten, in der alles über ihre Hände und Mimik zu sprechen beginnt. Eines geht ins andere über. Und da steht die Libelle auf einer wieder in den Garten integrierten Baumwurzel genau so im Mittelpunkt, wie ein stacheliger Baumsame oder der energische Griff der Frau nach einer schmalen Stechschaufel, um aus Bruchziegeln in der Wiederverwendung einen Gartenweg weiter auszubauen. Jede Bewegung sitzt und selbst die Übergänge zu einem neuen Arbeitsabschnitt sind in sich nicht gebrochen, sondern gestalten sich fliessend aus der inneren Haltung der Frau, die alles im Auge hat und unprätentiös von Innen heraus führt. Selbst die Augenblicke des Verweilen auf einem der zahlreichen verwunschenen Sitzplätze in ihrem Arbeitsreich sind Teil ihrer Verbundenheit mit dem Garten. Sie atmet, lebt und blüht in einem „stillen Rhythmus“ mit ihrem Garten. … Sparsame Musikuntermalung wie gleicherweise deutsche Untertitel wechseln mit Stille, einer immer wieder lange anhaltenden Stille, die durch die Hände dieser Frau wie tönt. Diesen Garten durch die Jahreszeiten zu einem Gesamtkunstwerk werden lässt.

Selbstbegegnung mit der Stille. Wer hält dies wie lange aus und kann diesen Faden der Stille über die Arbeit seiner Hände durch den Tag in sein Arbeitsverhalten wie einweben?

Die Stille am Sonnenaufgangspunkt einer Resonanzfläche hin zum Du. Vielerorts unterdrückt, weil uns die Furcht vor eben dieser Stille wie fortreisst, da wir ihr nicht zu begegnen wissen. Kleine Kinder bieten uns diesen Weg in die Stille selbstloser Teilhabe mit ihrem Tun immer wieder an. Wie reich sind sie. … Wie viel Bereicherung können wir erfahren, wenn wir in solchen Momenten loslassen. Dem Loslassen uns überlassen ohne wenn und aber.

© Bernhard Albrecht H. 26.06.2023

Freitag, 16. Juni 2023

"Der Blick von Nirgendwo" - eine dynamische Denkpotenz

Ist in vielen Lebensbezügen heute nicht eine hintergründig latent beunruhigende Empfindung mehr oder weniger deutlich spürbar, dass der Boden unter den eigenen Füssen wie wegbrechend sich anfühlt? Eher selten wirklich greifbar, aber gerade deshalb - für Augenblicke  - verunsichernd. Augenblicke, die, um nicht aus dem Tritt zu geraten, schnell wieder wie mit einem Schleier überzogen werden. Was hier jedoch für den Moment die Sicherheit wieder herstellen soll, das eigene innere Gleichgewicht aufzufangen sucht, lässt die unterschwellige Furcht vor entscheidend nächsten Schritten mitunter nur wachsen und befördert so unvermeidlich die Entstehung illusionärer Wirklichkeitsverzerrungen in Form von Meinungen, bzw. inneren Einflüsterungen über das was angeblich ist. Die Wirklichkeit der ich mich vom Grund her individuell zu stellen hätte flieht über nicht weiter konkretisierte innere Horizonte. Was bleibt sind augenblickshaft äussere Umklammerungen angeblicher Wirklichkeiten Zuweisungen und aus meiner Vergangenheit unter dem Deckel gehaltene „so ist das eben Sedimente,“ für die ich im Jetzt dieses Augenblicks keine Veranlassung sehe sie neu zu hinterfragen.

