Donnerstag, 3. Februar 2022

Im Gedenken an Wilfrid Jaensch ✲

Der Ordo Blog schreibt sich selbst durch eure Mitarbeit. Diese stark verdichteten Worte zur Einführung in den Ordo Blog werfen auch ein Licht auf den Willensweg von Wilfrid Jaensch. Ich kann nicht verhehlen, dass mich diese Worte in diesen Tagen unmittelbar stark berührt haben. So will will ich also dieser leisen Aufforderung folgend das Wort zu dem Thema: „Dass die Zukunft eine Kunst ist“ ergreifen, das Wilfrid Jaensch 1996 für die Zeitschrift Gegenwart bearbeitete und dessen Text seine Frau Mirija Jaensch im Angedenken an diesen echten Querdenker zu seinem 6. Todestag am 17.6.2021 ein weiteres Mal auf Ordo veröffentlichte. (1) Nicht ohne anzumerken, dass ich Wilfrid Jaensch persönlich in diesem Leben nie begegnet bin, dass ich seine Lebenswege aber peripher seit den frühen siebziger Jahren mit verfolgt habe, wie auch er meinen Blog https://ich-quelle.blogspot.com immer wieder einmal eingesehen hat. Ein wechselseitiges sich Berühren also "über die Zeit" hinweg auf unterschiedlich individuellen Willenswegen.

Zukunft ist kein irgendwie Erwarten besserer Tage als sie sich heute zeigen, kein Zudecken oder gar Auflösen von  Ängsten, umgebogen in eine Hoffnung von Morgen und ganz und gar nicht die Erfüllung der Erwartung mit Covid verlorene Freiheiten so einfach wieder zurück erhalten zu können. Freiheit will eigentätig erworben sein. Ganz in dem Sinne wie es Wilfrid Jaensch einst ausdrückte: Geisteswissenschaft müsse Geisteswillenschaft (2) werden.

Zukunft kann aus dem Heute sich demnach nur gebären - das ist die hintergründige Signatur der gegenwärtigen Pandemie, welche die gesellschaftliche Innwelt-Krise immer unverhohlener zu Tage treten lässt - wenn der Wille im Denken der Vergessenheit entrissen im seelischen Beobachten wieder gefunden werden kann. Rudolf Steiner hat in seiner Philosophie der Freiheit über Emanuel Kant hinaus weisend dazu Wegleitendes gesagt. Er hat gewissermassen das Prozesshafte in der Gedankenbildung des Denkens über eine jede dinghafte Bindung des Gedankens hinaus wieder frei gelegt. Nichts desto trotz wird in den Augen nicht Weniger die Möglichkeit innerhalb dieser Prozessabläufe des Denkens zu einer inneren Anschauung desselben gelangen zu können immer wieder heftig bestritten.

Dass dies so ist hängt in meinen Augen mit der grundsätzlich permanent innerlich neu zu dynamisierenden Fragestellung zusammen: Weis ich, dass ich nicht weis (Sokrates) oder weis ich, dass ich weis zusammen,  was heisst ganz bei mir bleibend zu unterscheiden, was weis ich wirklich und was weis ich nicht wirklich? Bin ich von daher also jeweils aktuell offen in die „forschende“ eigene innere Seelische Beobachtung einzutreten oder wo drücke ich mich um Tatsachen herum, die ich nicht wirklich vor mein aufmerksames Auge stelle? Bin ich bereit über das heute übliche abstrakt formale Reflektieren hinaus zu schreiten und damit erfahrend durch das Nichts zu gehen, um daselbst wiederum schrittweise in Kontakt zu treten mit dem Willen? Dem Willen als konkrete innere Erfahrung?

