Montag, 30. November 2015

Wenn das so einfach wäre ...

Eine nachträglich eingefügte Vorbemerkung.
Mitten im Schreiben an den nachfolgenden Ausführungen trat eine junge Frau an mich heran, die in einem inter-kulturellen geistigen Entwicklungs-Konflikt in hoch sich aufbäumende Wellen übereinander her stürzender gegensätzlicher Vorstellungswelten geraten war, die ihre physische Integrität bedrohten und noch bedrohen, wie ihre innere Welt in Katerakt Stürzen durch und durch wirbelte. Eine derartig kritische Schicksalssituation ist nicht mehr „aus überlieferten Vorstellungen“ heraus zu steuern und zu begleiten (siehe vergleichend dazu eine sinngemässe Bemerkung von Justus Wittich auf der erweiterten Klausur von Funktionären der AAG und der FHfG für eine geplante Michael - Konferenz 2016)   
(Abschnitt: Geplante Michael-Konferenz 2016) Hier geht es um den Mut sich eigenen Scham-Welten stellen zu können und aus der Erfahrung daraus mit einem solchen Menschen zu sprechen, um ihn hilfreich erreichen zu können. Kurz und bündig gesagt, erübrigt sich damit die Frage: „Wie kann das weltverbundene Ich als geistige Tätigkeit in der eigenen Seele entdeckt werden?“  
Denn die Erfahrung eigener Scham wird mir Quellpunkt jene Worte zu finden, aus denen heraus ein solcher Mensch in seine Ich-Aufrichte finden kann. Von daher sind die nachfolgenden Ausführungen aktueller und brisanter zu nehmen, als sie an der Oberfläche betrachtet zunächst erscheinen mögen. Dass ich, indem ich so denke mich um 180° gekehrt gegen die Auffassung von Bodo von Plato denkend bewege 
(Abschnitt: Keine geführte Gruppenmeditation) ist mir klar. Mit einer Selbst- oder Fremd-Deckelung eigener Schamwelten im Hintergrund kann ich in Konfliktlagen wie der hier angesprochenen nicht aktiv tätig werden. Aus meiner Sicht ist es daher aller höchste Zeit die Mumifizierung der überlieferten einschneidenden Erfahrung Rudolf Steiners von seinem „Gestanden Haben vor dem Mysterium von Golgatha als Sondererleben durch seine Nachwelt auf ihn allein bezogen herunter zu kommen. Denn, gehe ich hier nur von meinem Erfahren aus, so zeigt sich mir nämlich, dass solche Erlebnisse mittleren bis sehr tief reichenden Grades unter jungen Menschen immer mehr Verbreitung finden. .......
                           
