Sonntag, 2. Dezember 2018

Über das Weiterdenken von Aussagen Rudolf Steiners und die Basis eines "Freien Geistesleben"

T. Majoor • vor 18 Tagen
Treffende Übersicht. Politisch-philosophisch gesehen gibt es bei Steiner also einen zweifachen manichäischen Mythos: 1. deutsch-slawische vs. anglo-amerikanische Kultur, und mehr umfassend 2. weisse vs. farbige Menschheit.
Manichäistisch im Steinerischen Sinne (Manichäertum 104.163f, Manichäismus 93.71f) wäre es, wenn die Gegensätze einander durchdringen (etwa Liberalismus). Sonst bleiben Gruppen, wie Konservativ (white supremacy, Putin, Trump etc.) und Identitär-Links (white privilege usw.) sich gegenüberstehen. Kampf besteht in Durchdringung und Umformung.
Über den aggressiven russischen Imperialismus (Russizismus) in Zusammenhang mit dem Testament Peters des Grossen und die ‘Suggestion im Grossen‘ siehe noch 173.59f., 337a.239 und 337b.94.

Bernhard Albrecht @ T. Majoor • vor 18 Tagen 

„Manichäisch im Steinerischen Sinne wäre es, wenn die Gegensätze einander durchdringen“ …
Wie aber ist das zu bewerkstelligen? Gewiss nicht in der alten Manier sich in gewohnt dualistischer Weise mehr oder minder (auch unbewusst verdeckt) die Hucke voll zu hauen. Denn: „Solange die zeitbedingte Grundspannung der Dualität heute noch vornehmlich „gegen“ den jeweils anderen Menschen ausgetragen und nicht als genuine Grundspannung meiner und nur meiner ureigenen zu bearbeitenden Entwicklungsspannung begriffen wird, solange können dringend notwendige Entwicklungen auf der Weltbühne wie in privaten Umräumen weiter nur zögerlich vorankommen.“ https://ich-quelle.blogspot.com

Das schliesst auch ein über die abstrakte Denkebene hinausgehendes Verständnis von Rudolf Steiner ein. Das abstrakte Denken verfilzt sich nämlich dort wo es an seine Grenzen kommt mit tief in sich abgelagerten Strukturen, die es verleiten immer dann wenn es mit seiner ihm eigenen sachlichen Betrachtung von Zusammenhängen nicht mehr weiter kommt die Fahne des Mythischen hervorzuziehen. Anstatt die eigene Denkhaltung zu überprüfen und das eigene Denken grundständig zu dynamisieren zu beginnen wird im aus seiner Sicht wissenschaftlich nicht mehr Fassbaren das Mythische leise mit unausgesprochenen Schleiern des Märchenhaften oder nüchterner nicht mehr zu Konkretisierenden verwoben. Die eigene Denkfaulheit wird hier jedoch anscheinend weder bemerkt noch überhaupt hinterfragt.

Dabei hat Rudolf Steiner unter vielerlei Bezugnahmen immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Verständnis seines Sagen, wie auch die konkrete Herausbildung eines freien Geisteslebens nicht gelingen, bzw. Wirklichkeit werden könne, wenn nicht vor-gängig alle Vorstellungen verbrannt würden. Und damit sind in erster Linie zunächst nicht die unterschiedlichen Vorstellungen in den heutigen Auseinandersetzungen gemeint, sondern die tiefer personalisierten Denkhaltungen, die durch diese Vorstellungen hindurch tragend wirken und … Entwicklung verhindern.
 Der eigene Augias Stall, der hinter diesen unreflektierten eigenen Denkhaltungen schlummert ist zu erschliessen und aufzuräumen. Vorher wird es in meinen Augen mit den Mitteln modernen Denkens, wie es selbstkritisch aus der seelischen Beobachtung hervorgehen kann nicht gelingen wissenschaftlich zu einem tieferen Verständnis Rudolf Steiners vorzudringen.
Vgl. z.B. https://ich-quelle.blogspot.com.. und andere Essays der letzten Zeit.

Bernhard Albrecht



T. Majoor @ Bernhard Albrecht vor 18 Tagen 

Bewusstseinseele ist nicht nur Intellektualität und Denkhaltung, sondern vor allem auch sinnliche Wahrnehmung (“… den Blick in die Welt hinauszurichten und das in der Welt zu sehen, was auf dem physischen Plane zu sehen ist, auszubilden das, was auf dem physischen Plane eine Rolle spielen soll.“, 121.172).

Da könnte dann im 6. Zeitalter der Geist manichäisch durchdringen. In dem Zitat im Aufsatz: “in denen der Geist gesucht wird außerhalb der menschlich-physischen Organisation, bloß dort.“



T. Majoor @ T. Majoor • vor 17 Tagen 

Die Bewusstseinsseele (Selbstbewusstsein, auch Bewusstseinsleib) ist der jetzige Augiasstall (5.Zeitalter). Und phänomenologische, reine Wahrnehmung ist derzeit ein wichtiger Aspekt der Ausmistung (vgl. Grenzen der Naturerkenntnis Kap.7 und 8; Mein Lebensgang Kap.22). VT, fake news, Pseudowissenschaft ist unser täglich Mist.

Heute geht es also um dynamisiertes Denken (PdF: Zurückdrängung des Leibes; 174b: der Geist in dem eigenen Leib aufnehmen) neben sinnlicher Wahrnehmung (174b: die Erkenntnis des Geistes in der physischen Umgebung vorbereiten); in der Zukunft wohl um Inspiration neben Imagination.
 Steiner (1915), 174b: 
“
In der sechsten Kulturepoche der nachatlantischen Zeit wird die Aufgabe die sein, den Geist vor allen Dingen als etwas sozusagen mehr in der Umgebung Schwebendes zu erkennen als unmittelbar in sich, den Geist mehr in der elementaren Welt anzuerkennen, weil diese sechste Kulturepoche die Aufgabe hat, die Erkenntnis des Geistes in der physischen Umgebung vorzubereiten. Das kann nicht so ohne weiteres erreicht werden, wenn nicht alte atavistische Kräfte aufgespart werden, die den Geist in seinem rein elementarischen Leben anerkennen.“



Bernhard Albrecht @ T. Majoor • vor 17 Tagen 
Alles gut und schön Ton. Auch wenn Du es selber vielleicht nicht bemerkt haben solltest, Du kannst zwischen deinen Zitat Verweisen ganz schön durch die Lücken hindurch sticheln. Mich ficht das nicht an. Denn dem nachzugehen wäre allenfalls eine Hausaufgabe mit konkretem Handlungsbezug zum Augias Stall Ausmisten, die Du gegebenenfalls als Deine aufnehmen und zu lösen hättest. Seelische Beobachtung in Bezug auf das eigene Denken hin und weniger Schwadronieren durch zukünftig möglicherweise Ereignis werdende Aspekte aus einem allgemeinen Ideenkosmos heraus. In der rechten Weise also bei sich bleiben können, darauf kommt es doch heute an - eben Bewusstseinsseele konkret - oder etwa nicht?



T. Majoor @ Bernhard Albrecht • vor 17 Tagen 
Worauf es mir ankommt ist besonders die seelische Beobachtung unserer Wahrnehmung. 
Siehe Bologna, Die psychologischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der Anthroposophie (1911), 35.136 f.



Bernhard Albrecht @ T. Majoor • vor 17 Tagen 
Ich höre. Und wenn das Denken ein blickendes Organ in strömendem Willen ist. ...



T. Majoor @ Bernhard Albrecht • vor 15 Tagen 
Das könnte man Steiners Externalismus nennen. Sein Spiegelvergleich auch in Die Rätsel der Philosophie, Ausblick (1914):
“Und als eine erste Erfahrung dieses errungenen neuen Geisteslebens stellt sich die wahre Erkenntnis des gewöhnlichen Seelenlebens dar. In Wahrheit ist auch dieses nicht durch den Leib hervorgebracht, sondern es verläuft außerhalb des Leibes.“ 18.606f. (beschränkt auf sekundäre Qualitäten in: 326.89f.)