Was aber ist meine Wirklichkeit, was ist die Wirklichkeit. Weis ich mich in ihr in aufmerksamer Tateinheit zu verorten oder schwimme ich eher in einem breiten Strom von innen wie zugeflüstertem und von aussen schlichtweg ohne grosses Hinsehen adaptiertem Vermeinen über das was Wirklichkeit - die Wirklichkeit - ist, ohne meinerseits einen eigenständigen Zugriff darauf zu haben. Eigenständiger Zugriff: Leichter gesagt als getan. In einer Welt, die so schnelllebig, mitunter geradezu minutiös getaktet ist, wie kann ich da noch Innenräume in Form von Zeitfenstern bereitstellen um von dort her meinen Zugriff auf Wirklichkeit eigenständig zu bilden? Muss ich da nicht durch vielfältige Schichtungen hindurch auf Meinungssurrogate anderer Menschen zurückgreifen, um wie es so schön heisst mich aus der Wirklichkeit nicht ausgeschlossen zu fühlen oder mindestens an den Rand von Geschehnissen gestellt zu sehen, die ich nur noch unvollständig verstehe. Was ist also Wirklichkeit innerhalb des ständig mich überflutenden Meinungsstromes, mit all seinen Täuschungen, denen ich verfalle weil ich nicht aufmerksam genug bin?

Aufmerksamkeit und Wirklichkeitsfindung: Aufmerksamkeit kann in seiner ganzen Kraft sich nur durch das Tor des Augenblicks freisetzen. Sie ist also von ihrer Kraftentfaltung her, vom Erfahren der ihr innewohnenden Kraftpotenz das Momentum fliesender Unmittelbarkeit. Die fliessende Unmittelbarkeit ihrerseits ist der innere Zustand - so ich mich auf einen derartigen Weg einlassen kann - der über punkthaft verdichtete Konzentration hinausreichend mich an die innere Sphäre der Hoch-Wachheit heranführt. Die in mir jene tiefere Gegenwärtigkeit zur Anwesenheit bringt durch die ich bewegt in unmittelbarer Bewegung mich erfahre. Mir die Augen in fliessender Teilhabe für alles was immer sich mir in meinem unmittelbaren Blickfeld zeigt öffnet, soweit ich interessierte Offenheit dafür bereitstelle. Die Augen für das Wesentliche im Wirklichen des Augenblicks weitet und die konstituierenden Kräfte des Geistes hinter äusseren Wirklichkeitsschleiern mehr und mehr sichtbar werden lässt. Geübte Aufmerksamkeit erschliesst mithin als Wesentliches die Geistessphäre im - bewegt erhöhten Augenblick, - was von der inneren Verfahrensweise her kein übersinnlicher Vorgang ist, sondern ein Verfahren, das letztlich auf das tiefer reichende Ableiten von Sedimenten lange unerkannter Vorstellungen beruht. Anschauen in bewegter Unmittelbarkeit führt mich ins Nirgendwo.

Der Blick von Nirgendwo als vorstellungsfreies Geschehen: Wirkliche ganz von innen her errichtete Aufmerksamkeit, in Tateinheit also bewegtes Hervorbringen und sich Lösen von allen inneren Haltestangen, was nicht so ganz einfach ist da nicht wenige zunächst unbewusste Bewusstseinsfestlegungen sich lange verborgen halten können, beinhaltet ein Hineingleiten in das Nirgendwo. Das Nirgendwo als Erfahren ist raumzeitloses Erfahren, ein Erfahren das dem Stehen auf bewegten Wellenbergen ähnlich ist ohne im Stehen daselbst zu versinken. Wer das Schwimmen gelernt hat kann in der Rückerinnerung darauf auf Erfahrungen von Bodenlosigkeit zurückgreifen, die einen um sich schlagenden Schrecken auslösten bis die neue Erfahrung sich an seine Seite stellte, dass ich durch Bewegen die Oberhand über dieses Geschehen herstellen kann und von daher nicht fürchten muss unterzugehen. Das Nirgendwo als Realerfahrung ist im Inngang seelischer Beobachtungen nun ein erhöhtes Erfahren von Bodenlosigkeit. Es ist ein Erfahren, das sich auf nichts anderes stützen kann als bewegen, bewegen, bewegen …

In diesem Bewegen fallen sodann nach und nach alle Schleier über unserer bis anhin vorstellungsdurchwirkten Wirklichkeit. Ich bin von diesem Augenblick an herausgefordert verantwortlich aus vertiefter Sinnlichkeit heraus an dem was Wirklichkeit sein kann schöpferisch schaffend mitzuwirken.