Ohne die Gedankengänge von Burkhard Schildt 
in Frage zu stellen, will ich im Folgenden diesen einige weitere Gedankengänge zur inneren forschenden Betrachtung im seelischen Beobachten an die Seite stellen. „Ein Bild“ … „ist jede Welt.“ Ob „des Ich,“ das will aus meiner Sicht genauer unter die Lupe genommen werden.
Versuchsweise Schritt 1: Ein Archiv-Bild, ein Archiv-Bild meiner inneren Welt ist jede Welt, die vermeintlich mir von aussen entgegen tritt, eine Ablagerung aus Seelentiefen mithin oder schlicht, meine Vorstellung, mein zurecht gezimmertes Bild von Welt.
Will ich mich versuchsweise auf diese Sicht einlassen, so bekomme ich es von allem Anfang an hier mit einem meist blitzschnell zur Seite geschobenen Widerwillen zu tun. Ist doch die Auffassung in mir von Grund auf verankert, ich hätte es mit dem Denken des Anderen zu tun, dem ich gerade zugewandt bin. Und jetzt das, ein Archiv-Bild (oder doch in weiten Teilen ein aus meinen inneren Archiven geschöpftes Bild) meiner inneren Welt ist das, was ich aus einer Äusserung des anderen Menschen „zunächst“ ablese, wenn ich denkend etwas über das Denken eines anderen Menschen zum Ausdruck bringe.
Versuchsweise Schritt 2: Bin ich bereit mich innerlich der Bestürzung, dem Wanken meines fest in mir verankerten Bildes vom Denken zu stellen, was kann sich daraus des Weiteren ergeben? Ich will hier nicht die gesamte Vielfalt aller Aspekte, die sich für eine ausforschende Untersuchung auf dem Felde des seelischen Beobachten hier anbieten können, gewissermassen nacheinander ins Auge fassen. Das zu tun wäre die Aufgabe langwieriger innerer Laborversuche, die ein jeder, dem es ein tieferes Anliegen wird, nur sukzessive an Hand der immer wiederkehrenden Herausforderungen in der Auseinandersetzung mit den Denkweisen anderer Menschen wird vollziehen können. Insofern ist jeder andere Mensch eine sich anbietende neue Möglichkeit  der Wirklichkeit des Denken jenseits der Verfremdungen, die es durch meine Archiv-Bild Überlagerungen beständig erfährt, näher zu treten.
Was ergibt sich also jenseits der Bestürzung, so ich durch sie mich nicht aus dem Tritt habe werfen lassen? Ich befinde mich in der Situation den Boden unter meinen Füssen zu verlieren und wehre mich dagegen … durch Beharren auf meinen Vorstellungen gegenüber anderen Menschen oder konkreter, indem ich dem Hinterfragen meines Verhältnisses zur Anthroposophie auf mehr individualisierte Tiefe hin weiter ausweiche.
Selbstkritisches Hinterfragen ist ein schmerzlicher Prozess und Menschen, die direkt oder indirekt einen derartigen Prozess anstossen, werden allzu schnell zu Gegnern in einem bestimmten Sachzusammenhang hoch stilisiert, wenn eigene gewohnte Denkweisen eruptiv erschüttert werden. Ob laut argumentierend in eine Auseinandersetzung eingreifend oder still den Kopf schüttelnd über dies oder das Gesagte. Der Boden, den ich unter meinen Füssen zu haben vermeine, er umschlingt mich, mehr als mir dies zunächst bewusst wird mit einer Vielfalt gleichsam klebriger Fangarme. Meine Vorstellungen von der Welt entfalten nämlich eine höchst differenzierte Eigendynamik. Warum? Um nicht als Illusionen von mir in Bezug auf die Welt entlarvt werden zu können.
Denn: Die Illusion als Mutter der Sicherheit stellt sich mir verschleiert immer dann in den Weg, wenn ich mich mit dem Denken eines anderen Menschen auseinander zu setzen beginne. Solange ich nämlich nicht eine besondere Achtsamkeit darauf verlege, nehme ich meist deutlich mehr  Mass an meinen Vorstellungen, die ich mir (in der Vergangenheit) gebildet habe, als es mir im Augenblick des Geschehens zunächst bewusst wird. Kurz, ich setze sie in meinen Bemühungen mir das Denken eines anderen Menschen zu vergegenwärtigen, unmerklich als Marker, wenn nicht gar als fest einbetonierte Pylone in Szene.
Das Denken eines anderen Menschen unwidersprochen zunächst einmal gelten zu lassen und sich Zeit zu geben es je nach Sachlage auch über längere Zeit hinweg immer wieder unter neu eingenommenen Gesichtspunkten zu untersuchen - mit jeweils offenem Ende - diese Kunstfertigkeit, bildet sich aus meiner Erfahrung heraus sukzessive nur, wenn ich vor jedem Urteil über einen anderen Menschen zuerst einmal nachhaltig meine eigenen Vorstellungen, Vermutungen und Ängste, die im Zuge gewisser Gedankengänge von Seiten dieses anderen Menschen in mir in Erscheinung treten mögen, auf den Prüfstand stelle.
Lebendiges oder reines Denken bis in den Alltag hinein, entwickelt sich aus der Art und Weise ob und wie weit ich es gleichsam immer wieder schaffe verflüssigend auf eigene zu Tage tretende Vorstellungskomplexe Einfluss zu nehmen.
Die Märchengestalt des treuen Heinrich in dem Märchen der Gebrüder Grimm: „Der Froschkönig,“ kann sich in einer meditativen Betrachtung hier in der Weise tiefer erschliessen, dass mir klar wird, die eisernen Ringe fallen dem treuen Heinrich dann als Last ab, wenn es gelingt Vorstellungskomplexe in sozialen Interaktionen vom Herzen her aufzulösen. Gelingt das, indem ich Verantwortung ausschliesslich für mich übernehme und vorschnellen Widerspruch bändige, dann kann der „Prinz“(das Ich) in seiner Kutsche Fahrt aufnehmen, weil er die Kraft der Bewegung im eigenen Denken mehr und mehr erfährt, die ihn vorwärts trägt.