Bernhard Albrecht @ T. Majoor • vor 14 Tagen 
Weisst du Ton, je länger ich Deine Kommentarbeiträge hier auf dem Egoisten Blog lese um so mehr frage ich mich, hast Du ausser Deinen sehr klugen Verweisen zu Rudolf Steiners Werk keine persönlichen Anmerkungen, keine wenn auch noch so miniaturhafte Ausarbeitungen deines ureigenen Gedankenlebens und spirituellen Weg schreiten mitzuteilen? Welche eigenen Gedanken bewegen Dich zu diesem oder jenem Verweis auf Quellen bei Rudolf Steiner? Die sichtbar sich individualisierende eigene Seelenfarbe öffnet sie nicht letztlich das Gespräch in jene Tiefen hinein, das heute notwendig mutiger denn je aufzunehmen wäre - brüderlich? Verweise allein sind nicht in der Lage Leben unter den Menschen zu zeugen. Und dass Anthroposophie Leben werde, darum geht es doch heute, oder? Nichts für ungut.

Ich grüsse Dich,

Bernhard Albrecht



Bernhard Albrecht @ Bernhard Albrecht • vor 6 Minuten

Eine Anmerkung zu dem oben von Ton Majoor gemachten Verweis auf GA 174b

Was heisst es den Geist in den eigenen Leib aufnehmen?

Dabei geht es doch wohl darum den eigenen Äther- und Astralleib soweit zu öffnen, von blockierenden Bezügen (grundlegenden Denkhaltungen und persönlichen Vorstellungen) innerlich so weit zu reinigen (Augias Stall), dass die Gedankengänge eines anderen Menschen in der eigenen Seele sich gewissermassen „durch sich selbst“ auszusprechen vermögen. Was heisst: Bisher in den Leib (Äther- und Astralleib) eingelagerte, bzw. in ihm abgelegte Gedankengänge durch die seelische Beobachtung wiederum soweit zu dynamisieren, dass der sich auf diese Weise bildende fliessend Licht-Kristalline Gedanken-Willens-Spiegel aufnahmefähig für neue Denkprozesse werden kann. Das in dieser Weise Erwachen am anderen Menschen kann in Folge nach und nach Imagination und Inspiration erwecken. Deshalb ist der praktisch soziale, der wertschätzende Umgang mit zunächst „fremdartig“ anmutenden Gedankengängen anderer Menschen heute so bedeutsam, kann doch ein tatsächlich Freies Geistesleben n u r auf der Basis von Wertschätzung gedeihen. 

Und hier muss und will ich mich unter Bezug auf meinen Kommentar Dir gegenüber, in dem ich davon sprach Du könntest „zwischen Deinen Zitat Verweisen ganz schön durch die Lücken hindurch sticheln,“ revidieren. Das ist zu persönlich gesagt und von daher nicht wertschätzend. Gleichzeitig kann jedoch das Sticheln als übergeordnetes Bild eines Gestochen Werden durch Aussagen von Rudolf Steiner als gleichsam „stechend stille Aufforderung“ Bestand haben. Diese Aussagen sind ja gemacht um weiter gedacht und weiter entwickelt zu werden. Sie sind Anfang und nicht Ende einer geisteswissenschaftlichen Forschung. Von daher würde ich mich freuen, wenn Du und andere sich über Deine „genialen Verweise auf Aussagen Rudolf Steiners“ hinaus am notwendigen Weiterdenken dieser Gedankengänge beteiligen würden. 

Was in der sechsten Kulturperiode der nachatlantischen Zeit als Aufgabe ansteht, das braucht als Basis ein jetzt zu entwickelndes Freies Geistesleben und keinen Kulturkampf um irgendwelche Deutungshoheiten, bzw. ein wechselseitiges sich Ausgrenzen und unterschwelliges an den Pranger Stellen.

In seiner entwickelten Form kann ein Freies Geistesleben als fliessend kristallklares Licht-Willens Feld angesehen, als ein webend unter verschiedenen Menschen zu haltendes Imagination und Inspiration Feld betrachtet werden. Wie: Durch die von der seelischen Beobachtung geführte Zurückdrängung des Leibes, sprich die Reinigung von Äther- und Astralleib (Augiasstall).

Gruss in die Runde,


Bernhard Albrecht


https://egoistenblog.blogspot.com/2018/11/siegfried-im-osten-michaelischer.html

Dienstag, 13. November 2018

Verständnisverwerfungen zwischen abstraktem und lebendigem Denken

Was zeichnet eine charakterisierende gedankliche Einlassung aus? Sie weisst auf eine grundständige Tendenz oder Eigenart hin, hebt eine „mögliche“ Entwicklung hervor, rückt sie in den Vordergrund. Sie regt damit an den Sachzusammenhang ins Einzelne gehend näher zu untersuchen und individuelle Parameter abzuklären. Was auch heissen kann beobachtend auf „verschiedenen“ Ebenen Wirkverhältnisse zu untersuchen und dabei eventuell zusätzliche Einflussfaktoren mit in Betracht zu nehmen.
Was eine Charakterisierung schon von ihrer Art der Problemzeichnung her „nicht“ tut ist eine bloss lineare Auseinandersetzung anzustossen. Vielmehr wird die Charakterisierung immer dann gewählt, wenn es sich bei dem Problemzusammenhang um eine tiefer reichende und weit verzweigte Angelegenheit handelt.
Die Charakterisierung ist also im Grunde eine freilassende Aufforderung zum Brainstorming im Sinne heutiger Usancen. Sie ist eine Einladung (Rudolf Steiners) zur Bewusstseinsarbeit und in Sonderheit zur Bewusstseinsgegenwärtigkeit.

Bernhard Albrecht

siehe auch: https://egoistenblog.blogspot.com/2018/11/siegfried-im-osten-michaelischer.html#disqus_thread

Sonntag, 11. November 2018

Ein Verweis auf den Illusionsschleier dualistischer Strukturen

Reto Andrea Savoldelli
26. September 2018 um 18:23
"In aller Kürze melde ich mich nochmals mit einem Kommentar zu Eurem Gespräch zu Wort. Ihr werdet sehen, ob Ihr ihn berücksichtigen, d.h. mich einbeziehen könnt oder wollt. R.Steiner äussert in seiner Freiheitsphilosophie, dass das „allgemeine Ich“ sehr wohl in dem dem Denken zugänglichen Geistbereich zu finden, dass hingegen die Bildung des „Ich-Bewusstseins“ an die persönliche Organisation mit seiner Zeitraum-Limitierung gebunden sei.
„Genauer betrachtet muss das doch heissen, dass ich wenn ich „Ich“ sage, nicht in meinem Ich gegenwärtig bin, denn ansonsten müsste ich nicht nach dem wirklichen Ich fragen“, lese ich von Bernhard Albrecht. – Nun, genau so ist es! –
Da die Ich-Individualisierung sich allein in der Zeit und durch verschiedene Inkarnationen vollenden kann, lädt die Vertiefung der Frage „Was ist das wirkliche Ich?“ das allgemeine, höhere Ich in den persönlichen Bewusstseinsumkreis ein. Es wird insofern ausgeladen, als ich jenes mir nur als „abstrakt allgemeines“ vorzustellen mich genötigt sehe. Ich entgleite der prozesshaften Bildungsmacht des wirklichen Ich, wenn ich mit meinen zweifellos ichhaften Denkakten mich mit dem dabei auftretenden leibabhängigen Willenserlebnis zu begnügen suche. –
Wenn es die geistige Spannung zwischen „gewöhnlich selbstbewusst denkendem“ und „wirklichen“ Ich nicht gäbe, müsste man Rudolf Steiner einen grossen Vorwurf daraus machen, dass er seine Schüler mit einer Meditation wie der folgenden auf Erkenntnisabwege lockte (in seinem letzten Londoner Vortrag, 2.Sept.1923): «Ich schaue in die Finsternis. In ihr entsteht Licht, lebendes Licht. Wer ist dies Licht in der Finsternis? Ich bin es selbst in meiner wahren Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit des Ich tritt nicht ein in mein Erdendasein. Ich bin nur Bild davon. Ich werde es aber wiederfinden, wenn ich guten Willens für den Geist durch des Todes Pforte gegangen.»
Schönen Abend und gute Nacht!"
https://rolandwiese.com/2018/08/27/das-wirkliche-ich/comment-page-1/#comment-38
Lieber Reto Andrea
Leider ist mir Dein zweiter Kommentar innerhalb des Gespräches mit Roland bis heute entgangen. Er war wohl zum Zeitpunkt meiner Antwort (https://ich-quelle.blogspot.com/2018/09/nachtrag.html) auf Deinen ersten Kommentar hin von Roland noch nicht eingestellt, ansonsten wäre meine Antwort an Dich nicht nur auf Karl Ballmer bezogen geblieben. Wenn heute nach Deinem zweiten Kommentar auch schon mehr als sechs Wochen verstrichen sind, will ich mich dennoch darauf beziehen. Ich halte Deine Einlassungen nämlich für so wesentlich, dass ich sie unbedingt in den laufenden Gesprächsfaden mit Roland einbinden will.

