Sonntag, 17. Dezember 2023

Wer nicht stirbt bevor er stirbt … Ein leiser Rückblick auf einhundert Jahre Zeitenwende

Advent - Zeit des Erwarten der Ankunft des Lichts. Licht … Geburt … Kind . Christgeburt - wie kann das sein, heute in diesen kriegerischen Zeiten dergleichen zu erwarten. Gegenwärtig und eben nicht wie allgemein geübt als festlich gepflegtes Gedenken der Überlieferung ferner Zeiten. Christgeburt demnach ganz konkret jetzt in diesen Tagen. Christgeburt  e r f a h r e n  im eigenen Herzen und Willen …

Das ist doch Nonsens oder etwa nicht? Und doch hat Rudolf Steiner sich davon nicht beirren lassen und während der Weinachtstagung 1923 (1) den modernen Weg zum Erfahren der Christgeburt eröffnet. Er hat den Menschen, die dazumal in Dornach sich um ihn versammelt hatten für einen Zeitenwende Moment durch seine Art in Sprachräume hinein zu lauschen das Tor aufgetan im inneren Dialog mit sich selbst in den Erfahrungsprozess der eigenen Ich-Geburt eintreten zu können. Im Vertrauen sie könnten den Weg aufnehmen, den er als Bewusstseinstat dazumal im Blick auf die Weltverhältnisse als Ferment für eine tiefer greifende soziale, welthaft geweitete Wandlung menschlicher Verantwortung von Mensch zu Mensch für notwendig erachtete. Welthaft geweitet … nicht Ego zentriert.

„ÜBE  GEISTERINNERN“ (2). Ungewöhnlich, so mag der eine oder andere Zeitgenosse im Hinblick auf diese Worte Rudolf Steiners heute denken, wenn er denn Kenntnis von diesem Ereignis bekommt. Wer jedoch bemüht ist nachvollziehend tiefer in diesen Prozess einzusteigen, der wird im erfahrenden Fortschreiten auf diesem Weg innere Erschütterungen nicht umschiffen können, denn sie sind in diesem mantrisch angelegten Prozess als keimbildende Substanzkräfte veranlagt. Es geht darin aus meiner jahrzehntelangen Arbeit nämlich um nicht weniger als dieses: Die aktive Wiederverbindung des Willens mit dem Denken, wie sie Aristoteles in seinen Gedankenbildungen zum Aktus als Entwicklungsaufgabe für die Zukunft innerlich bereits vor Augen standen (3).

Doch was heisst das denkend genauer forschend untersucht? Mit dem „ÜBE GEISTERINNERN in Seelentiefen“ betritt Rudolf Steiner im Nachgang zu Aristoteles den neuzeitlich Mysterien-Weg über das Selbsterkennen im Denken sehend zu werden. Damit knüpft er an seine wissenschaftliche Ausgangsposition an, die im Titel: „Die Philosophie der Freiheit - Grundzüge einer modernen Weltanschauung - Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode“ erstmals konkret niedergelegt ist und die vom Grund her besagt, dass ohne eingeübtes Selbsterkennen (seelische Beobachtungen) Wissenschaft, in Sonderheit Geisteswissenschaft nicht betrieben werden könne. Er fordert dies jedoch von der äusseren Wissenschaft seinerseits nicht ein, er geht vielmehr seinen Freiheitsweg in einer Weise, dass  Menschen, die ihm nachvollziehend folgen wollen ihr Selbsterkennen auf individuellen Wegen eigenständig ausbilden können. Zu Weihnachten 1923 stellt sich dieser Weg dann in der dreifachen Wortfolge: „Übe Geisterinnern in Seelentiefen, „Übe Geistbesinnen im Seelengleichgewichte“ und „Übe Geisterschauen in Gedankenruhe“ dar. 

Wer sich vor diesem Hintergrund nun die Frage stellt: Wie steht es um mein eigenes Denken? Was weis ich tatsächlich darüber? Was kann ich mir innerlich hier von Fall zu Fall mit Gewissheit vor Augen rücken, der wird früher oder später zutiefst erschrecken. Denn folge ich übend meinen eigenen Denkbewegungen nur um ein Weniges immer wieder einmal in vertiefter Intensität, dann werde ich im Verlauf derartiger Bemühungen zu gegebener Zeit unweigerlich erlebend zu Erfahrungen gelangen wie wenig ich eigentlich weis … und dass ich hier buchstäblich durch das Nichts zu schreiten herausgefordert bin. Will ich mich also über die eigenen inneren Bewegungsvorgänge aufklären, dann ist aktive Achtsamkeit durch mich vorrangig z.B. vor der Supermarkt Ladenkasse aufzurufen. Das Erwachen zu mir hin findet in meinen Augen nämlich dort oder bei ähnlichen Anlässen statt. 

