Donnerstag, 3. Oktober 2019

Über den Schwebebalken mit dem Blick von Nirgendwo - Ein Kommentar

https://egoistenblog.blogspot.com/2019/09/vom-hoheren-sinn-zum-unsinn.html#disqus_thread 

Lieber Michael
Deine Antwort auf meinen letzten Kommentar lässt mich wagen einigen Deiner Aussagen oben im Kommentarverlauf betrachtend noch etwas näher zu treten. Damit wir uns richtig verstehen. Es geht um mein Betrachten und nicht um eine Analyse Deiner Person, gewissermassen ein „Einbrechen“ in Deine persönliche Introspektion, wie Du etwas zurückliegend einmal in einem Deiner Kommentare leise befürchtend äussertest. Die Bewusstseinsseele ist, sofern Du Dich ihr aktiv innerlich zuwendest ein in sich geschlossener Raum, zu dem niemand Zutritt hat. Nur aus der Verstandesseele und ihrer dual ausgerichteten Grundsichtweise heraus kann aus einer mit dieser Bewusstseinsverfassung verbundenen grundständigen Angst die illusionäre Auffassung entstehen, irgendjemand könnte Eintritt in mein Innerstes nehmen.

Ich wiederhole also noch einmal: Ich betrachte Deine Gedankengänge und Du stehst meinen Betrachtungen als freier Mensch gegenüber. Für was Du im Spiegel meiner Betrachtungen innerhalb Deiner Bewusstseinsseele für „Dein Sein“ tiefer erwachen willst und kannst, das entscheidest allein Du. Niemand kann Deine diesbezüglichen Prozesse innerlich verfolgen, d.h. Dir dabei über die Schulter gucken.

Manipulation und Einflussnahme auf andere Menschen ist allein an der Schnittstelle zwischen Verstandesseele und Bewusstseinsseele möglich … und das so lange bis ich mich einzig und allein auf mein „Bewusst-Werden“ bereit bin einzulassen. Was im gleichen Atemzuge heisst, dass ich davon Abstand zu nehmen weiss, dass ich einen anderen Menschen niemals allein durch mein Sagen, meine kritischen Repliken und seien diese über assoziatives Skaten hinaus auch stringent sachlich gehalten in seinem Verhalten zu einer Kurskorrektur veranlassen (sprich z.B. von seinem „Rechtsdrall“ abbringen) kann, wenn ich meinerseits nicht in Vorleistung gehe, in Vorleistung, was die eigene Seelenverwandlung betrifft. Die Substanz meiner Seelenvertiefung zu mehr Bewusstsein bezüglich meines eigenen Sein kann allein ätherisch, astrale Kräfte gleichsam so gereinigt freisetzen, dass sie dem Ich-Erwachen anderer Menschen dienen können. Und damit bin ich bei Rudolf Steiner und seinen vielleicht kurzschlüssig zu ermittelnden Fehlleistungen angelangt.

Rudolf Steiner ist den Weg des Bewusstseins gegangen. Er hat also nicht über Bewusstsein gesprochen, er hat Bewusstsein durch sein Leben von allem Anfang an erlebend gelebt, war ganz dem Sein zugewandt, wie es sich an den Wegrändern seines Lebens ihm darbot. Ihn (Rudolf Steiner) überbetont weiter als Hellsichtigen oder Eingeweihten darstellen zu wollen muss von heute her gesehen daher als ein Relikt der Verstandesseele angesehen werden, welche Vertreter derselben zu einseitigen Überhöhungen von Personen verführt, die ihrer Zeit weit voraus eilten, um für die Nachfolger derselben ein vermeintlich geeignetes Ventil zu schaffen nicht allzu stark in die Untiefen der eigenen Seelenlandschaften hineingezogen und zu Bewusstseinsarbeit herausgefordert zu werden. Dass mit einer in dieser Weise installierten Verehrungskultur zeitgleich aber auch der Wille zur Bewusstseinsvertiefung korrumpiert wird entgleitet dem inneren Blickfeld dieser Vertreter. Unter dem Leitgedanken notwendigen sozialen Gleichgewichts werden auf diese Weise überkommene oben/unten Machtstrukturen erhalten und verschleiert angstgesteuert die „wir sind noch nicht so weit Illusion“ aufrecht erhalten.

Rudolf Steiner ist den Weg der Bewusstseinsseele gegangen. Und was tun wir: Wir schütten unseren eigenen Seelenmüll über ihm aus und versuchen ihn für unser Entwicklungs-Versagen, was das zeitgerecht zu lebende Bewusstsein betrifft haftbar zu machen. Hallo, sind wir wirklich nicht zu mehr Weisheit (und vor allem Krafteinsatz) fähig.

Michael, ich sage bewusst betont hier wir und schliesse mich selbst damit ein und eine Kritik von Rudolf Steiner nicht aus. Ich sage nur, ohne tiefgreifende Selbstkritik ist eine ernsthafte  und vor allem wissenschaftliche Kritikebene in Bezug auf Rudolf Steiner nicht zu installieren. Einen Bewusstseinsmenschen kannst Du nur aus einer annähernd adäquaten Bewusstseinsbemühung heraus anfangen (auch wissenschaftlich) zu kritisieren, so Du nicht da oder dort in die Irre gehen willst. Ich sage „Bewusstseinsbemühung“ und stelle es mit dieser Darstellungsweise in das freie Ermessen derer die diese Zeilen lesen sich diesbezüglich innerlich zu überprüfen. Denn Selbstkritik jenseits einer Scheinübung erwächst aus … Selbstbeschämung … und die kann schmerzhaft wie befreiend in ihren Auswirkungen in Erscheinung treten.