Du schreibst, … „dass hingegen die Bildung des „Ich-Bewusstseins“ an die persönliche Organisation mit seiner Zeitraum-Limitierung gebunden sei.“
Womit wir im Zusammenhang mit der seelischen Beobachtung bei der Zurückdrängung des Leibes wären. Beim Aufräumen des eigenen Augias-Stalles nach der inneren Weisung, die ich mir aus meinem Beobachten zusprechen will. Aus der Spannung Interesse … Interesse und noch einmal Interesse, das Rudolf Steiner vor allem nach der Weihnachtstagung vehement einfordert (für den, der ernsthaft hinhören will), dem bedingungslosen Interesse für den anderen Menschen also einerseits und der Selbstkritik aus seelischem Beobachten heraus andererseits, aus dieser auszuhaltenden Spannung heraus kann sich Ich-Bewusstsein bilden. Diese Spannung ist also der Kern und gleicherweise der Keim aus dem Erwachen am anderen Menschen sich herausarbeitet zu einer wirklichkeitsgemässen Geistes Repräsentanz in heutiger Zeit.
Von daher gesehen ist auch ein Freies Geistesleben keine formale Struktur gesellschaftlicher Zusammenhänge, sondern es kann als fortlaufendes Arbeitsergebnis nur aus den Ich-Bewusstseins-Anstrengungen der in unterschiedlichen „Zeitraum-Limitierungen“ auf und auch gegeneinander bezogenen Menschen hervorgehen. Freies Geistesleben ist also alles andere als ein in der Empfindung mitunter subjektiv hochgepushtes Nirvana-Erleben (in dem Sinne: „wir“ sind Inselwächter seiner Realität). Es fusst vielmehr auf ernster täglicher Arbeit in den eigenen herakleischen Augias Ställen, was in zahlreichen dualistisch ausgetragenen „alltäglichen“ Auseinandersetzungen unter Menschen nicht selten vollkommen aus dem Blick gerät.
Aus meiner Sicht noch pointierter gesagt: Solange die zeitbedingte Grundspannung der Dualität heute noch vornehmlich „gegen“ den jeweils anderen Menschen ausgetragen und nicht als genuine Grundspannung meiner und nur meiner ureigenen zu bearbeitenden Entwicklungsspannung begriffen wird, solange können dringend notwendige Entwicklungen auf der Weltbühne wie in privaten Umräumen weiter nur zögerlich vorankommen. Im Kleinen  haben wir hier eine viel grössere „wirksame“ Verantwortung für das Ganze, als wir in innerem Stammtisch-Gebaren“ uns gegenüber zuzugestehen bereit sind. Der „Andere“ steht mehrheitlich im Fokus unser einschätzenden Betrachtungen und nicht ich. Der Andere und nicht meine ätherisch-astralische, bzw. meine in Denkblick und Denkwille gelenkten Innenprozesse einer  „notwendigen“ Entflechtung meiner Seelenkräfte und damit der Grundprozess der Zurückdrängung des Leibes.
Rückblickend auf das bisher Gesagte ein vielleicht notwendiger Einschub zur Klarstellung: Ich kritisiere hier weder Dich Reto noch sonst irgendeinen möglichen Leser dieser Zeilen, sondern ich erlaube mir lediglich ungeschminkt den Illusionsschleier über einigen heutigen allgemein zugänglichen inneren und äusseren menschlichen, wie welthaften Erscheinungsweisen etwas anzuheben, was in meinen Augen zu einer zeitgerechten Bewusstseinsarbeit unbedingt dazugehört. Wer will kann sich dem anschliessen und als Anregung aufnehmen eventuelle weitere individuelle Illusionsschleier für sich aufzudecken.
Du schreibst in Deinem Kommentar weiter: „Ich entgleite der prozesshaften Bildungsmacht des wirklichen Ich, wenn ich mit meinen zweifellos ichhaften Denkakten mich mit dem dabei auftretenden leibabhängigen Willenserlebnis zu begnügen suche.“ –
Dem will ich hinzufügen, dass Ich mich mit meinem leibabhängigen Willenserlebnis insoweit begnüge, wenn ich dieses als Bollwerk missbrauche für streitbare Dualität-Rangeleien um den Vorrang eigenen Vermeinens. Hat nicht Rudolf Steiner immer wieder und besonders eindringlich in den letzten beiden Lebensjahren darauf hingewiesen, dass alle Vorstellungen zu verbrennen seien? Ich will das Beharren in Vorstellungen hier einmal bildschaffend als den weit ausgreifenden und letztlich todbringenden Arm von Ich-Bewusstseinsbildung benennen. Abwegig? Oder tiefer betrachtet ins Zentrum treffend?
Um der möglichen Auflösung dieser Frage ein wenig näher treten zu können will ich an das von Dir benannte Zitat Rudolf Steiners in seinem Londoner Vortrag vom 02.09.1923 anknüpfen. „ «Ich schaue in die Finsternis. In ihr entsteht Licht, lebendes Licht. Wer ist dies Licht in der Finsternis? Ich bin es selbst in meiner wahren Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit des Ich tritt nicht ein in mein Erdendasein. Ich bin nur Bild davon. Ich werde es aber wiederfinden, wenn ich guten Willens für den Geist durch des Todes Pforte gegangen.“
Wenn ich mich dem Verbrennen, dem tatsächlichen Veraschen von Vorstellungen wirklich entschiedener zuwende, was ein sehr langer sich fortlaufend vertiefender Prozess ist, dann bringt mich dies in einen inneren Zustand, dass mehr und mehr Haltestangen meines bisherigen Selbstgefühls weg brechen. Ich schaue im Sinne Rudolf Steiners buchstäblich in die Finsternis, sehe mich vor ein Nichts gestellt, dass mich wie aufzusaugen droht. Das dahin gehende Erleben kann dabei so bedrängend über mich herfallen, dass ich die Flucht nach rückwärts antrete, um  für mich wieder an diversen Vorstellungen Halt zu finden.
Da solches heute auch mehr unbewusst im Alltag begleitend geschehen kann ist es verständlich, wenn in sozialen Auseinandersetzungen nicht selten geradezu verbissen um die Erhaltung des eigenen Standpunkt gekämpft, bzw. in bestimmten Internet Foren sogar ein „sportlicher“ Hashtag betrieben wird einzelnen Teilnehmern in einer unbewussten Gegenbewegung alle Haltestangen wegzunehmen. Geistige Dunkelheit ist bei der heutigen äusseren Lichtüberflutung und Informations-Überreizung etwas, was in der einen oder anderen Weise nicht so einfach auszuhalten ist und deshalb auf jede nur denkbare Weise übertüncht und übertönt wird.
Weiter: „In ihr (der Finsternis) entsteht Licht, lebendes Licht.“ So ein derartiges Erfahren nicht in oder nach krisenhaften Lebensereignissen eintritt, dann kann dieses Lichterleben innerhalb eines fortgeschritteneren beweglichen Denken eintreten. Das individuelle Ich kann im Verlauf derartigen Erlebens gewissermassen leise hervortreten und mit der Zeit zu einem Brennpunkt unmittelbar geistigen Erfahrens werden, eines Erfahrens das in seiner um sich greifenden Dynamik umso eher zentriert gehalten werden kann, je stärker das Denken gleichlaufend weiter ausgebildet und in sich vertieft wird. Es ist dies ein Prozess, der mit aller gebotenen Zurückhaltung im Bilde einer Brückenüberquerung, im sokratischen Sinne eines „Durchgangs“ durch das „ich weis, dass ich nicht weis,“ andeutend zu beschreiben ist.
Brückenüberquerung: Setze ich mich damit im Sinne des oben genannten Londoner Vortrags von Rudolf Steiner nicht in einen Widerspruch zu ihm? Heisst es doch dort: „Diese Wirklichkeit des Ich tritt nicht ein in mein Erdendasein. Ich bin nur Bild davon.“ Es steht dort aber auch zu lesen, dass ich dieses Ich „wiederfinden (werde), wenn ich guten Willens für den Geist durch die Pforte des Todes gegangen.“ Wer dies lauschend liesst, dem kann in der inneren Anschauung ein Bogen, eine Brücke vor Augen treten, die empfindungsstark beide Satzsequenzen überspannt.  Zwischen beiden tritt nämlich im oben skizzierten Sinne ein markantes Todes-Erleben oder eine ganze Kette von inneren Todes-Empfindungen ein, die sich über den Zeitraum ihres Erlebens zu einem Gesamterleben bündeln. Im Sinne von Angelus Silesius tritt hier also zu Lebzeiten der Tod ein („Wer nicht stirbt bevor er stirbt, der verdirbt“). Mit diesem Todes-Erleben werde ich in Folge dahin geführt das eigene Ich in meinem Erdenleben immer wirksamer finden zu können. Das Ich wird zu einer Leben spendenden Quelle.

