Samstag, 26. Dezember 2015

Ein Spaziergang mit dem Ego, Ich und Du im Denken

Für N., welche die Fragen zum Thema dieser Ausführungen gestellt hat und alle die auf dem Weg sind, sich mit mir aus gewissen lieb gewordenen und daher mitunter zu wenig hinterfragten Vorstellungen zu befreien.
Den eventuell philosophisch vor gebildeten Lesern will ich an dieser Stelle sagen: Wenn ihr diese Zeilen mit euren verrasterten Denkstrukturen verstehen wollt, dann schaltet diesen Monitor besser gleich ab und genehmigt euch ein Bier aus dem Kühlschrank oder sonst etwas, wonach es euch gerade gelüstet.
Hier geht es um die Bereitschaft zur inneren Beobachtung von Prozessen und das wird eine Berg- und Talfahrt mit dem „Mountainbike“ werden. Wer also Angst davor hat zu stürzen und mit dem Kopf aufschlagend die innere Orientierung momenthaft zu verlieren, der schalte seinen Computer spätestens hier ab.
Leitplanken verwöhnte Zeitgenossen, die dennoch zu neugierig sind, um hier aufzuhören mit zu lesen, ziehen sich besser warm an. Das Reich des „Nichtwissens,“ das ein jeder hier auf seine ureigene Art zu betreten wird den Mut entwickeln müssen, ist zunächst eine nicht unbedingt angenehme Erfahrung. Genauso wie es unangenehm ist, wenn sich einem innerlich der Boden urplötzlich entzieht. Und das wird geschehen.

Beobachten ohne zu Mogeln, das heisst ohne die Beobachtung zur Scheinbeobachtung zu degradieren, indem ihr sie durch die Hintertür unmerklich wieder mit Vorstellungen auffüllt, ist ein Feuerprozess. Und in diesem Feuerprozess werdet ihr, so ihr durch eure eigenen Bewusstseinstiefen diesen Weg gehen wollt, zunächst in die innere Dunkelheit, das auch bedrängende Nichtwissen abstürzen.
Diese Erfahrung kann sich mehr oder weniger stark so ausdrücken, dass ihr immer wieder alle nur denkbaren Abwehrmechanismen aufrufen werdet, um zwischen eure vertrauten Vorstellungsleitplanken zurückkehren zu können. Auch für scharfe Beobachter nach aussen hin wird die Erfahrung nicht zu umgehen sein, dass die Muskeln für das innere Beobachten zunächst schlaff durchhängen, also sich erst langsam entwickeln müssen, bevor sie tauglich werden innere Beobachtungen überhaupt machen zu können, bzw. sie auf die Reihe zu bekommen in einem Schrittweisen Verstehen und Überschauen von durch eigene Aktivität sich bildenden Beobachtungszusammenhängen im Denken.
Und damit ein grundsätzliches Missverständnis sich nicht von Anfang an einschleicht, mache ich sogleich auf diese Möglichkeit aufmerksam. Ihr folgt auf diesem Spaziergang nicht meinen Gedanken und versteht oder schüttelt verständnislos den Kopf an diesem oder jenem inneren Haltepunkt über meine Art zu denken, ihr folgt im  S p i e g e l  meines Denkens eurem eigenen Denken, das es gilt für euch aufzurufen. Und die erste und sehr schmerzliche Erfahrung, die sich über eine gewisse Zeit immer wieder einmal wiederholen wird, wird vielleicht für diesen oder jenen „Schein-Denkenden“ sein, dass er bisher zwar viele Gedanken gewälzt hat, aber dabei nicht wirklich dem eigenen Denken (und ich spreche von einem eigenen Denken erst dann, wenn ich die dem Denken zugrunde liegenden Denkbewegungen  wenigstens anfänglich innerlich beobachtend in den Blick genommen werden können) begegnet ist.
Wenn euch also diese oder jene Kritik auf dem weiteren Weg aufstossen mag, dann … kritisiert ihr eigentlich eure Unschärfe im eigenen Beobachten. Diese Sicht ist ungewöhnlich, in diesem Zusammenhang aber einzunehmen, denn sonst wird sich keine Klarheit über das Denken heraus kristallisieren können.
Gedanken haben und Denken sind zweierlei Prozesse! Gedanken entlang einer Perlenschnur zu >zählen< ist das eine, Denken ist etwas gänzlich anderes! Die Gedanken, die ich aus meinem Denken heraus hier offen lege, sind lediglich T o r e, Wegweiser, hinein in das Reich eures Denkens. An euch ist es dem eigenen Denken an Hand einer zu entwickelnden inneren Prozess-Fokussierung, eines Beobachten nach innen, auf die Spur zu kommen.