Sinnlichkeit vertieft verläuft nicht übersinnlich, sondern ist ein Ich geleiteter Sinnen-Vorgang in nichts als fort und fort sich steigernde innere Intensität von Bewegung hinein. Diese Bewegung ist die Kraft, die den Denkblick aus sich in fortgeschrittenem Üben mehr und mehr verdichtend hervorbringt. Nachvollziehbar für jeden - auch wissenschaftlich - der über den mehrheitlich inhaltsbezogenen, also nach aussen gewandten Umgang mit dem Denken hinaus schreitet und sich selbst was sein inneres Tun betrifft auf seelische Beobachtungen einlassen kann. Bereit ist fragend bis auf den Grund und durch das Nirgendwo im Sinne des Sokrates hindurch zu gehen. Das bedeutet: Es reicht nicht regelmässig seine 10 km Laufen als Konditionstraining zu absolvieren, sondern es geht darum im inneren Krafttraining eigene Gedankengebilde so weit zu durchdringen, bis alles Vorstellen in ihnen sich auflöst. Kurz, Du im Nirgendwo als innere Erfahrung Heimat findest und dich in die Intensität des Bewegens dort in fliessender Gegenwärtigkeit furchtlos einzugliedern weist.

Alles muss sich laut Emanuel Kant auf Erfahrung gründen. Das hat demgemäss auch für das Denken zu gelten. Nur ist Kant nicht wirklich bis zur inneren Erfahrung des Denkens vorgedrungen. Er hat das Denken in seinen Strukturen erforscht. Dies jedoch nur in seiner abstrakt analytischen Gestalt. Vor der eigentlich inneren Anschauung des Denkens ist er stehen geblieben. An dieser Nahtstelle hat Rudolf Steiner Kants forschende Spur wieder aufgenommen und mit seiner Philosophie der Freiheit ein Beispiel für die Anwendung der seelischen Beobachtung als wissenschaftliche Methode hinterlassen. Eine Methode, die in ihrer Bedeutung in wissenschaftlichen Zusammenhängen bisher wenig Beachtung fand. Nicht weil sie als Forschungsinstrument für nicht tauglich befunden, sondern weil sie in ihrer Handhabung nicht wirklich ausgelotet und damit aus meiner Sicht nicht verstanden werden konnte. Hier besteht also noch Forschungsbedarf.

Über das hinaus was ich aus der seelischen Beobachtung heraus den Forschungsansatz Rudolf Steiners aufnehmend und weiter entwickelnd, beispielgebend zur inneren Vorgehensweise hier und in vorausgehenden Blog-Beiträgen bereits gesagt habe, will ich nicht bestreiten, dass dies in meinen Augen nicht mehr als leise Kontur-Erweiterungen sind. Da es sich dabei um sehr individuelle Vorgehensweisen handelt bedarf es des Mutes und der inneren Ausdauer vieler, die angesichts der gegenwärtigen Verfasstheit der Wissenschaft sich darauf einlassen wollen diesen Forschungsansatz bemerkenswerter im wissenschaftlichen Räumen zu etablieren. Die latente Furcht die Subjekt/Objektschranke als abstrakt mühsam herausgearbeitetes wissenschaftliches Forschungsresultat einer langen Wissenschaftsgeschichte könnte dabei kompromittiert werden ist nicht von der Hand zu weisen. Sie wird sich nur in einer selbst zu machenden umfassenden inneren Anschauung und daraus hervorgehenden geweiteten Einsicht  bezüglich der  gemachten E R F A H R U N G E N überwinden lassen. Und damit - sachlich - auch ihre Grundlage verlieren, denn  der nicht zu umgehende notwendige Abbau bisheriger Vorstellungen über Mensch und Welt wird die bisherige Blickweise auf die Wirklichkeit erfahrungsbasiert nachhaltig verändern. Vorsichtig gesagt wird die Welt von Morgen was die überkommene duale Ausrichtung von Selbst und naturwissenschaftlich empirisch begründeter Aussenwelt so nicht mehr zu halten sein. Gelingt es nämlich den von Aristoteles keimhaft angedachten Aktus als urmenschliche Kraftpotenz geisteswissenschaftlich über die bisherige abstrakte Anschauung hinausreichend erfahrungsbasiert im Denken zu verankern, so hat das weitreichende Auswirkungen.

