Dienstag, 16. März 2021

Einer wagemutig fragenden Freundin zugeeignet

Zuerst einmal, Du bist eine sehr mutige Frau … und ich denke und empfinde das aus meinem tiefsten Herz-Denkkräften heraus, wenn ich dies an den Anfang meiner Antwort auf Dein Fragen hin hier sage. Du bist bereit Dich den zunächst unangenehmen Begleit-Empfindungen in der denkenden Auseinandersetzung um das Nichts zu stellen. Wenn ich mir vor Augen halte, dass allein im Januar diesen Jahres 1150 Menschen diesen Beitrag angeklickt haben, der Dein Fragen ausgelöst hat, dann frage ich mich, in welches Kästchen haben diese Menschen ihre Kenntnisnahme von dem dort Gesagten abgelegt? … Und sind weitergeschritten … ohne anscheinend innezuhalten und für sich „tiefer“ zu hinterfragen, was das dort Gesagte für sie bedeuten könnte, wenn sie sich ihm denn jenseits der Neugier öffnen würden.

Nun, es ist wie es ist. Wir sind in weiten Teilen zu einer „Klick-Gesellschaft“ degeneriert, zu einer Gesellschaft ohne vielerorts tiefer reichendes sowie anhaltendes Interesse für andere Menschen und deren Denkweisen … und noch weniger Interesse für die tatsächlich tiefer gelagerten Abläufe unseres eigenen Denkens. Unser Rückspiegel auf unser eigenes Denken hin ist, ja er ist „dauerhaft“ eingefrostet und vorstellungsverklebt … und niemanden „erschreckt“ das. Das Frostschutzmittel für den Rückspiegel unseres Autos haben wir zur Hand, nicht aber die Aufmerksamkeit für die krebsartigen Abstraktionen, die unser eigenes Denken von der Wirklichkeit abschnüren.

Soll sich das ändern, geht es also um Offenheit für das Sagen des Du schlechthin, um die lauschend bis auf den Grund hin fragend zu erschliessende, verschlüsselte Entwicklungsherausforderung, abgelegt als Botschaft des Geistes in den individuell unterschiedlichen Resonanzen, die ein Du (die ich) mit einem Sagen auslösen können. Mit der inneren Hinwendung auf die individuellen Resonanzräume wird nämlich jener Frageraum erschlossen, der einst schon Sokrates vor Augen stand, wenn er seine Schüler ermunterte denkend dem Geist auf den Grund zu gehen. Denkend bis an das Erfahren des „ich weis, dass ich nicht weis“ fragend vorzudringen. 

Was von heute her gesehen dann heisst: Das über die Abstraktion hinaus sich weitende Denken bringt vor die innere Anschauung einen in sich gelagerten gegenläufigen Willensprozess. Schöngeistig zu gepuderte verdeckte Ängste oder Mut. Ich bin die Lösung für alles, was in der Welt geschieht, ich bin die Kraft der Veränderung, die freizusetzen meine Verantwortung ist, eine Verantwortung, die nicht delegiert werden kann. Denn das Ich ist in seiner Kräftekonfiguration einmalig. Fehlt die besondere Kräftefarbe auch nur eines einzigen Ichs oder wird sie innerhalb der denkenden Auseinandersetzung mit ihr in einem bestimmten Lebensmoment nicht ernst genommen, so zieht das mehr Folgen in untereinander vielschichtig zugeordneten sozialen Kräfteverbindungen nach sich, als das auf ein Erstes hin zumeist sogleich konstatiert werden kann.

Was sich dazwischen schiebt … so diese oder jene Vorstellungen, Ängste … sie sind selbst gezimmerte Konstrukte. Du kannst nicht aus dem Denken herausfallen, wenn Du Dich nur immer tiefer in seine Eigenart hineinarbeiten willst. Langsam, ohne zu drängeln. Auf die eigenen Schritte dabei achtest. Viel wichtiger ist hier z.B. auf Deinen Umgang mit der Kassiererin beim Einkaufen im Supermarkt innerlich aufmerksam zu werden. Denn das öffnet die Wege zu einer tatsächlich realen Geist Erfahrung mehr als noch und noch … irgendwelche spirituellen Schatzsuchen. Oder es bläht Deinen spirituellen Egoismus leise ins Unermessliche anstatt aufzuwachen für das, was diese Frau „Dir“ gerade in diesem Augenblick non-verbal zuflüstert. Verschlafe solche Augenblicke also nicht und wache aus Deinem Tagträumen auf … dort wo es stattfindet, ohne dass Du es in der Regel zunächst bemerkst.

