Montag, 20. November 2023

Neutralität … die zur Geburt zu bringende Zeitenwende Kunst (Ein Versuch hier Neulande zu betreten)

„Die Digitalisierung der Welt, die einer totalen Vermenschlichung und Subjektivieren gleichkommt, bringt die Erde ganz zum Verschwinden. Wir überziehen sie mit unserer eigenen Netzhaut. Dadurch werden wir blind gegenüber dem anderen. … sie (die Menschen haben) das Staunen über jenes andere sich abgewöhnt, mit steigernder Vertrautheit ums Fremde sich betrogen (1).“ 

Dieses Zitat habe ich bewusst von dem hier nicht zum Thema schreibenden Autor Byung-Chul Han übernommen um damit von Anfang an jenseits unserer eigenen Denkansätze bezüglich des Themas „Neutralität“ und von daher grundsätzlicher politischer Perspektiven zum Problemkomplex politischen Handelns leise drauf aufmerksam zu machen, dass Neutralität heute weltweit grundsätzlich neu zu denken und in seiner Eigenheit neu zu fassen ist. Mithin eine Kehrtwende von in eigener subjektiver Befangenheit erblindetem Verständnis gegenüber der Wirklichkeit zu vollziehen ist. Denn: Die Wirklichkeit zeigt uns allenthalben, von einer Waffenstillstandsabsprache zwischen verschiedenen Rebellengruppen, einem Übereinkommen in einem wirtschaftlichen Fusionsprozess zweier Firmen oder in Gesprächen über die Möglichkeiten wie im Krieg stehende Nationen den Weg an den Verhandlungstisch finden können, dass letztlich alles an der in nachvollziehbaren Tatsachen niedergelegten folgerichtigen Gedankenführung, sprich Glaubwürdigkeit vertrauensbildender Massnahmen, ohne Hintertüren und  verborgene Schlupflöcher hängt, die im Vorfeld zum Austausch gelangen. Und damit weist >die unbegrenzte Offenheit im Denken< dieser in Verhandlungs- bzw. Friedensinterventionen tätigen Männer und Frauen zugleich auf die Essenz der Neutralität hin, die mit der Zeitenwende neu zu belichten ist.

Neutralität im Denken, wie das? Ein Prozess, der taste ich nur einmal meine eigenen Denkwege daraufhin ab alles andere als leicht herbeizuführen und sehr oft noch schwerer zu halten ist. Ein Gleichgewichtsprozess auf dem Hochseil (2) mit unvorhersehbaren Abstürzen in eigenes Vermeinen, ein Zurückfallen also auf in der Vergangenheit bereits gedachte Denkpositionen, sprich Vorstellungsbildungen ohne dieselben vom Jetzt her zu  überprüfen und gegebenenfalls >neu zu denken<. 

Kann es sein, dass Neutralität dem Erleben nach auf Offenheit, auf weiträumig, wie gleicherweise in die Tiefe hinein fragendem Interesse für das Andere, das im anderen Menschen Fremdartige in seiner Ausdrucksweise beruht? Dass wir anstatt uns um eine Anschauung gegenüber mancherlei Fremdartigem, das mit diesem Menschen verbunden ist uns zu bemühen und … von daher schrittweise in vorsichtiger Annäherung auf das Hochseil des Begegnen mit ihm hinaus zu wagen … wir wortreich unsere Subjektivismen über dieses oder jenes Gesagte ausstreuen und Begegnung in der Tiefe so von Anfang an untergraben?

Neutralität kann demnach genauer besehen heute konstitutiv nicht mehr auf einer wie auch immer gearteten historischen Empfindungsgrundlage überkommener Anschauungsweisen ihr Fortbestehen gründen. Sie kann vielmehr nur insoweit  glaubwürdige Realität in der inneren Haltung von Menschen zueinander und von Völkern über Grenzen hinweg Wirklichkeit werden, wenn diese bereit sind Neutralität, sprich offenes Interesse für das Fremde, das so Andere von Augenblick zu Augenblick fliessend  neu zu denken und praktisch in Alltagsbegebenheiten entsprechend zu bebildern. Was z.B. heisst: Unbequeme Wirklichkeiten offen zu legen und von daher der Trennung von politischer und militärischer Neutralität (wie gegenwärtig im schweizerischen Diskurs zu diesem Thema nicht länger das Wort zu reden und derartige Konstrukte als das zu bezeichnen was sie sind. Vorsichtig formuliert: Ein Ausdruck von Nicht-Bereitschaft der Doppelbödigkeit vielfach sich überlagernder, verborgener politischer Wahrheitsrealitäten ernsthaft Aug in Auge zu begegnen. … Was sodann bedeutete ohne Interessen-Verschleierung sich zu öffnen für das Fremde, das mit der gegenwärtigen Weltlage dieses Land bestürmt. 