Thomas Nagel sagt diesbezüglich in seinem Buch - Der Blick von Nirgendwo - : "Könnte man aufklären in welcher Beziehung die interne und die externe Perspektive" (die subjektseitig, bzw. objektseitig Perspektive in der Vorstellungsbildung) "zueinander stehen, auf welche Weise jede von ihnen so entwickelt und verändert werden kann, dass sie der anderen Rechnung trägt, und wie beide im Zusammenspiel das Denken und das Wirken jeder einzelnen Person bestimmen können, so käme dies einer Weltanschauung gleich.“ (1) Den Problemen, die sich ihm im Zuge seiner Ausführungen stellen will er dabei unter keinen Umständen ausweichen und bezeichnet das in seinen Worten nüchtern so: "Philosophie (und Wissenschaft?) darf keinesfalls zu ermässigten Ansprüchen ihre Zuflucht nehmen (2)“ Sie fusst auf der steten Weiterentwicklung "ihrer eigenen unterentwickelten Fähigkeiten (3)" und was not tut, so ich in der unweigerlichen Kollision einander widerstreitender Perspektiven auf das "Absurde" stosse, "ist der Wille, es mit ihm aufzunehmen (4)," den fremden Vorstellungskonstrukten ins Auge zu schauen und angesichts eigener nicht hinterfragter Vorstellungsgebilde diesen in Projektionen nach aussen hin nicht auszuweichen, um die möglicherweise notwendige innere Umkehr so zu umgehen (5).

…  in der Vorstellungsbildung „zueinander stehen, auf welche Weise jede von ihnen so entwickelt und verändert werden kann," (1) …  Es geht damit also um das Hinschauen, das vertiefte Hinschauen und das Fragen, auf das ich bereits unter verschiedenen Aspekten daraufhin laufender Beobachtungen an verschiedenen Stellen wiederholt verwiesen habe. Was weis ich wirklich, wenn ich solchermassen die inneren Bewegungsabläufe in der Konstitution meiner Denkabläufe, das heisst das bildsame Hervorbringen daselbst näher zu untersuchen versuche. Je weiter ich mich da vortaste und dabei zu verstehen versuche was da jeweils geschieht, wie ich hier verwickelt bin, bzw. in grössere Klarheit und innere Überschau hinein ich mich aufrichte, umso dringlicher treten die Fragen an mich heran, was weis ich wirklich. Ich bemerke immer eindringlicher, dass ich mich so manchem mich anfallenden Bestreben der Verantwortung für das was hier geschieht nicht mehr entziehen kann. Bewusstseinsseele, wie sie sich hier unter meinen Augen bildet fordert ihren Tribut, was heisst Einsicht, auch und gerade schreckhafte Einsicht wie innere Umkehr. So wie bisher geht einfach nicht mehr. Selbstverantwortung ist in den Räumen des „erkenne Dich selbst“ nicht verhandelbar. Und zwar in dem strengen Sinne, dass ich mich fortan in dieser Verantwortung hinter niemanden mehr seitwärts flüchtend in die Büsche schlagen kann. Meine Verantwortung bleibt meine Verantwortung. Ich kann sie nicht einmal in Teilen auf andere übertragen. Das „erkenne Dich selbst“ weicht nicht von meiner Seite, auch dann nicht wenn auf mein mich Wegdrücken aus der Verantwortung scheinbar nichts geschieht. Schwerthaft in seinem Ausdruck bleibt es dennoch gegenwärtig.