Bernhard Albrecht


Montag, 5. November 2018

Im Gespräch über die seelische Beobachtung

rolandwiese
25. Oktober 2018 um 0:00
Lieber Bernhard Albrecht, Ja zu deinem Beitrag! Mein Blick geht aber in eine etwas andere Richtung. Das, was du beschreibst ist ja gewissermaßen eine Art Grundvoraussetzung für den individuellen und gleichermaßen sozialen Entwicklungsprozess. Mein Blick hat als Hintergrund die merkwürdige Figur des Dionysos. Das Eindringen in die dionysische Wirklichkeit des Lebens hat die Voraussetzung, dass mein Denken empfindungswirksam wird. Bestimmte Denkformen sind aber einfach nicht in der Lage solche Empfindungen auszubilden, die wiederum das Leben, das Lebendige, empfindungsfähig werden lassen. Also Bewusstsein wird Leben; Leben wird Bewusstsein. Die Raserei entsteht an der Stelle, an der Bewusstseinsformen auf das zusammenhängende Leben treffen, die diese elementaren Verhältnisse chaotisieren. Die elementaren Verhältnisse in unserem Organismus und in der Natur sind aber auf solche Empfindungsmöglichkeiten angewiesen. Dionysos wird zum fürchterlichen Gott in den Menschen, die mit einem nicht angemessenen Denken und in der Folge mit nicht angemessenen Empfindungen in die Elementarwelt, das heißt in das Leben eindringen.
Eine Ursache für dieses Geschehen liegt in der zunehmenden Aushöhlung des alten Selbstgefühls, seit der Mitte des letzten Jahrhunderts und der damit einher gehenden Notwendigkeit, dieses schwächer werdende Selbstgefühl (als Grundlage des Egos) zu substituieren, also zu ersetzen und künstlich zu verstärken. Das Abnehmen des natürlichen und früher meist gruppenhaften Selbstgefühls ist aber ein Prozess der notwendig ist; er führt aber in krisenhafte Zuspitzungen, oder den horro vacui, also in eine Leere und Langeweile, die nur durch eigene individuelle Produktion wieder neu erfüllt werden kann. (Beuys war nicht zufällig genau in der zentralen Phase dieses Prozesses in dieser Richtung hin wirksam). Es ist ein gewisser Schwellenübergang in dieser Richtung hin erfolgt. Und dadurch entsteht natürlich auch die ungeheure Situativität in jeder Begegnung und die Möglichkeit, dass sie in die eine oder andere Richtung (oder beides) sich entwickelt. Und schon die Beurteilung darüber nicht mehr nach ‚bürgerlichen‘ Maßstäben möglich ist, sondern sich erst mit der Zeit zeigt….

Lieber Roland. Ich sinne über Deine Antwort nach und wage eine erweiternde Ansage, die einen innerlich möglicherweise schmerzhaften Ruck auslösen kann. Weichst Du mir in Deinem Sagen nicht vielleicht „unmerklich“ ein wenig aus, denn prozesshaftes Denken kann ohne eine vertiefende Vergegenwärtigung auf eigene Empfindungen hin überhaupt nicht in Gang kommen?

Die im Umraum des Denkens sich bildenden Empfindungen müssen nämlich begleitend so weit geklärt werden, dass ich selbst nicht mehr in einer abhängigen Bindung zu ihnen stehe, was heisst, dass ich lerne ihnen frei in der inneren Anschauung gegenüberzustehen, ohne in der einen oder anderen Weise mich von ihnen da oder dorthin ziehen zu lassen. Ich bin also aufgefordert Herr im inneren Erlebnis-Umraum zu werden, Herr im eigenen Haus zu sein. Insofern kann seelische Beobachtung auch als ein gleichsam spagyrischer Reinigungsprozess gesehen werden.

In der seelischen Beobachtung geht es um äusserste Exaktheit im Umgang mir selber gegenüber, sind Empfindungen, die zunächst an die eigenen inneren Denkfiguren gebunden auftreten auf ihre Bindungsgegebenheiten hin genauestens zu untersuchen. Nur insoweit dies fortlaufend immer tiefer geschieht, ist die seelische Beobachtung ein wissenschaftstaugliches Instrument. Rudolf Steiner stellt damit höchste Anforderungen an diejenigen Menschen, die sich als Repräsentanten einer weiter zu entwickelnden Geisteswissenschaft sehen wollen.
Wenn ich vor diesem Hintergrund Deine Aussage „bestimmte Denkformen sind aber einfach nicht in der Lage solche Empfindungen auszubilden, die wiederum das Lebendige empfindungsfähig werden lassen,“ die also im Sinne Deines weiteren Wortlautes „Bewusstsein ins Leben“ hineintragen und umgekehrt „Leben in Bewusstsein“ erwachsen lassen näher betrachte, dann frage ich mich: „Überhebst“ Du Dich damit genauer besehen nicht ein wenig, triftest in eine duale Anschauungsweise ab, wo es doch darum geht nonduale Brücken im Sozialen zu bauen?
Oder noch konkreter, was ist es, das mich eben jetzt seitwärts blicken lässt, mir Nebenwege vorgaukelt und möglicherweise die tiefere Verankerung in mir, die Betrachtung des Hier und Jetzt leise unterwandert. An den stillen Quelldolen des in Wirksamkeit hinein sich befreienden Ich geschieht Herausforderndes, das die eigene Aufrechte auf ihre tatsächliche Bodenhaftung hin prüft, immer wieder und hartnäckig. Solange, bis wir bereit sind die Schlangenwege zu verlassen uns selber aus dem Weg zugehen, indem wir aus Gewohnheit unseren Blick fast „nur“ auf den jeweils anderen Menschen richten.
Sind es nicht wir, die mit unserer Empfindungsfähigkeit in Vorleistung gehen müssen, damit die Empfindungen Anderer daran Orientierung erleben und sich „erkannt fühlend“ über sich hinaus wachsen können? Das auch noch so leise Beklagen, was nicht ist bringt die Welt um keinen Quadratmillimeter weiter nach vorne. Jedoch ist in scheinbar „nur“ rudimentären Empfindungen für den, der sich darum bemüht ein Rauschen in der Tiefe zu vernehmen, das unter geeigneter Hilfestellung sich in vertiefte Empfindungen hinein befreien und ausdrücken lernen kann - soweit meine Erfahrung.
Im Übrigen ist die Qualifizierung einer sogenannten „minderen“ Empfindungsfähigkeit im Äquivalent vielleicht auch mehr an die Trägheit, um nicht zu sagen an die innere Faulheit des jeweiligen Umgebungsfeldes und seiner Akteure gebunden, die vor lauter (geistes)wissenschaftlichen Meta-Diskussionen das notwendige praktische Handling, das aus anhaltenden seelischen Beobachtungen hervorgehen könnte schlichtweg vernachlässigen.
Derartiger Selbstkritik wird jedoch gerne ausgewichen, womit ich keine Kritik gegen irgendwen ausdrücke, also auch nicht per se gegen Dich, sondern nur ein weiteres Mal auf die seelische Beobachtung verweise, die derartige Ausweichmanöver im eigenen Ausübungsprozess dieser Methode einem oft genug vor Augen stellen kann. Wenn Bewusstsein in Leben hineinwachsen will hat die Prüfung dessen was ist in meinen Augen primär bei einem selbst anzusetzen. Alles andere endet nur in dualen Selbstfesselungen und unterstützt damit indirekt die weitere Aushöhlung des Selbst von der Du sprichst.
Natürlich hast Du recht wenn Du von der Aushöhlung des Selbstgefühls in unserer Zeit sprichst. Doch gilt in meinen Augen auch hier, dass die eigene fort und fort entwickelte Empfindungsfähigkeit hier vor ungeahnten Möglichkeiten steht dies jeweils situativ auch verändern zu können. Dabei ist es allerdings nicht zu umgehen, dass Du Deinem eigenen Horror Vacui begegnest und innerhalb dessen den vielfältigen Scharaden des Dionysos. Dies solange, bis, wie ich schon sagte Du Dir nicht mehr selber ausweichst, Dich im dauerhaften inneren Gleichgewicht einfindest in der Spur des wirksamen Ich.
Das wirksame Ich ist die Frucht strengster Selbstkritik, einer Selbstkritik die in die notwendige Tiefe hinein heute allein aus der seelischen Beobachtung hervorgehen kann. Hierin ist Rudolf Steiner so ungemein modern - was bisher aus meiner Sicht nicht annähernd wirklich erfasst wurde - weder von Anthroposophen, noch von diversen Vertretern der gängigen wissenschaftlichen Forschung. Rudolf Steiner hat nämlich mit dieser Methode der kritischen Forschungsweise der Naturwissenschaft jenes Element hinzugefügt, das sicherstellen kann, dass der Mensch und die tatsächliche, nicht nur halbherzig nachgeschobene Achtung seiner Würde in der wissenschaftlichen Forschung präsent, sprich wirksam bleiben kann. Er hat damit auf nicht weniger verwiesen, als dass die Aufklärung der Vergangenheit und die mit ihr einhergehende Ausbildung nach aussen gerichteter kritischer Forschung ergänzt werden müsse um eine nicht minder kritische Forschung des inneren Selbstgefüges des Menschen. Andernfalls würde der in die abstrakte innere Diaspora vertriebene Mensch die lebendige Anbindung an den Geist nur verlieren können.