Selbstbeschämung ist vor der seelischen Beobachtung jedoch auch der Spinnefeind der Verstandesseele. Dual ausgerichtet versucht diese durchwegs einen Schuldigen für eine jede in ihren Augen gesichtete Ungereimtheit nach aussen hin ausfindig zu machen, um auf diesem Wege möglichst alle Ungereimtheiten abwiegeln zu können, sprich hier konkret diese Ungereimtheiten Rudolf Steiner ans Bein zu binden. Selbstbeschwichtigend spricht sie dann von These und verschleiert, hier (auch unter wissenschaftlichen Herangehensweisen an Rudolf Steiner) die eigene Feigheit Ungereimtheiten bewusstseinsmässig tiefer zu ergründen - was sehr zeitaufwendig sein kann. Eine Zeit, von der bis heute weitgehend davon ausgegangen wird, dass Rudolf Steiner insoweit kein Thema sei, um ihm bewusstseinsmässig diese Zeit tiefer widmen zu müssen - was trotz grossen Fleisses insgesamt gesehen auch für die überwiegend wissenschaftlich philologisch ausgerichtete SKA gelten kann. Vielleicht ist dieser  Mangel aber zu gegebener Zeit einmal über einen geeigneten Ergänzungsband zur SKA auszugleichen).

Ein vorläufig Letztes noch als skizzenhafte Anmerkung: Was in meinen Augen bisher im Umgang mit dem Vortragswerk Rudolf Steiners viel zu wenig Beachtung gefunden hat ist der Umstand, dass Rudolf Steiner möglicherweise „alle“ seine Vorträge dezidiert nur an einige wenige Zuhörer seiner Vorträge gesprochen hat. Die übrigen Zuhörer waren deshalb nicht ausgeschlossen, sondern eingeladen sich diesen sehr individuellen Fragehintergrund der jeweiligen Vorträge vorgängig verstärkt erst zu erschliessen, also eine noch um einiges mehr gesteigerte Bewusstseinsarbeit in Anschlag zu bringen. Diese auf wenige Einzelne hin ausgerichtete Sprechweise Rudolf Steiners ist aber aus meiner Sicht mit zu berücksichtigen um verwendete Bilder Rudolf Steiners in ihrem Frage-Kontext zu halten und von dort her zu verstehen. Seine Vorträge könnten also sehr viel mehr Individualdokumente und „weniger bis keine“ Allgemeindokumente wie bisher angenommen sein.

Von dieser Ausgangslage her betrachtet ist das Vortragswerk Rudolf Steiners also alles andere als ein einfach kommensurables Etwas. Es ist keine Stangenware, die Du Dir, wenn auch mit Fleiss einfach so reinziehen, bzw. mehr oder weniger leichthin erarbeiten kannst. Sie ist unabhängig von ihrem jeweils individuellen Fragehintergrund und vordergründig darüber hinaus im einzelnen Fall vielleicht auch „leicht erscheinenden“ Zugang in jedem Fall Schwerstarbeit. Schwerstarbeit in dem Sinne, dass Rudolf Steiner ein siebzig Mal lesendes Durcharbeiten nur eines einzelnen Vortrages als unzureichend angesehen hat. Warum: Weil bevor sich durch die jeweilige Arbeit an einem Vortrag kein von Fall zu Fall tieferes Bewusstseinserleben einstellt dieser Vortrag nicht als durchgearbeitet gelten kann. Heute, da Rudolf Steiner nicht mehr lebt, ist die eigene Prüf-Latte hier eher noch höher zu hängen als zu seinen Lebzeiten, sie hängt im gleichen Masse aber auch tiefer dort wo durch Selbstkritik sich Tore in erweiterte Bewusstseinsräume öffnen, wenigstens für den, der darauf hinschauen mag.

Ein anderes ist die authentische Quellenlage jedes einzelnen Vortrages. Wer einmal mit der Transkription von stenographischen Vorlagen befasst war, der weiss um die Deutungsproblematik, die mitunter durch recht individuelle Kürzel des Stenographen sich bei der Transkription ergeben können. Ein weiteres Problem der stenographischen Transkription stellen darüberhinaus durch Marie Steiner (?), um der besseren Lesbarkeit willen vorgenommene sprachphilologische Kürzungen im authentischen Sprachfluss Rudolf Steiners dar. Karl Ballmer hat zu seinen Lebzeiten in unbequemer Weise auf diesen Tatbestand hingewiesen und Einzelfälle zu begründen gesucht durch die sich eine veränderte Verständnislage in seinen Augen einstellte.

Schaue ich mir diesen Tatbestand an, so scheinen in meinen Augen, trotz aller bisher aufgewendeten Arbeit bei der Herausgabe der Vorträge Rudolf Steiners, durchgängig wissenschaftlichen Standards genügende, wie auch bewusstseinsgenetisch durchgearbeitete, sprachphilologisch auf den ursprünglichen Sprachfluss Rudolf Steiners hin ausgerichtete Autographen der Vorträge noch nicht in jedem Falle vorzuliegen. Es steht also noch sehr viel innere, wie nach aussen gerichtete Arbeit an. Einzelne Worte aus Vorträgen Rudolf Steiners heraus zu zupfen und daran Interpretationen zu knüpfen, stellt für mich keinen wissenschaftlichen ehrlichen Umgang mit dem Werk Rudolf Steiners vor dem ethischen Individualismus dar, den er selber vorzuleben suchte. Bewusstsein werde Leben, jetzt, war der unüberhörbare Ruf seiner letzten Lebenszeit, den er uns als sein inneres Testament hinterliess. Haben wir ihn gehört? Ich grüsse Dich, Bernhard Albrecht

(1)  Siehe Thomas Nagel: Der Blick von nirgendwo, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 2035,
      Frankfurt am Main, erste Auflage 2012
(2)  https://ich-quelle.blogspot.com/2016_07_25_archive.html