Ein Sturm fegt über Europa hinweg, eine Flüchtlingswelle, die immer weniger tatsächlich integriert werden kann. Integriert, weil es dabei nicht allein um die Einbindung in die bestehenden Sozialsysteme geht, die notwendig an ihre Grenzen gelangen müssen, wenn die Aufgabe der Integration nicht tiefer erfasst und allseitig auch gelebt wird. Heisst es doch vor dem deutschen Grundgesetz die Würde des Menschen ist unantastbar. Würde kann aber spitz formuliert nicht bundesweit in Container Wohneinheiten abgelegt, bzw. europaweit in Flüchtlingslagern (wie z.B. Lesbos und Lampedusa oder Pariser Vorstädte), hinter gegenseitig sich blockierenden Verwaltungsvorschriften verschoben bzw. ausgegrenzt, ohne Perspektive festgehalten und … vergessen werden.

Würde ist etwas das gelebt, also bevor es gelebt werden kann in seinen inneren und äusseren Lebensbezügen erkundet und gefördert sein will. Wenn Würde über gelegentliche politische Proklamationen zu den Menschenrechten hinaus heute eine innerstaatliche Lebensrealität darstellen würde, könnte es dann soviel bundesweites  Cyber- bzw. Schulhof- Mobbing geben? Wer den Umgang mit Würde in der Schule nicht umfassend genug lernen konnte, ist von dem in seinem späteren Leben zu erwarten, dass er sich dem Fremden soweit öffnen kann um an seiner Integration  a k t i v  mitzuwirken?Ist der in der Lage, dass er sich dem Übergriff z.B. von Seiten diverser Clan-Bünde innerhalb seiner Möglichkeiten widersetzen kann und Grenzen zieht, die letztlich zum Schutze des eigenen Gemeinwesens beizutragen vermögen? Wo Migration innerstaatlich zum Problem wird verweist das auch auf weitreichende bildungspolitische und staatspolitische Versäumnisse in der Vergangenheit zurück. 

Stürme erfassen einen Landstrich nicht von ungefähr. Sie sind Folge komplexer Luftdruck-Verhältnisse und mähen zu ihrer Zeit Wälder nieder oder führen zu Überschwemmungen ganzer Landstriche. Sie sind von daher Mahnrufe über die Erneuerung im weitesten Sinne des Wortes ernsthafter nachzudenken, sind Weckrufe dafür was Leben in seiner Tiefe bedeutet. 

Wenn also Flüchtlingsströme Europa  b e s t ü r m e n dann ist das auch ein Aufruf für: „ÄNDERT euren Sinn.“ Sprich für ein tief greifendes Metanoia auf eigene Lebenseinstellungen hin. Neutralität gebiert sich nämlich letztendlich aus der Bereitschaft zu eigener Lebensveränderung. Sie ist von unten her eine Lebensherausforderung auf „das Fremde“ hin und damit eine Aufgabe ein freies Geistesleben in Willenstaten zum Leben zu erwecken. 

Nüchtern betrachtet ist es die aller höchste Zeit das unverhohlene Donnern im gegenwärtigen Weltgeschehen (China) wirklich tiefgreifender zu erfassen, das da lautet: Kümmert euch um euere eigenen Missgeschicke was die Menschenwürde betrifft anstatt uns „Menschenrechts-Mahnplaketten“ bei jeder nur denkbaren Gelegenheit zu überreichen. Unsere Kultur ruht auf Grundlagen, die euch solange fremd bleiben müssen wie ihr dem schleichenden Fremdsein in euch selbst nicht ins Auge sehen wollt. Wandel durch Handel ist das eine, wirklich gelebter Respekt unserem Land, unserer Kultur gegenüber das andere. Von der Notwendigkeit des zu lebenden Respekts dem eigenen Sein gegenüber einmal ganz zu schweigen.

Die Grunderfahrung von Neutralität ist für den, der fragend im Sinne des Sokrates durch das Nichts hindurch - die Stille - sich ihr annähern will die  ERFAHRUNG von FRIEDEN. Frieden ist von daher die Erfahrung von Gegenwärtigkeit im Denken ohne wenn und aber. Verschleierungen im Denken, die nicht zeitgerecht verwandelt werden können sind mithin die Gewähr dafür, dass  Krieg weiter eine Notwendigkeit bleibt. Denn was heute in der Ukraine geschieht ist vom Grunde her nichts anderes als ein Kampf um das Bewusstsein des Menschen. 

© Bernhard Albrecht Hartmann 20.11.2023 

(1)  Lob der Erde - Eine Reise in den Garten 

      Ullstein Buchverlage Berlin, 3. Auflage 2020, Seite 25

(2)  Siehe: https://ich-quelle.blogspot.com/2019/12/der-dialog-als-beburtsstatte-der.html 

(3)  und: https://ich-quelle.blogspot.com/2023/06/vom-geistigen-pfingstfeuer.html