Bernhard Albrecht

Freitag, 2. November 2018

Fragment 4/2018

Miteinander. Mit - ein - ander, was heisst „mit“ dem „anderen“ Menschen werdend sich zu bewegen,  mit ihm und der fortlaufend zu erneuernden eigenen inneren Bereitschaft sich weiter zu entwickeln, … auf Ein … ander immer wieder Schritt für Schritt zu zu gehen.
„Durch“ den anderen Menschen angeregt auf die Einheit, das Einssein, das im Einklang sich erlebend Befinden im Innenverhältnis "miteinander," dem mutigen Ich-Ausdruck im Aussenverhältnis und der letztlich daraus hervor gehenden individuellen Erleuchtung im Denken - das Fühlen und Wollen einschliesst - zu zu wachsen. „Und“ damit die gemeinsam aneinander erwirkte soziale Erneuerung, samt ihren Früchten eines in Tateinheit gelebten freien Geisteslebens untereinander zu weiterem Wachsen zu teilen.

Bernhard Albrecht

Mittwoch, 31. Oktober 2018

Fragment 3/2018

An die Kraftbewegung des Denkens innerlich auch nur anfänglich erfahrend heranzukommen, auf diesem Weg wird Dir nichts geschenkt. Du gehst einen Weg mit nicht geringen Widerständen, denn wie machtvoll und tückisch Gewohnheiten sein können, das verstehst Du erst dann wirklich, wenn Du beginnst sie näher unter die Lupe Deiner Betrachtung zu nehmen.
Den Willen im Denken unmittelbar zu entzünden ist ein schöpferischer Akt. Du beheimatest Dich  mit diesem Tun in der Unmittelbarkeit Deines geistigen Vermögens, kehrst das Nichts in Fülle.

Bernhard Albrecht

Sonntag, 21. Oktober 2018

Die Schmetterlingspuppe öffnen

                „B E R E I T …
               
                Bereit das letzte Schwermutsgewicht
                im Koffer zu tragen, diese Schmetterlingspuppe,
                auf deren Flügeln sie die Reise einmal
                beenden werden.“

                Aus dem Gedicht „B  E R E I T“ von Nelly Sachs
                     Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1977,
                                    16. Auflage 2017, Seite 61


                           Die Schmetterlingspuppe öffnen

                Heute geschieht es,
                dass die Leidgeprüften -
                am tiefsten Grund ihrer Seele angekommen
                ihre Schmetterlingspuppen öffnen.

                Einfach so und ungeplant.

                Es geschieht,
                weil die Zeit die Reife gebracht -
                ein grosser innerer Mut
                wie aus dem Nichts
                die Hallen der Dunkelheit mit Licht flutet.

                Es geschieht, dass Kraft dort auflebt,
                wo vorher all zu lange Mühsal waltete -
                das Ich in seiner Ego-Gebärmutter explodiert.

                © baH, 21.10 2018
               
                Nachsatz: Es geschieht auf dem Boden der seelischen Beobachtung
                nach Rudolf Steiner, die keine Form der Selbstkritik scheut
                und von daher aus dem Ich heraus intuitionsfähig wird.
                Intuition - die Geburt aus dem Nichts.
                Intuition - ein dynamisierter Ich-Prozess, der die Ketten des Ego bricht.

               

Montag, 15. Oktober 2018

Die wechselseitige Bedeutung des Ego und des Ich füreinander

 „Lieber Bernhard Albrecht, ich bin mir nicht sicher, ob die alten Unterscheidungen von Ego und Ich noch aktuell sind. Seit einiger Zeit erlebe ich da eine bestimmte Veränderung. Da wo das alte Ego noch lebensbestimmend ist, ist es inzwischen abgestiegen in eine solche Verhärtung, dass es im Seelischen für eine massive ‚Raserei‘ oder griechisch ‚mania‘ sorgt. Es ist quasi kein Ego mehr, dass als eine Übergangssituation im 19. und 20. Jahrhundert menschenkundlich vielleicht notwendig war, sondern ein Unter-Ego. Der Übergang solcher verhärteter und nicht individualisierter Denkprozesse in die eigene Organisation zeigt sich dort eben als unsensible Gefühlsprozesse. Insbesondere der eigene Atemprozess ist angewiesen auf Ich-Prozesse im Denken, weil er sonst ähnlich wie äußere meteorologische Phänomene nicht fein genug ist um eine Beseelung des Luftprozesses zu bewirken. Vieles, was heute politisch inhaltlich diskutiert wird, ist mehr ein menschenkundlich pathologisches Problem. Interessanterweise erlebe ich das meist ganz anders dort, wo Menschen es mit psychischen Problemen real zu tun haben. Dort wo, sie bewusst schon mit ihrer Erkrankung ringen, ist die Ichaktivität viel präsenter und das alte Ego zeigt sich als diese Erkrankung, also als ein festgehaltener Seelenprozess (im Hegelschen Sinne). Meiner Meinung nach hat sich diese Entwicklung seit den neunziger Jahren deutlicher gezeigt. Vielleicht brauchen wir neue Begriffe um dieser Wirklichkeit gerecht zu werden? Roland“ https://rolandwiese.com/2018/08/27/das-wirkliche-ich/#comments

