Mittwoch, 5. Januar 2011

Donna Maria-Rosè

In jenen Tagen klopfte in Arequipa ein Mann an die Tür des Hauses einer Frau, nachdem er eine Weile wie suchend durch die verwinkelten Gassen dieser Stadt, mit ihren, in diesem Wohnviertel kraftvoll orange gestrichenen Häuserfronten gewandert war und obwohl ihr fremd, grüsste er sie voll Ehrerbietung. Sie aber war bestürzt über die  Art des Umgangs, den er ihr gegenüber zeigte. Seine Worte verwirrten sie, denn sie tönten in einer Weise an ihr Ohr, die ihr gänzlich fremd war.
Sie bat ihn herein in ihre bescheidene Behausung und sagte dabei, dass ihr die Ehrerbietung, die er ihr bezeige wohl nicht gebühre, denn sie sei nur eine einfache Frau, die ihre drei Kinder zudem alleine erziehe. An das Fenster tretend, schaute sie versonnen auf einen  Innenhof, in dem zwei Mädchen und ein Junge fröhlich miteinander spielten. Und für einige wenige Augenblicke schien sie in die Welt des Baumhauses einzutauchen, das mit einfachsten Mitteln auf der Astgabel einer Zeder errichtet war, die sich kraftvoll über alle Dächer der umliegenden Häuser erhob. 
Der Mittelpunkt einer eigenen Welt, sprach sie, ihren Kopf leicht über die Schulter zur Seite gewendet, zu dem Fremden, der höflich nahe der Türe stehengeblieben war. Der Mittelpunkt von Frieden und Freiheit für immer mehr Kinder, auch aus der näheren und weiteren Nachbarschaft. Ist das nicht wunderschön, so wenig Aufwand und eine so weitreichende Wirkung!
Doch sich ihrer Gastgeberrolle erinnernd, wandte sie sich ebenso unvermittelt, wie sie diese Kinderwelt betreten hatte, wieder ihrem eigenen Wohnraum zu. Weiss gekalkt, schmückten diesen alleine zwei alte, wunderschön bemalte Holztruhen. In einer Nische standen nebeneinander drei kleinere Betten, mit in drei Farben sauber auf geschütteltem Bettzeug. Ihr eigenes Bett, den ein weisser Betthimmel überspannte, stand zur Hälfte vor dem Fenster. Gegenüber, etwas in den Raum gerückt, erhob sich eine kräftige Mauerverstrebung, in die unten eine Rundung ausgespart war. Hier hingen, sauber geputzt, Töpfe, Pfannen und Geschirr über einem offenen Feuer, daneben stand ein Holzzuber zu Badezwecken, über dem wiederum wohl geordnet die wenigen Kleidungsstücke des Alltags aufgereiht an Hacken hingen.
Mit einem feinen Lächeln nahm der Mann an dem einfachen Holztisch Platz, während die Frau seinen blauen Mantelumhang neben der Türe aufhängte. Er erzählte, dass er gegenwärtig durch viele Länder reise, auf der Suche nach Menschen mit einem offenen und mutigen Herzen. Wie er so mit ihr sprach und von dem einen und anderen Erlebnis berichtete, nannte er sie eine Begnadete unter den Frauen, denn ihre Auffassungsgabe leuchte ihm entgegen in einer Reinheit ohne gleichen. Er fühle sich geehrt durch die Art, mit der sie seinen Worten lausche.
Und so wolle er ihr ein Geheimnis offenbaren, dass sie, so sie sich entschliessen könne, es in rechter Weise zu behüten, sie in den Rang einer wichtigen Person innerhalb weltumspannender sozialer Erneuerungen erhebe. Sie aber antwortete: Wie kann das sein, da ich doch die unscheinbarste unter den mir bekannten Frauen bin? Wie kann mir ungebildeter Frau  eine solche Aufgabe und Verantwortung übertragen werden? Wie könnte ich diese tragen, da mein ganz gewöhnliches Tag Werk mir oft schon den Rücken krümmt?
Er aber sprach zu Ihr: Sobald Du den Worten des geringsten unter Deinen Mitmenschen in gleicher Weise lauschen und ihre Kraft in Deinem Herzen bewahren wirst, wie Du mir jetzt von Deinem innersten Wesen her offen begegnet bist, wird Dich die Kraft des höchsten Geistes überschatten und Dir Worte in den Mund legen, die Welten bewegen werden. So wirst Du durch Dein Worten die Ich Kraft der Menschen gründen und stärken, die das Glück haben für eine kleine Weile Gast in Deinem Haus sein zu dürfen.
Und er sprach weiter zu ihr. Fürchte Dich nicht Maria, denn unter allen Frauen hast Du Gnade vor dem Herrn gefunden die erstorbene Menschensprache unter Deines Gleichen wieder zu beleben und in ihrer Ich Kraft aufgerichtete Menschen als Götterboten in eine dunkle Welt zu entsenden, auf dass das Licht in ihr wiederum erscheine und stetig wachse.

Siehe, ich bin der Erzengel Michael, der Erzengel der Auferstehung aus dem Geiste der Metanoia.

Doch in dem Augenblick, als in ihrem Geiste Verstehen aufflammte, was da vor ihren Augen geschah, war der Unbekannte über die Schwelle ihres Hauses in der langsam heraufziehenden Dämmerung entschwunden. Sie aber sann noch lange über seine Worte und fasste dann einen Entschluss.

© Bernhard Albrecht