So bleibt auch auch die von Fall zu Fall fortlaufend neu aufzulösende Subjekt-/Objektspannung in beständiger Gegenwart durch mein - das Leben im gesellschaftlichen Umfeld heute und morgen - bestehen. Der Wind der Wandlung gebiert sich aus dem inneren Aushalten des Fragens schlechthin. Die Lösungen für die gegenwärtige Klimakrise wachsen nicht so einfach auf den Bäumen an den Lebensrändern unser aller Leben. Sie wollen reifen. Reifen in meiner, unserer aller Innwelt. Mit Empörung auf die Klimakleber zu reagieren verschiebt nur das Problem ohne es zu lösen. Wir alle leben auf die eine oder andere Art in und mit der Angst. Es geht also im Grunde um Gleichgewichtsbildung in unser aller je eigener Seelenlandschaft. Den Knüppel der Empörung aus dem Sack fahren zu lassen mag zwar für einen kurzen Augenblick entlasten, die dabei freigesetzten psychischen Gase vernebeln aber mögliche Wege auf zu findende Lösungen hin. Und das gilt für die Klimakleber wie gleicherweise für all diejenigen die mit Empörung, bzw. unterschiedlichen Formen der Beschwichtigung auf ihr Tun reagieren. Beide Seiten umgehen auf diese Weise ihre tiefer aufzuhellende Selbstverantwortung. Selbsterkenntnis ist heute nicht zu billigen Tarifen zu erlangen. Sie schmerzt bevor sich Wege der Heilung öffnen. Im persönlichen und im gesellschaftlichen Umfeld (6).

© Bernhard Albrecht Hartmann 16.06.2023

(1)  Seite 11, Abs. 3, Vorrede in: Thomas Nagel, Der Blick von Nirgendwo Suhrkamp TB 2012

(2)  Seite 22, Absatz 27, Vorrede in: Thomas Nagel, dito

(3)  Seite 23, Absatz 28 dito 

(4)  Seite 24, Absatz 29 dito

(5)  https://ich-quelle.blogspot.com/2016/07/einige-anmerkungen-zu-thomas-nagel-der.html

(6)  https://ich-quelle.blogspot.com/2015/07/von-der-inneren-umkehr.html  


Donnerstag, 8. Juni 2023

Vom geistigen Pfingstfeuer

Das Wort von der Zeitenwende tickt nicht erst seit den Tagen nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine in vielerlei Nachrichten um die Welt. Es ist unter den Menschen hintergründig präsent mindestens seit der Mensch in seinem individuell werdenden Denken sich unmittelbarer zu emanzipieren begann. Wer diesem Zeitenwende-Phänomen tiefer erlebend näher treten will kann dies schon in dem Verhältnis von Aristoteles und Platon nach dessen fluchtartiger Rückkehr von seiner letzter Syrakus Reise identifizieren. Weniger als historisch dokumentiertem Tatbestand, sondern der Möglichkeit nach als geistig erlebbar zu erweckenden Tatumstand in dem weiteren  Lebensumgang der beiden nach dieser Reise. 

Aristoteles verlies bald danach Athen. Mehr äusserlich betrachtet wird das historisch gesehen als Folge der wachsenden Spannungen von Athen gegenüber Mazedonien, der Heimat des Aristoteles angesehen. Wer tiefer hinschauen will kann in diesem Umstand die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu überbrückende Differenz der beiden was ihre Denkweise betrifft ausmachen. Realismus versus Idealismus im Denken oder anders ausgedrückt die Umkehrung der Deutung des Höhlengleichnisses von Platon durch Aristoteles. Aristoteles sieht in dem Wieder-Hinabstieg in die Höhle die letztendlich mögliche Vollendung der Befreiung des Menschen von jedweden Fesseln, für Platon hingegen ist diese Befreiung bereits erfüllt in dem Ausstieg aus der Höhle, hinein in die Ideenschau, das Sonnenlicht im Geiste. 

Aristoteles stand eine völlige Neuordnung des Verhältnisses von Physis und Logos im zu erfahrenden Denken vor Augen. Keimhaft im Ansatz, denn das Denken, sprich das Erkenne Dich selbst im Denken zu verorten, Anschauung werden zu lassen ist hintergründig besonnt sein Ansinnen in allem was sich um den Aktus dreht. Denken als tatsächlichen fortwährend zu aktualisierenden Willensprozess zu veranschaulichen. Oder anders ausgedrückt fragend durch das Niemandsland des „ich weiss, dass ich nicht weis“ bis auf den Grund des Erwachens für die Wirklichkeitsbildung im Denken hindurch zu gehen und anschaulich im willentlichen Denkvollzug zu dokumentieren, das war tiefer betrachtet seine Erkenntnisperspektive. Hier unterschied er sich von Platon und sah sich demzufolge vor die Entscheidung gestellt seinen eigenen Wege zu gehen, was bedeutete sich von Plato und seiner Denkweise deutlich abzusetzen. 