Lieber Roland. Ich kann Deine Gedanken nachvollziehen. Da das Ego in meinen Augen aber schon mindestens seit der Römerzeit unter den Menschen eine immer stärker wirksame Kraft ist, steht für mich an Begriff und Erlebnisweise des Ego für unsere Zeit zu schärfen und in seinem Wirken innerhalb gegenwärtiger Entwicklungen als herausfordernde Kraft zu verstehen.
Du weist mit der „Raserei“ in Deinen Worten zwar auf ein bedeutsames Zeitphänomen hin, wenn Du in diesem Zusammenhang jedoch von absteigen in die Verhärtung sprichst, dann fehlt mir der Gegenbegriff zu absteigen. Absteigen und Aufsteigen stehen nämlich aus meiner Sicht heute in einem entscheidenden Wechselverhältnis. Vielleicht können wir allenthalben z.B. in diversen Internet-Foren soviel „astral“ Raserei bemerken, weil dem auf der anderen Seite ein zu wenig an entschiedenem Hineingehen in die Kraft eigener Selbstermächtigung gegenüber steht. Das wirksame Ich agiert zu zaghaft und zu wenig auf Augenhöhe hin.
Wir lassen uns auf eine sehr hintergründige Weise von derartigen Phänomenen mehr als uns vielleicht bewusst sein mag astral infiltrieren und weil wir es oft zu spät bemerken, können wir im Sinne des Heilpädagogischen Kurses und einer Empfehlung von Rudolf Steiner dort nicht „aus dem nächst höheren Wesensglied“ auf entsprechende Situationen antworten.
Die Raserei wird zwar aussen gesehen, aber zu wenig bei sich in z.B. diversen Unruhestürmen bemerkt und angenommen. Eine jede Raserei im Aussen hat ihre Entsprechung, wenn möglicherweise auch nur in einer abgeschwächten Form in der eigenen Seele. Gleiches erkennt sich durch Gleiches. Diese Raserei will also in seelischen Beobachtungen erkundet sein, wenn die Fähigkeit aus der eigenen Seele heraus erwachsen soll derartigen Rasereien im Aussen wirksam begegnen zu können.
Du und ich können von daher nur entschiedener an unseren vielleicht allzu gerne verschleierten Ego-Ausdrucksweisen arbeiten, dürfen diese nicht klein reden, wenn uns die Entwicklung unseres wirksamen Ich ein echtes Anliegen sein will. Das Ego ist die  G e b ä r m u t t e r  des Ich.
Von daher gesehen hat das Ego eine höchst bedeutsame Funktion. Es als Unter-Ego einzustufen sehe ich deshalb als problematisch an. Ich denke vielmehr, dass innerhalb eigenen spirituellen Bemühens höchste Achtsamkeit geboten ist derartige verdeckte Rasereien im eigenen seelischen Verhalten nicht zu übersehen und unversehens auf Klienten zu übertragen. Aus entsprechenden Erfahrungen in der Praxis weiss ich, dass dies nicht selten eine Ursache dafür ist, wenn sozialtherapeutische Prozesse stagnieren.
Die „tatsächliche“ und nicht nur vorgestellte Augenhöhe zu einem Klienten einzunehmen und auch durchzuhalten ist kein leicht Ding. Sich durchgehend „bewegt in Bewegung“ haltend und immer umfänglicher den Regungen eines Klienten innerlich vorstellungsfrei zu folgen ist eine grosse Kraftherausforderung an tiefer und tiefer sich individualisierend fliessender Konzentration, wie einem Willen zur Zurückdrängung des Leibes im gleichen Atemzug. 
Die mit diesen Worten skizzierte Anstrengung ist gleichzeitig ein Verweis auf die dynamische Aufstiegsbewegung, korrespondierend zu dem von Dir charakterisierten Abstieg in eine Unter-Ego Ebene. Was aber ist nun genauer zurückzudrängen. Es ist die von vielen Selbstsichten geprägte eigene Wirklichkeit, die ich bis dato, also bis zur Begegnung mit „diesem bestimmten Klienten“ mir aus diversen Erfahrungen „leibhaft“ eingeprägt habe, mit dem ich es eben jetzt in Folge meines professionellen Auftrages zu tun habe. Und eben just an dieser Schwelle vollzieht sich etwas oder wird übersehen, was in meinen Augen für den Beginn wie den Fortgang eines therapeutischen Prozesses von grosser Bedeutung ist. Leeres, höchst virulentes Bewusstsein zwischen mir und dem Klienten will hergestellt sein oder es öffnen sich von allem Anfang an Tür und Tor für die mannigfaltigsten Illusionen, die sich an vermeintliche Phänomene des therapeutischen Verlaufs unscheinbar wie Kletten anheften. Vergangenheitsbezogene Vorstellungen entern unscheinbar den therapeutischen Gesprächsraum.
Die fachliche Professionalität ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite bildet die spirituelle Professionalität. Wo ich innerlich nicht uneingeschränkt annehmen kann, dass ein z.B. sehr labiler und psychisch stark angeschlagener Klient der in diesem Augenblick mir gegenüber stehende Meister für den Fortgang meiner eigenen spirituellen Schulung ist, stehe ich nicht am Scheitelpunkt zeitgemässer Wirklichkeitsbildung. Ich stehe nicht am Scheitelpunkt, weil ich die vielleicht grössere seelische Verhärtung bei mir nicht bemerken will und kann.
Seelische Beobachtung und sokratisches Fragen sind in meinen Augen die in sich dynamischen Elemente, die hier geübt sein wollen. Seelische Beobachtung fusst auf der Bereitschaft zu ernsthafter Selbstkritik, ohne wenn und aber und die Fragemethode des Sokrates, sie kann einen Raum bilden helfen, in dem atmende Ichprozesse an einer erweiterten Wirklichkeit selbstbildend bauen können. Ohne den immer wieder neuen Durchgang durch die Erfahrung des „ich weiss, dass ich nicht weiss,“ jene atmende Leere, die ich oben schon ansprach — keine an die Wurzel reichende Heilung im Ich-Du Raum.
Ich weiss, das hört sich sehr streng an, aber ich sehe das so und will mir vor dem Hintergrund langer Wege hier nichts mehr vorgaukeln. Das Ich Erwachen birgt eine eigene Strenge in sich, die anzunehmen niemand einem anderen Menschen ansinnen kann. Ich Erwachen ist an keine Bedingung gebunden, sondern eine Entscheidung aus der angenommenen Selbstkonfrontation mit dem Du, also auch mit dem Klienten. Es kann einzig und allein aus der Konklusion eigenen Erfahrens selbstverantwortlich nur sich selber zugesprochen und auf dem Weg gehalten werden.
Der Klient oder auch der einfache Bürger in einem Supermarkt als Meister für die weiter voran zu treibende eigene Entwicklung! Das Du im Hashtag Modus auf Internet Foren und vieles mehr kann zur Frage an Dich werden. Wieweit willst Du dem Abstieg in die tiefsten Höhlen der Egomanie zusehen ohne an im Angesicht dessen zu konstatierenden Phänomenen Dir selber die Aufforderung zuzusprechen Deinen Aufstieg in eine verstärkte Ich-Ausdrucksdimension entschiedener voranzubringen? Dieses wird von einem bestimmten Augenblick an zu leise wiederkehrenden Frage an dich. Zur Frage auch aus der Höhle des Platon nach oben zu steigen, in der Du Dich Deinerseits unscheinbar gefangen sehen kannst, wenn Du die Phänomene derer Du ansichtig wirst in ihren Korrespondenzen näher selbsterkennend untersuchst.
Aristoteles mischte sich zu seiner Zeit in Abgrenzung zu den Gelehrten aus Eleusis unter das gemeine Volk auf den Marktplätzen von Athen. Wie weit seine Forschungen zum Aktus gerade dort ihren Entwicklungsnährboden fanden wäre hochinteressant näher zu erkunden. Ich halte es für möglich, dass seine Metaphysik in der Zukunft noch ganz anders gelesen werden kann als bis anhin.
Bernhard Albrecht