Eben „diese“ konkret innere Erfahrung des Willens hat Kant seinerzeit erkenntnismässig nicht schlüssig belegen können und deshalb zum Schlussstein seiner Analytischen Philosophie das sogenannte Ding an sich bestimmt. Eine formal abstrakte Annahme, ein nicht wahrnehmbares Substitut und von daher ein Widerspruch in sich? Eingeschworenen Kant Referenten wird das nicht gefallen. Doch wer kann schon sagen, dass Kant von sich selbst aus nicht weiter gedacht werden wollte? Hat er mit dem Ding an sich, dies - wer immer dies eigentätig prüfend zu erforschen sich auf den Weg machen will - es also über eine längere Zeit meditierend mit sich tragend möglicherweise ein ganz persönliches Fragezeichen für weitere Forschungen zum Denken hinterlassen? Ist Kant mit dem Ding an sich vor seiner ganz persönlichen inneren Nichts-Erfahrung gestanden und hat dieses Tor verschlossen mit dem leisen Wink von dorther innerlich mutig fragend weiter zu schreiten?

All dies sind Fragen mit denen der echte Zeitgenosse um der Zukunft Willen sich nur selber auffordern kann ernsthaft auseinander zu setzen. Also individuelle Geisteswillenschaft tätig zu begründen indem er gewissermassen durch das abstrakte Reflektieren wie hindurch schreitend das Sagen eines jeglichen Du immer deutlicher als eine Briefbotschaft in erster Linie allein an sich selbst begreifen lernt, die es vorrangig auf die Entwicklung eigener Geisteswillenschaft zu entschlüsseln gilt. Denn: Das Denken wie es von anderen Menschen an mich herangetragen wird ist, aus der tatsächlich eigenen inneren Erfahrung erfasst der Spiegel dafür wie von meinem jeweils aktuellen seelischen Zustand her die konkreten Entwicklungsaufgaben für meine Geisteswillenschaft aktiv ergriffen werden können. Was in meinen Augen heisst, nur die vorausgehende, bzw. im Dialog zwischengeschaltete  fragende Besinnung auf mein Denken hin (3) kann die mit der Covid Pandemie nicht länger zu verdrängende gesellschaftliche Innwelt Krise ohne ins Unendliche sich ziehende neue Schäden am gesellschaftlichen Gesamtkörper bewältigen helfen.

Geisteswillenschaft ist eben nicht etwas was per Bildungsgutschein zu erwerben ist. Sie kann allein durch selbst erkennende Denkerfahrungen und damit einher gehende Denkentscheidungen selbstverantwortlich Wirklichkeit werden. Wenn aber durch mich etwas wirklich wird, dann ist Zukunft. Erinnern wir uns also des verloren gegangenen Willens in unserem Denken … und entwickeln daraus Geisteswillenschaft als neue Lebenskunst.

© 03.02.2022 Bernhard Albrecht Hartmann

✲  Kommentar auf das Gedicht von Wilfrid Jaensch zum 01.05.2015 

    https://enzyklika.blogspot.com/2015/06/neulich-schrieb-wilfrid-jaensch-sein.html

                            Zu allen Zeiten war es so,

                            dass Toren Tore öffneten,

                            die,

                            weil vom Grunde her

                            an der Zeit

                            sie zu durchschreiten,

                            oft nur den Stinkefinger

                            als Antwort mit sich nahmen.


                            Zu allen Zeiten war es so,

                            dass, wer in die Tiefe griff

                            und

                            vom Grund des Nichts

                            so manche Perle

                            denkend, wie erlebend

                            an die Oberfläche hob

                            als Tor belächelt wurde.


                            Zu allen Zeiten war es so,

                            dass unter einer Linde

                            nach langen Jahren

                            Menschen die Hand sich reichten,

                            um den Mut des Ahnen zu besingen,

                            der einst im Ich vorangeschritten.

    

                            © bah, 20.06.2015 - eine Resonanz

                    

(1)   http://enzyklika.blogspot.com/2021/06/dass-die-zukunft-eine-kunst-ist.html       

(3)   https://ich-quelle.blogspot.com 

       siehe hier durch die Jahre verschiedene Essays und Dialoge zu unterschiedlichen 

       Gesichtspunkten des Denkens