Mit dem Denken ist das also so eine Sache. Der Schein trügt. Das Erleben beständig innerlich mehr oder weniger von Gedanken umgeben zu sein gibt in meinen Augen noch keinen Aufschluss darüber zu wissen was Denken sei, geschweige denn so denken zu können, dass ich in meinen dahin gehenden Bemühungen nicht immer wieder in Illusionen hineinlaufe.
Doch wie kann ich dieser Gefahr begegnen? Vorstellungen haben es genauer betrachtet nämlich so an sich sich zu verfestigen und den einmal im Bewusstsein eingenommenen Platz von sich aus einfach so zu räumen liegt nicht in ihrem Sinne, es sei denn ich gehe immer wieder auf Neuland Wanderschaft und erweitere meine Innen- wie Ausseneinsichten und verändere meine Vorstellungen fortlaufend. Konkret gesagt: Ich bin bereit zu lernen, wie ich mir selber Feuer unter den Hintern legen kann. Etwas tiefer auseinander gefaltet, ich bin innerhalb meiner inneren, mich selbsterkundenden Höhlenwanderungen, bereit mich auf die Suche nach Brennholz zu machen. Und wo finde ich dieses (numinose) Brennholz? In meinen Vorstellungen, die letztlich nur darauf warten verbrannt zu werden!
Tue ich das nämlich von mir aus nicht regelmässig, Brennholz spalten und abfackeln, d.h. an  die Stelle vielleicht vor Zeiten einmal gebildeter Vorstellungen in einem lebendigen Denkprozess beständig  darauf bedacht zu sein neue zu entwickeln, ja dann geschieht das, was im Grunde ein jeder wissen könnte. Wenn abgelagertes Holz nämlich nicht in der rechten Weise belüftet oder zeitgerecht verbrannt wird, dann entzündet es sich irgendwann unerwartet von selbst und entfacht einen sozialen Netzwerkbrand.
Wie das? Muss ich das belegen? Ich denke, wer hier zur Sache gehen will, der kann in seiner eigenen Erinnerung Beispiele von Erfahrungen finden, wie er selbst schon diesen oder jenen sozialen Netzwerk-Brand durch unbedachten Umgang mit „Vorstellungsfeuerwerk“ ausgelöst oder befördert hat. Es ist also müssig sich diesbezüglich etwas vorzumachen. Was ich hier sage hat eine ganz praktische Seite, der sich ein jeder, nach innen hin forschend, wie gleichermassen nach aussen tätig, zuwenden kann. Und nebenbei noch hinzugefügt, könnten sich auf diese Weise zunehmend mehr Menschen auf den Weg begeben sich zu „Mit-Entwicklern“ zu befähigen im Hinblick auf die in meinen Augen dringend notwendige Erweiterung des gegenwärtigen Wissenschaftsverständnisses durch einen selbstkritischen Umgang mit dem eigenen Denken.
Und dieses scheint mir in einem laufenden Auseinandersetzungsprozess wechselseitig für beide Seiten, Gegner wie positive Vertreter in einer Streitfrage notwendig zu gelten. Im konkreten Falle aus meiner Sicht ganz besonders in den Auseinandersetzungen um die wissenschaftliche Edition der Grundwerke von Rudolf Steiner (SKA).
„Ein Bild“ … „ist jede Welt. Drum prüfe, wer ein Urteil fällt,“ … (was da von mir) „dem andern“ (möglicherweise)(auch posthum Rudolf Steiner)„ unterstellt“ wird, in vielleicht nicht tief genug hinterfragten eigenen Sach-Vorstellungen oder wie nebenbei übertragenen Angst - Komplexen, die dieser eine andere Mensch in mir leise (und damit für das seelische Beobachten zunächst auch zu überhören, bzw. blitzschnell beiseite gedrängt) auslösen mag, die aber für mich nur sichtbar an die Oberfläche treten, wo ich bereit bin „eigene Positionen“ mit einem langen Atem gründlich zu hinterfragen und andere Denkweisen wenigstens versuchsweise, ich wiederhole das hier mit Bedacht, ohne vorauseilenden Widerspruch, nicht nur auf diesen Menschen, sondern vielseitig vernetzt bezogen, mitzudenken.
Die seelische Beobachtung ist - ein weites, in die Tiefe reichendes Feld - das zur nachhaltigen Handhabung einen jeden Zeitgenossen immer wieder still auffordert. Individuell höchst variabel, befreit sie aus sich jene Kraft, die echten Erkundungswillen in die Erfahrung seiner Freiheit führt. Keine wie auch immer geartete Autorität, kein Anhaften an mehr oder weniger in Gewissheiten  erstarrtem Geistesgut kann dies. Ich, wir, sie alle sind hier also zur Übernahme von einem Mehr an  Initiative sich selber gegenüber, zu einer inneren Umkehr herausgefordert.
Nur mit Eigenverantwortung, mit einer Initiative zu nachhaltig mehr Eigentätigkeit und Selbstverantwortung kann es Entwicklung auf den Wegen eines sich weiter und tiefer entfalten wollenden „Anthropos“ geben. So sehe ich das und erzähle deshalb mit den hier niedergelegten Gedanken aus eigenem Erfahren. Vielleicht kann ich den einen oder anderen Leser damit auch ermuntern ganz in seiner Weise ein Ähnliches zu versuchen und wertschätzend dialogisch sich aus einer solchen Haltung heraus an geeigneter Stelle in soziale Netzwerke einzubringen, wo immer er dieses für sinnvoll erachten mag. Ich jedenfalls lausche dies der im unscheinbaren webenden Sprache des Zeitgeistes ab und lasse es durch meine Worte verlauten.   