Dienstag, 9. Oktober 2018

Das wirksame Ich

Lieber Roland Wiese. Deine Frage nach dem wirksamen Ich, mit einigen unmittelbar damit vielfältig verbundenen ineinander fliessenden Aspekten, will ich unmittelbar aufnehmen. Fliessend, ja fliessend, denn das wirksame Ich ist ein permanent im Fluss sich Ausdrückendes. Damit scheint es nicht fassbar zu sein und ist es doch. Jedenfalls für Menschen die keine Scheu davor haben von Augenblick zu Augenblick in eigenes Verändern hineinzuspringen. Das Ich steht nämlich nicht. Niemals. Selbst wenn es vordergründig betrachtet einmal so erscheint.
Im Ich stehend bin ich immer in Bewegung und von daher gesehen in der einen oder anderen Weise wirksam. Und weil das so ist erhöht das die eigene Verantwortung ungemein, wie auf der anderen Seite dem wirksamen Ich, still eingebunden in dieses Fliessgeschehen auf seinen immer wieder holperigen Pfaden jederzeit Lösungen an die Hand gereicht werden, solange es wach genug ist sich die eigene Wirksamkeit nicht abschneiden zu lassen. Solange es also schnell wieder aufzustehen bereit ist, wenn es einmal eingeknickt sein sollte.
Das Ich lebt in und durch sein Wirksam-Sein.
Das wirksame Ich bewegt sich in einer beständigen Gleichgewichtsbildung zwischen Nähe und Distanz. Es fordert demnach heraus, wie es gleicherweise sich auch begleitend im Hintergrund zu halten weiss. Innerhalb dieser beiden Grundbewegungen hält es sich in einer individuell eigen gefärbten Präsenz, einer Präsenz, die nicht unbedingt als solche wahrgenommen werden muss. Das Ich in seiner vertieften Wirksamkeit „führt“ auch nicht, weil es heute darauf ankommt, dass die Iche in einem breiteren Spektrum ihr Wirksamwerden zu einem von ihnen bestimmten Zeitpunkt selbständig ergreifen. Das wirksame Ich fördert also die Selbstermächtigung einer Vielzahl individuell unterschiedlicher Ich-Gebärden, ist bestrebt in den Ich-Du Beziehungen das Erwachen für die Wirksamkeit je eigener Ichkraft zum Durchbruch zu verhelfen durch sein eigenes beispielhaftes Tun.
Soweit so gut. Doch zu dem oben Gesagten ist noch anderes unter die Lupe zu nehmen, um die Wirksamkeit des Ich in und bei sich, sowie innerhalb seiner sozialen Prozessverläufe immer besser verstehen und von daher individuell handhaben zu können. Ich will an dieser Stelle deshalb einen Blick auf den Grund-Prozessverlauf zwischen Mann und Frau riskieren und diesen etwas näher betrachten, da ihm in meinen Augen eine entscheidende Bedeutung innerhalb existentiell gleichgewichtigen aufeinander Bezogen-Seins zukommt den Geburtsprozess der Ich Wirksamkeit zu gestalten.
Wenn ich davon ausgehe, dass die männliche Begegnungsart mit der Welt eine eher anschauende Betrachtung umfasst, was sehr viel mehr als eine bloss intellektuell verstandesmässige Hinwendung zur Welt beinhaltet, die der Frau eine erlebende Begegnungsweise in sich birgt, was keineswegs auf ein bloss emotionales Erleben zu reduzieren ist, sondern in einem innerlich ausgeglichenen Selbstverhältnis erlebende Präsenz pur ist und von daher sich nicht selten schnellläufiger als die anschauende Denkweise des Mannes darstellt. Wenn diese beiden so unterschiedlichen Herangehensweisen an die Welt im wechselseitigen Begegnen zu einem je eigenen inneren Ausgleich gelangen können, dann öffnet sich damit der Quellpunkt zeitgemässer und geistesgegenwärtiger Ich-Wirksamkeit.
Diesen inneren Ausgleich des männlichen und weiblichen Pols in einem jeden Menschen, sowie in den sozialen Beziehungen von Mann und Frau untereinander zu Wege zu bringen ist in meinen Augen die wesentliche Bewusstseinsherausforderung unserer Zeit. Sie ist vor dem Hintergrund der Philosophie der Freiheit her gesehen die Hauptaufgabe, die sich der praktischen Anwendung der seelischen Beobachtung im inneren Umgang mit der Zurückdrängung des Leibes stellt.
Zurückdrängung des Leibes (1) bedeutet tiefer betrachtet die Entflechtung von Ätherleib und Astralleib auf den Weg zu bringen, denn diese beiden Prozessebenen und ihre damit verbundenen Kräftebewegungen sind es, welche uns das grundständige Bewusstsein für unseren Leib vermitteln. Unser Leib kann uns nämlich so lange tiefere Bewusstseinsebenen verschleiern, wie wir Automatismen in unserem Erfahren nicht näher treten, sie zurückdrängen um zu einem originären Umgang mit diesen Prozessverläufen hinzufinden. Die „seelische Beobachtung“ ist von daher gesehen basisbildend für jegliche Form von Geist-Erfahren, zumindest was ihr Zeitgemäss-Sein betrifft.
Denn die Automatismen unseres Erfahrens nicht oder unzureichend ins Auge zu nehmen hat zur Folge, dass wir von unserem praktischen Handhaben her weiter in einem dualen Weltverständnis hängen bleiben. Wir schauen etwas als Wirklichkeit an, was aber von seiner Grundkonsistenz her nur aus einem schöpferischen Prozess, aus dem Wirksamwerden des Ich hervorgehen kann. Es stellt sich hier also die Frage welches tatsächliche Verständnis von Wirklichkeit wir haben.
Ist es ein Wirklichkeitsverständnis, das als ein Erwirktes aus umfänglich eigentätig gesetzten Denkschritten hervorgeht oder ist es ein Ego zentriertes, weitgehend abstraktes Bilder-Bewusstsein aus den Archiven des Unterbewusstseins und seiner dort abgelagerten vergangenheitsbezogenen Vorstellungsbildungen. Das wirksame Ich hingegen geht immer aus der Überwindung des Ego-Bewusstseins hervor. Ich Wirksamkeit wird von daher evident insoweit die entwicklungsbedingt zunächst notwendig permanent wirksamen Ego oder Selbstbild Übertragungen auf die Sinn-Felder eigenen Erfahrens einer immer bewussteren Überprüfung in der seelischen Beobachtung unterzogen werden.
Ohne Zweifel sind in diesem Zusammenhang noch viele Detailfragen zu klären. Eines ist und bleibt dabei aber gewiss, denn anders sind diese Fragen nicht aufzulösen: Schwing Dich auf „Dein Reitpferd“ und mach Dich selbständig von allem und jedem. Steh zu Dir in allen Deinen dunklen und hellen Bewusstseinsprozessen und ermächtige Dich zum Herrn über Dein zu bildendes Bewusstseinshaus, werde also wirksam aus Deinem Ich heraus.

Bernhard Albrecht Hartmann

(1)  Zur Zurückdrängung des Leibes ist von mir noch einiges mehr unter folgendem Link zu finden:
     https://ich-quelle.blogspot.com/2018/02/pneumatischer-organismus-und.html

Freitag, 28. September 2018

Nachtrag

Aus Anlass eines Kommentars auf dem Blog von Roland Wiese von Reto Andrea Salvodelli
will ich meinem bisherigen Sagen zu Karl Ballmer und der Frage nach dem wirklichen Ich diesen Nachtrag hinzufügen.

„Ich weiss wohl, was Ballmer seinem Kollegen mitteilen wollte. Aber da er es nicht gesagt hat, sondern sich – wie auch sonst so oft – provokativ abgekürzt zu äussern beliebte, ist dasjenige, was Sinn machen würde, in seiner Äusserung doch nicht drin. Ich meine, die vermeintlich vergangene zentrale Frage der „Erkenntnistheorie“ (Steiners): „Was ist das Erkennen?“ geht nicht durch Überspringung ihrer selbständigen Vertiefung – d.h. erkenntnispraktischen Beantwortung – in die Frage „Wer ist das Erkennen?“ über. Für Ballmer blieb „Erkenntnistheorie“ immer Theorie. Das stachelte ihn dazu an, mit dem Hammer zu philosophieren, wofür er, posthum, von etlichen allgemeine Bewunderung erfahren hat.“