Idealistische Ideenschau versus fortlaufend realaktualisierte Peripatetik im Denken. Der innere Dreischritt - GEHEN, SPRECHEN, DENKEN - als selbstverantwortlich gestalteter Willensprozess war und ist das bis heute unvollendet gebliebene Zeitenwende Vermächtnis des Aristoteles.

In welcher Beziehung steht dieses nun zu dem oben benannten Titel dieses Essays? Geistiges Pfingstfeuer als Ereignis des Erwachens am anderen Menschen und … wie ich hier ergänzend hinzufügen will, die Überwindung der Furcht im Durchgang durch das Niemandsland im Fragen bis auf den Grund. Im Fragen auf das Erwachen des individuellen Denk-Augenblicks im eigenen Denken hin. Erwachen in das „tatsächlich“ immer umfänglicher willentlich geführte Denken, das Denken in unmittelbarer Tat-Einheit mit sich selbst. 

Die Quell-Dohle von der aus dieses Pfingstfeuer von Augenblick zu Augenblick sich immer tiefer erfahren liesse ist das Du des jeweilig anderen Menschen. Denn im Spiegel des Du kann ich erinnernd erfahren wer ich im eigentlichen Sinne des Wortes bin. Am sich mir mitteilenden Du kann, sofern ich meinerseits mich in der Anschauung ohne jedwede Urteilsabschweifung, sprich prolongierte Selbsttäuschung mir selbst gegenüber, bzw. im Rückhalt von Urteilsübertragungen auf das Du hin zu halten weis, ich mich als den der ich in meiner schöpferischen Willensgestalt bin nach und nach von innen her immer besser ausrichten. Das innere Feuer zur aktiven Selbstverwandlung erwacht und nimmt gemäss der eigenen Bereitschaft zur Wandlung in fortlaufenden Du Begegnungen Fahrt auf.

Das Ich ist allein dem verantwortlich, was aus dem wachsenden Erinnern sich kundgibt. Und mit dem was von dort her mit allen weiteren Konsequenzen in seine Hände gelegt wird, ist es von seinem inneren Wahrnehmen her immer unabweisbarer angehalten die Gebärmutterhülle des Ego zu verlassen. Angstfrei, denn aus dem Denken kann ich nicht herausfallen, ich kann nur immer und immer wieder den Einstieg in seine Tiefen verweigern - aus Angst. Insofern ist der Kern von Zeitenwende, dass ich die Verantwortung für dieses mein Denken ohne wenn und aber übernehme. Nicht also der Selbsttäuschung von Verschwörungen jedweder Art verfalle, sondern meinerseits alles bis auf den Grund hin hinterfrage. Das Selbsterkennen erinnernd annehme und in Taten umsetze.

Von Pfingsten her weht der Wind zur eigenständigen Selbstverwandlung im Denken gemäss meinem Erinnern und Besinnen wie es durch das Du meines Schicksalsumfeldes an mich herangetragen wird. Konkret gesagt: Ich kann mich hinfort nicht mehr meiner Selbstverantwortung entziehen deutlicher meine Zeitenwende Verantwortung in die Hand zu nehmen. Und … hier zu tun was immer wenn auch nur im Kleinen mir möglich ist. Von Zeitenwende nur zu reden ist ein Unding. Die Zeitenwende durch andere zu erwarten ebenso. Zeitenwende vollzieht sich als weitreichende soziale Verantwortung und kann vom Grunde her nicht umgangen werden.

Über das Denken ist nicht erst seit heute alles mit Allem in subtilen Wirkverhältnissen untereinander verbunden und aufeinander bezogen. Der Unterschied zu früheren Zeiten ist der, dass die Verantwortung des Einzelnen heute eine viel viel grössere ist. Zeitung lesend am Weltgeschehen Anteil zu nehmen ohne täglich aktiv meinen eigenen Selbsterkenntnis Acker zu bestellen ist nicht mehr ausreichend in einer Zeit da die Chaos Kräfte unmittelbar vor der eigenen Haustüre am Wirken sind.