Pointiert gesagt das Wissen um Ätherleib, Astralleib und dergleichen im wohl gehüteten Bauchladen ideell mit sich herumzutragen ist heute keine Option mehr. Der Astralleib will nämlich  konkret aktiv im Gleichgewicht gehalten werden quer durch alle Meldungen der Abendnachrichten im Fernsehen. „Übe Geistbesinnen.“ Er will im Gleichgewicht gehalten sein, wenn unterschiedliche politische Auffassungen zwischen einzelnen Menschen oder Menschengruppen, wie etwa zum Ukrainekrieg, in offiziellen Dokumenten zur politischen Ost - West Geopolitik unterschiedlich bewertet werden. Es geht also um die Ausbildung einer individualisierten Bewusstseinshaltung im Gleichgewicht … und nicht um Lagerbildung und daran sich anschliessende verschleierte Feindseligkeiten (sprich verborgenes Kopfschütteln über die Denkweise anderer Menschen/Dumm Gedödel unter Ausser-Achtlassen des eigenen zuckenden Astralleibs). Das ist keine kleine Aufgabe, sondern eine grosse Herausforderung, wenn ich sie denn wirklich in die Tiefe hinein ernst nehme.

Halten wir inne. Können  Konfliktlinien heute noch wirklich bereinigt werden ohne ein grundlegend gewandeltes Denken? Ein Denken, das im inneren Gleichgewicht in Seelentiefen gegründet … und durch das Erleben des Nichts belichtet wurde. Schon Platon sass der Illusion auf er könne in seiner ideellen Denkweise gegenüber dem Diktator von Sizilien Entscheidendes bewirken. Er musste fliehen, weil er nicht zu unterscheiden vermochte, dass ein gleichsam ideales Staatsgebilde auf dem eigenen inneren Bildschirm mit sich zu tragen, etwas gänzlich anderes ist als dieses umzusetzen. 

Von heute her gesehen muss Vladimir Putin gesamthaft ins Auge genommen werden und da kann es durchgehend sachlich betrachtet nicht angehen einzelne Handlungsaspekte von ihm über diese oder jene Rechtfertigungslinien gleichsam auszubleichen bzw. ganz auszuklammern … weil die Amerikaner … . Er ist verantwortlich, dass er eine Jahrhunderte alte Kultur in Schutt und Asche bombt. Das ist Fakt und nicht das Gerangel um die Interpretation diverser politischer Aussagen um sein eigenes Tun vor sich selbst  s c h ö n  zu reden. Die Verhältnismässigkeit der eingeleiteten Massnahmen gerät vollkommen aus dem Blick. Und das gilt auch für die Amerikaner und die Sprengung der Ostseepipeline 2 im Schatten der Einstellung der Öllieferungen Russlands aus eigenen Markt-Beherrschungsinteressen.

Genauer besehen gerät die Verhältnismässigkeit nach aussen hin immer dann aus dem Blick, wenn es um die Vernebelung von Bewusstseinsvorgängen geht. „Übe Geisterschauen in Gedankenruhe.“ Lass Dich also z.B. im Hinblick auf Versuche zur Einbindung in welche  Parteiung auch immer nicht übertölpeln, denn es geht vor dem Zeitenwende Bewusstsein heute nicht mehr um irgendwelche Gefolgschaften, ob nun Macht- und Meinungs- oder Meistergefolgschaften, sondern ausschliesslich um das Einüben von Bewusstseinsgegenwärtigkeit in Ich-Verantwortung. Da die Iche unterschiedliche Wege gehen müssen, um in Du Begegnungen Erfahrungen zu sammeln für ihr Erwachen zu sich selber hin kann es dabei auch vorrangig nicht um meine Einschätzung gehen ob hier richtig oder falsch gedacht wird, sondern um durchgehende Sachlichkeit  u n d  Respekt vor der Würde des anderen Menschen und dessen Denkwegen in Du Begegnungen. Um aktive Teilhabe also und die Bändigung des eigenen Astralleibs, der allzeit geneigt ist über Denk-Ufer zu springen nur um sein Vermeinen durchzusetzen. Dem Geisterschauen geht demnach die Umschmelzung eigener Schattenbezüge, die im Blick auf das Du und dessen Denkweisen gerne übersehen werden voran. Die eigenen Schattenanteile und nicht die des Du. Die eigenen … .