Ich will diese „unfrisierten“ Gedanken hier mit einer kleinen Geschichte beenden, die sich vor mittlerweile sieben Jahren genau so zutrug, wie ich sie hier erzähle(1).

Ich war 14 Tage, lose angebunden an eine Reisegruppe im Südwesten der USA unterwegs. Zum ersten Mal ... und auf der Grundlage eines Freundschaftsgeschenkes. Nach mancherlei Anstrengungen besuchten wir zum entspannten Auseinander-Gehen noch einen wunderschönen Erlebnis-Naturpark. Eigentlich hatte ich kein grosses Interesse an den Möglichkeiten die eigenen Kräfte zu erproben, welche dieser Naturpark bot … bis eine junge Frau an mich herantrat, mit der ich während der Reise nur einige Male eher peripher in Berührung gekommen war. Sie schaute mich an und sagte, ich würde eine so grosse innere Ruhe ausstrahlen, während sie selber von Ängsten geplagt werde, die sie schon lange zu überwinden bemüht sei, was ihr aber bisher nicht gelingen wollte. Dabei deutete sie auf eine 15 Meter über dem Erdboden schwebende Seilbrücke mit schmalen Holzbrettern, über die von den beiden Seiten her zwei Menschen aufeinander zuzugehen hätten, um in der Mitte ohne zu Fallen sich zu treffen, vorsichtig aneinander vorbei zugehen die andere Seite der Brücke zu erreichen. Ich sah das Ringen mit der Angst in ihren Augen und sagte ihr zu das Wagnis mit ihr einzugehen.

Ich begleitete sie also zur Seilleiter an ihrem Baumaufstieg zur Seilbrücke und ging nach einigen Worten, in denen ich sie bat geradeaus zu mir hinüber zu schauen und den Bohlen unter sich keine weitere Beachtung zukommen zu lassen - ihre Füsse würden von sich aus schon das Rechte zu tun wissen - einfach „langsam“ ohne innezuhalten loszugehen. Von meiner Seite der Seilbrücke aus gab ich ihr kurz darauf mit der rechten Hand noch ein aufmunterndes Zeichen loszugehen. Und sie ging langsam, aber zügig auf mich zu, bis sie kurz vor unser beider Begegnen wie aus der Konzentration, die sie leitete herausfiel und ihren Schritt ausbremste, was durch die abrupte Bewegung „mich“ zu Fall brachte.

Ich sah das Entsetzen in ihren Augen und reichte ihr mit dem Gedanken Du hast nur diesen einen Versuch meine rechte Hand und sagte, ihr in die Augen schauend verhalten bestimmt: Zieh - und sie zog, während ich mit meinen 80 kg mir einen Ruck gab und … stand, ohne das die Brücke allzu sehr schwankte. Meinerseits in der Konzentration lies ich keine Pause zu, sondern flüsterte nur - weiter - und wir fanden aneinander vorbei ohne dass die Brücke in ihren Seilen gross ausschlug und erreichten ein jeder sein Ende der Brücke. 

Unten angekommen lief die junge Frau auf mich zu, umarmte mich mit Tränen in den Augen und sprach, ich habe meine Angst überwunden.

Wie das Leben so spielt. Wir begegneten einander von diesem Zeitpunkt an nie mehr. Was zu lernen war haben wir voneinander gelernt. Du kannst nicht aus dem Denken herausfallen, es fängt Dich immer auf, wenn Du Dich von seinen Konstrukten nicht aus der anschauenden Konzentration verdrängen lässt. Bewegt in Bewegung zu bleiben erbaut das Ineinander von Sein und Leben.

© Bernhard Albrecht Hartmann, 16.03.2021