Demzufolge ist es buchstäblich auch naiv zu glauben mit militärischen Mitteln den Ukraine Konflikt bewältigen zu können. Es ist aber ebenso geradezu hirnrissig per wie auch immer gearteter Appellation Frieden anmahnen oder herbei reden zu können. Wenn seit dem durch Putin autorisierten Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine von Zeitenwende gesprochen wird, so ist mit dieser Tatsache nur das Zeitenwende Phänomen, das durch die gesamte Geschichte ein zu jeder Zeit ablesbarer Entwicklungsfaktor war erneut aus dem Schatten in den Vordergrund getreten.

Aus dem Schatten: Putin muss Einhalt geboten werden. Aus seinem Handeln jedoch, von welcher Seite auch immer ein Böse-Buben Spiel zwischen Ost und West mit noch so griffigen Argumenten vermeintlich unwiderlegbar ausmachen zu wollen, das geht an den wirklichen Notwendigkeiten vorbei. Denn der Krieg um die Ukraine wirft ein nicht mehr beiseite zukehrendes Schlaglicht auf tiefere Wirkverhältnisse in diesem Konfliktfeld. Dieser Krieg ist kein Stellvertreterkrieg der Ukraine für Europa, er ist ein Krieg um das Bewusstsein des Menschen und dessen aktiv zu entfaltende Potenz darinnen - das Ich. Die Entfaltung des Ich kann erst wirksam werden mit dem Eingeständnis, was habe ich auf meinem individuellen Entwicklungsweg durch dieses mein Leben versäumt (?) an die Hand zu nehmen. Wo habe ich meinen zumeist eher verborgeneren Ego-Bedürfnissen immer wieder den Vorrang eingeräumt vor meinem stetig in grössere Tiefen hinein zu erweiternden Selbsterkenntnis-Prozess. Denn der tote ukrainische oder russische Soldat gerade heute am Donbas steht in einem unmittelbaren Wirkverhältnis damit. Es ist dies keine Frage von Schuld sondern von not-wendend aufzubauender und durchzuhaltender Wachheit im Umgang mit meinem Denken. Verantwortung die nicht auf andere übertragen werden kann. Denn ich bin mitverantwortlich für alles was immer in der Welt geschieht, ich bin Teil des welthaften Bewusstseinsprozesses.

© Bernhard Albrecht Hartmann, 08.06.2023


Sonntag, 4. Juni 2023

Fragment 1/2023

Nur dem Anschein nach ist die Stille unverwortbar. Denn - ihrer inneren Essenz nach - weis sie sich allzeit sehr lebendig auszudrücken und ist als Quelle allumfassender schöpferischer Kraft immer und überall zwischen den Worten präsent. Nur ist die gegenwärtige Zeit eine solche, dass es mitunter recht schwierig ist der Stille in ihrer Tiefe teilhaftig zu werden. Zu viele der Vorstellungen stehen den Menschen im Weg, bauen sich scheinbar unüberwindbar in der eigenen Seele auf und behindern so den Weg des Menschen in das unmittelbare Erfahren der Stille.

Sie hindern den Menschen einerseits Abstand zu nehmen von dem, was auf ihn beständig von aussen her vereinnahmend einzuwirken, ihn auf der anderen Seite nach innen hin in der einen oder anderen Weise zu binden sucht. Die Stille bleibt daher unentdeckt, obwohl sie in Tateinheit  beständig gegenwärtig ist.

In Tateinheit: Die Stille will gesucht sein, - gefunden werden - durch den eigenen Willens-Ausstieg aus den Turbulenzen des Alltags. Sprich, der Weg zur Stille öffnet sich über das nachhaltig geübte Innehalten und damit das Erfassen des Augenblicks als fortlaufend immer stärker sich manifestierende innere Erfahrung. Der Grund auf dem die Stille beheimatet lebt „ist“ mithin als  höchst dynamische Willenspotenz zu beschreiben - fern aller Abstraktheit. Eine Potenz, die den eigenen Kraftbereich beleben wie niederschmettern kann. 

© Bernhard Albrecht Hartmann 04. Juni 2023