„Wer nicht stirbt bevor er stirbt, der verdirbt (4)(5).“ Was bedeutet das? Die durchgehende Neigung zur Rückbindungen im Denken an bis anhin gebildete Bezugsmuster im eigenen Denken nicht zu übersehen, bzw. vor sich selbst klein zu reden oder beiseite zu wischen, wenn ich Geist erinnernd feststellen kann, dass mich ein derartiges Bezugsmuster im Schattenmoment eines Augenblicks zur Fall gebracht hat. Es bedeutet auch über den anderen Menschen nicht herzufallen, wenn er einen Denkfehler begangen haben sollte. Mit der Konsequenz: Fragen zu stellen, die helfen eine sachliche Offenheit für weitere Denkbemühungen  m i t e i n a d e r  und über alle Grenzen hinweg in Wertschätzung  f ü r e i n a n d e r  zu ermöglichen. Was heisst die bisher mehr oder weniger bewusst im Denken bediente eigene Egozentrik zu Gunsten von dynamischer Offenheit durch mein Tun zu fördern. Mich von daher folglich stets bereit zu halten in Diskursen als wirksamer Ich-Repräsentant (6) (barmherziger Samariter) und nicht als, vom Grund her angeschaut, Geist Leugnender Pharisäer - weil in ideologischen Abstraktheiten gefangener (aus der Zeit gefallener) Zeitgenosse in Erscheinung zu treten. Dahin gehend aufzutreten indem ich andere Menschen nach meinem eigenwilligen Befinden anschwärze ohne dass ich in eine grössere Tiefe hinein mich abgemüht habe sie zu verstehen. Bewusstseinsseele zu leben ist schmerzhaft …, sehr schmerzhaft … Im Wirtshaus zu Bethlehem ist es ein Leichtes an Stammtischen Geistesfreunde auf die eine oder andere Weise despektierlich zu etikettieren. Schwer ist es hingegen den Mut aufzubringen sich durch die Kälte (sprich unzureichendes Einfühlungsvermögen) eigener Ego Keller-Winkel hindurch aufzumachen und die Geburtswege sich wandelnden eigenen Denkens über die Teilhabe am Denken des so anderen Menschen mutig im Ich zu gehen.

Mutig im Ich: Im Seelengleichgewichte in den Denkbewegungen des anderen Menschen mitzugehen und dessen Denkwege zu teilen ohne eigene Vorstellungen auf ihn zu übertragen. Wenn dem in Anlehnung an diesbezügliche Worte Rudolf Steiners Folge geleistet wird, dann signalisiert dies die Bereitschaft mit der aktiven Individualisierung durch das Nichts, „das ich weis, dass ich nicht weiss“ zu gehen, also seinen existentiellen Todesprozess zu durchlaufen. Weihnachten 1923 ist in meinen Augen die stille Vorausnahme der Zeitenwende durch Rudolf Steiner für das Bewusstsein der Menschheit, die heute einhundert Jahre später dringender den je ansteht im Bewusstsein vieler Menschen tätig manifestiert zu werden.

© Bernhard Albrecht Hartmann


(1)  Weihnachtstagung am Goetheanum in Dornach 24.12.1923 - 01.01.1924

(2)  Siehe: Rudolf Steiner - Die Weihnachtstagung zur Begründung

       der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft 24.12.1923 - 01.01.1924   

       3. neu durchgesehene Auflage 1963, Seite 54 - 55

       https://steiner.wiki/

       GA_260#GRUNDSTEINLEGUNG_DER_ALLGEMEINENANTHROPOSOPHISCHEN_

       GESELLSCHAFT_durch_Rudolf_Steiner_am_25._Dezember_1923,_10_Uhr_vormittags   

(3)  Siehe: Unter der Platane - ein Dialog über die Zeiten hinweg im zeitlosen Nullfeld

      1.Teil: 

       https://ich-quelle.blogspot.com/2013/12/ 

      2.Teil: 

      https://ich-quelle.blogspot.com/2015/01/

      unter-der-platane-ein-dialog-uber-die_10.html 

      3.Teil: 

      https://ich-quelle.blogspot.com/2017/04/

      ein-dialog-uber-die-zeiten-hinweg-im.html 

(4)  Jakob Böhme

(5)  siehe: 

       https://ich-quelle.blogspot.com/2023/11/der-racheengel-der-verderbnisse.html

(6)  siehe: 

       https://ich-quelle.blogspot.com/2018/09/ich-karl-balmer-die-frage-geht-weiter.html 

(7)  https://ich-quelle.blogspot.com/2018/09/die-frage-nach-dem-wirklichen-ich-eine.html 

(8)  https://ich-quelle.blogspot.com/2018/09/die-frage-nach-dem-wirklichen-ich-3teil.html