Ich denke, hm! Ist das so?
Na klar, seit Descartes „cogito ergo sum“ kann das wohl niemand mehr so einfach bezweifeln, denn, wenn ich sagte, ich denke nicht, so würde das von Descartes her betrachtet heissen, dass ich nicht bin. „Ich“ denke nicht! Also bin „ich“ auch nicht!
Aber halten wir diesen Gedanken, selbst wenn er in den Augen so Mancher aufs Erste hin abwegig erscheinen mag, für einige weitere Betrachtungen einmal fest. Ich denke nicht, also bin ich nicht.
Wer aber denkt dann, wenn ich es nicht tue?
Ich denke doch, wenn ich diesen Gedanken hier lesend folge, oder? Nein, tue ich nicht, es sei denn, ich kann mich innerlich ganz in die Leere stellen und die Abfolge dieser Gedanken wie einen Strom in mir erlebend mir vergegenwärtigen. Mich als Teilhaber und bewegenden Hervorbringer dieser Gedanken begreifen. Und selbst dann, wenn dieses gelingen sollte, dann kann es im Anfang eines dahingehenden Vermögens geschehen, dass ich von diesem Gedankenstrom wie hinunter gezogen werde und nichts, aber auch gar nichts mehr verstehe - vorübergehend oder eine längere Zeit in nachfolgender innerer Betrachtung - was da vor meinem inneren Auge abgelaufen ist. Ich erblinde buchstäblich in meinem inneren Erleben in dem, was ich für mein Denken hielt. Und weil das zunächst kaum auszuhalten ist, mich dieser Tatsache innerlich zu stellen, treten schneller als mir das bewusst wird, Abwehrmechanismen auf den Plan, die mich >scheinbar< aus der Misere ziehen, mich von dem innerlich momenthaft erlebten Druck befreien, dass es eine Tatsache sein könnte, dass ich nicht denke, wenn ich vermeine zu denken.
Wer aber denkt dann, wenn ich es nicht tue?
Gedanken können sich wie Kraken verhalten. Sie umschlingen mich mit der ihnen eigenen Kraft und saugen sich unmerklich fest, haften sich gleichsam an meine Fersen, als ob es nichts anderes gäbe, als nur die eine Sichtweise auf die Welt und den Menschen, der gerade vor mir steht, nur diese Sichtweise und keine andere. Kennen wir das nicht alle?Und doch, wie oft geht ihr hier auch nur einen kleinen Schritt weiter und lasst am ferneren Horizont eures Bewusstseins die leise Frage zu, könnte es nicht auch ganz anders sein, als es mir gegenwärtig erscheint?
Und genau dies ist  d e r  Moment. Hier entscheiden wir, ob wir eigenständig denken oder es eben nicht tun, indem wir lediglich Gedanken aneinander reihen und sie je nach Bedarf mit diesem oder jenem Schleier einer uns gerade genehmen Umdeutung versehen, damit die Wirklichkeit wieder in unserem Sinne  s t a b i l  sich weiter vor unseren Augen so darbietet, wie wir geneigt sind sie als solche anzunehmen. Vorstellungen können wahre Aktionskünstler  -  Komödianten, Dramatiker und Kabarettisten in einem sein,  -  so willfährig betreten sie immer dann die Bühne unseres Bewusstseins, wenn es um die Sicherung ihres Überlebens geht. Kein Kotau ist ihnen zu viel, nur um uns zu gefallen. Kein Verzauberungstrank bleibt ungenutzt, der in ihrem Bemühen sich nicht als geeignet erweist das einmal mit ihnen manifest gewordene  W i r k l i c h k e i t s b i l d  bestätigen zu können.
Vorstellungen setzen auf unsere Trägheit uns fortwährend verändern, uns beständig neu erfinden zu wollen. Sie bauen auf unser Beharren im Ego - Bewusstsein. Und dieses Bewusstsein begleitet uns bis an die Grenzen der ego-zentrierten Dualität, bis an den Tag, an dem wir gelernt haben uns furchtlos im Spiegel unseres Selbst anzuschauen. Bis zu jenem Tag, an dem wir bereit sind unsere selbstschöpferische Verantwortung anzunehmen, wir durch das  T o r  hindurch treten als selbsttätige Ich Wesen, die angstfrei alle Ego-Anhaftungen hinter sich lassen können.
Dies ist der Tag, an dem das Du zurücktreten kann, weil wir es, ein jeder auf seine Weise nicht mehr bekämpfen müssen, um uns in unseren Wirklichkeitsüberzeugungen zu behaupten. Uns selbst erkennend darf das Du, wie wir es selbst sein. Wir entlassen es aus dem Dienst als Sparring-Partner. Der treue Johannes in Gestalt des Du hat seine Mission erfüllt und darf sich freuen, dass der Prinz sein Gefährt hinfort selbsttätig führen kann. Dies ist auch der Tag, von dem an das Nichts keine Gewalt mehr über uns hat, denn wir sind im Jetzt angekommen, im Jetzt unserer Ich-Potentialität. 

© Bernhard Albrecht Hartmann