Doch ich möchte die oben ansatzweise aufgenommenen Gedankengänge noch etwas erweitern für ein eigenes, über meine Gedanken hinaus gehendes Sinnen und erkundendes Forschen im Felde des Denkens. Aus meiner Sicht ist nämlich das vielleicht wesentlichste Hindernisse auf ein zu entwickelndes lebendiges oder reines Denken bis in den Alltag hinein, also herunter aus einem unterschiedlich ausgerichteten Abgehoben Sein, herein in das Jetzt (ob anthroposophisch oder in wissenschaftlich Diskursen), hinein in ein fliessend gestaltetes Denken des jeweiligen Augenblicks, das Ausüben desselben als abstraktes Geschehen. Es ist gewissermassen unser Bildungserbe, dass wir damit ausschliesslich mehr oder weniger auf ein abstraktes Denken hin geschult wurden. Im abstrakten Denken haben wir aber die von innen her zu gewahrende Verbindung zur Bewegung als Kraftgestalt des Denkens  verloren (R.Steiner spricht im Zusammenhang mit den Mysterien Dramen diesbezüglich verklausuliert vom Strader Mechanismus).
Selbst einem Geisteswissenschaftler nach dem heutigen  Wissenschaftsverständnis entgeht bei seinen mitunter höchst differenzierten Reflexionen im allgemeinen die Verbindung derselben zu entsprechenden Bewegungen, weil er seine Ideen als ziselierte Vorstellungskonstrukte handhabt und nicht mehr wie einst Platon zu schauen vermag. Tiefer betrachtet steht er in der Abstraktion also vor einem eingefrorenen Lichtprozess, einer im intellektuellen Denken zurück gedimmten Lichterfahrung, die Aristoteles noch über die Sinne erlebend zugänglich war.
Dies denkend negativ zu besetzen wäre aber grundfalsch, denn die Abstraktion ermöglichte es dem Menschen sich als ein Selbst der Welt gegenüber stellen zu können und eröffnete ihm damit die „Möglichkeit“ zur Freiheit
Für die Auflösung der Abstraktion im Denken des heutigen Menschen, mit seinen tiefgreifenden  Folgen für das Leben in sozialen Netzwerken könnte sich über die seelische Beobachtung zunehmend ein Weg eröffnen, wenn sie denn,  breiter ins denkende Bewusstsein gerückt würde, wie oben aphoristisch skizziert. Für die akademische Wissenschaft könnte in der praktischen Auseinandersetzung in inneren Labor Feldversuchen am Ende eine erweiterte Phänomenologie der inneren Kraftgestalt des Denkens stehen, welche die Behauptung von Kant, vor ihm hätte es noch keine Philosophie gegeben (siehe Eckhart Förster: Die 25 Jahre der Philosophie), unter einem ganz neuen Licht zu lesen ermöglichte.

Ich breche meine Gedankengänge hier ab, weil, wie in der Vorbemerkung angedeutet, wegen praktischer Handlungsnotwendigkeiten ich auch in der nächsten Woche keine Möglichkeit sehe weitere Notizen für diesen Blog Beitrag auszuarbeiten um ihn damit abzuschliessen. Für mich hat die konkrete menschliche Begegnung Vorrang vor jeder schriftlich „erwarteten“ weiteren Ausarbeitung zu Fragekomplexen um die seelische Beobachtung herum. Ich erlaube mir deshalb diese Gedankengänge als Fragment stehen zu lassen.

© Bernhard Albrecht Hartmann