Reto Andrea Savoldelli

Ach Reto Andrea …
Das Lauschen scheint nicht unbedingt Deinem praktischen Sinnen nahe zu liegen. Das anschauende innere Abstand-Nehmen … und von daher die Sachzusammenhänge, das Wort, Karl Balmer aus sich sprechen zu lassen … ohne das aufprägende Überstülpen eigenen Vermeinens, sprich das untergründig Mitschwingen Lassen von unreflektierten Kurzschlüssen  über wie Karl Ballmer im Verständnis gewisser Zeitgenossen „angeblich war“. Nach meinem übenden Umgang mit Erkenntnistheorie gehören solcherart Fingerübungen mit seelischen Beobachtungen unter anderem zum Grundbestand praktischer Vermittlung einer Erkenntnistheorie.
Karl Ballmer war kein einfacher Zeitgenosse, für eher empfindungshafte Weggenossen mitunter geradezu eine schreckhafte Herausforderung. Seine unterschwellige Zen-Gebärde in seiner verkürzten Wortwahl vielleicht auch für den einen oder anderen bedrohlich.
„Stell Dich auf Deine eigenen Füsse“ leuchtete durch nahezu all sein Tun auf. Darin war er unbequem, galt in gewissen Kreisen als Querkopf ohne Taktgefühl für andere Daseinsweisen. Dass er damit aber nur sich selbst über alle Widerstände hinweg treu blieb, die Fackel einsamer Ich-Herrschaft hochhielt, dahin reicht bis heute nur das Verständnis ganz weniger Menschen. Ich wage hier zu sagen, dass seine tiefere Bedeutung für die praktische Seite der Erkenntnistheorie in Zukunft erst noch wirkkräftig zu enthüllen sein wird.
Aus dem tieferen Umgang mit seinem Bildwerk kann jedoch schon heute hervorgehen, dass Karl Ballmer geradezu rigoros in der Art war, was er sich in jedem Pinselstrich seines malerischen Arbeitens an äusserster Bewusstheit abverlangte und auferlegte. Sich vor die weisse Leinwand setzend rang er bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus stundenlang und das über Wochen hinweg immer wieder mit der puren weissen Leinwand oder auch einigen wenigen gesetzten Pinselstrichen, … bis jegliche perspektivische Vorstellung über ein Bildgestalten sich von innen her aufzulösen begann und er ganz in den Erfahrungsraum seines eigenen Sehorgans, seiner denkenden schöpferischen Sehkraft (1) eintreten konnte. Imagination aus dem Hintergrund aufgelöster Perspektive „schüchtern“ im malerischen Tun in Erscheinung treten konnte.
Die gewissermassen vibrierenden Inn- und Umräume vieler seiner scheinbaren auf ein Äusserstes hin reduzierten flächigen Bildelemente können einem abstrakten Bildbetrachter daher nicht anders als verborgen bleiben. Das Bildschaffen von Karl Ballmer zu verstehen, dazu gehört eine grosse innere Regsamkeit, bzw. sehr, sehr viel Unvoreingenommenheit und Offenheit. oder wie es Peter Suter sagt: „Mit unerschrockener Direktheit wird hier eine Einladung formuliert, die Enge konventioneller Erkenntnis zu überwinden.“ (2)
Karl Ballmer lebt und bezeugt in der Art seines künstlerischen Schaffens das „was Erkennen ist, wer der Erkennende“ im Erkennen ist. Er ist darin streng, wie gleicherweise milde. (3)

Bernhard Albrecht Hartmann


(1)    Karl Balmer: „Drei Vorträge über Kunst,“ Verlag Fornasella, CH-6863 Besazio,      
         2. Auflage 1996 Seite 29
(2)    Peter Suter in: Karl Ballmer Kopf und Herz, Aargauer Kunsthaus, Aarau /
         Ernst Barlach Haus, Hamburg,
         Verlag Scheidegger und Spiess AG Zürich 2016, Seite 139
(3)    Thomas Hunkeler über Samuel Beckett begegnet Karl Ballmer in: dito, Seite 133

Mittwoch, 26. September 2018

Die Frage nach dem wirklichen Ich - 3.Teil

https://rolandwiese.com/2018/08/27/das-wirkliche-ich/comment-page-1/#comment-30

Lieber Roland Wiese
Du hast mir unmerklich(?) eine deutliche Vorlage für die nachfolgende dritte, wiederum nur skizzenhafte Ausarbeitung meines Essays zur Frage nach dem wirklichen Ich geliefert. Die 2. Frage im 2. Teil dieser Essay-Reihe (Was ist unter dem historischen Auftreten des wirklichen Ich zu verstehen?) könnte nach dem vorausgehend Gesagten nunmehr auch lauten: Von der innerlich erfassten Bewegung zu dem Augenblick des historischen Auftreten des wirklichen Ich.
Du sagst, das Ereignis des Ich sei heute der einzelne konkrete Mensch. In meinen Augen ist hier nachzufragen: Wie kommt dieses Ereignis genau zustande? Wie stellt es sich in der seelischen Beobachtung dar, wie zeigt es sich konkret? Bitte nimm dies nicht als eine Attacke gegen Dich persönlich, Hegel hin oder her. Wir leben hier und heute und sind gegenüber damals mit einer vertieften Bewusstseinsmöglichkeit ausgestattet. Und dieser Umstand verträgt es nicht in der forschenden Frage nach dem Ich aus der „Man-Perspektive“ sich mit der Frage nach dem Ich auseinanderzusetzen. Ich ist immer konkret, so wie Konfrontation mit sich selbst eben nur unmittelbar und konkret sein kann.
Und wenn dieser Vorgang nicht auch weh tut, dann bin ich nicht wirklich an der Sache dran. Berührung, Selbstberührung kann nicht ohne Schmerz abgehen, sie muss mitunter auch weh tun, denn wenn nicht, bewege ich mich dann nicht zu sehr im abstrakt Allgemeinen mit dieser Frage? Eine schmerzfreie Geburt gibt es schlichtweg einfach nicht.
Versuche ich mich auch nur ein wenig auf diesen Geburtsprozess innerlich anschauend hinzubewegen, heisst das dann nicht mich auf Unwägbares, Unbekanntes, auf einen Prozess in Neulande hinein einzulassen? Geburt, Neulande … hinübergehen von einem Noch-Nicht in bisher nicht betretene Gefilde? Geistige Geburt. Was hat es damit auf sich? Kann so ein Vorgang beschrieben werden, bzw. kann ich einem derartigen Ereignen überhaupt annähernd begegnen und wenn ja, welche Prozesse kann ich dabei forschend ins Auge nehmen um mich eines derartigen Erleben zu vergewissern? Gibt es ein existentielles Momentum, einen Dreh- und Angelpunkt, innerhalb dessen Durchgang sich Ich Geburt vollzieht, mir Ich Geburt gegenwärtig wird?
Ich Geburt und das Fragen des Sokrates:
Mein Fragen an Sokrates. Inwiefern rüttelt Sokrates mit dem Satz: „Ich weiss, dass ich nicht weiss“ … von heute her gesehen an der Pforte dieses Ich-Werde-Prozesses? Sind in gewissem Sinne vielleicht der Gang über den Schwebebalken innerhalb der fragenden Auseinandersetzung mit diesem Satz und die inneren Erfahrungen, die sich dabei einstellen können die geeignete Vorbereitung für diesen Prozess?
Schwebebalken: Das Loslassen des bisherigen Verständnisses eines Sachverhaltes, einer zu Vergangenheit hin bezogenen Weltsicht, nimmt sie tiefer darauf hingeschaut nicht etwas von dem festen Boden unter meinen Füssen weg, auf dem ich bis anhin stand? Zumindest dann, wenn ich dabei in die Willensbewegung des Vorwärtsgehens innerlich mit hinein gehe. Diesen Umstand verdeckt allerdings die heute allgemein verbreitete abstrakte Weltsicht auf die Belange meines Denkens. Geist-Berührung findet dabei eher nicht statt und demgemäss kann auch der innere Vorgang eventuell tatsächlicher Geist-Berührung, eines Geist-Erfahren auch nicht in Worte gefasst werden. Ich denke und werde mir dabei der tiefer gelegenen Prozessschichten und Prozessdynamik nicht bewusst, die dabei mit im Spiel stehen.
Der abstrakte, „Man“ operierende Intellekt ist ein eifrig beflissener, ein fleissiger bemühter Geist-Arbeiter. Nur, kann er in solcherart Tun dem Geist „in Tateinheit,“ also unmittelbar begegnen? Geist-Berührung sehe ich noch nicht als Geist-Begegnung an. Sie tritt nämlich wie von aussen an mich heran. Ich, dem sie widerfährt, dem sie gleichsam angetragen wird, bin in diesem Geschehen nicht voll aktiver Teilhaber. Ich empfange ein Geschenk. Meinem Geist-Bemühen webt sich etwas ein und flüstert mir zu, wach auf, werde aktiv und stelle Dich auf Deine ureigenen Füsse. Ich-Sein erfahren kannst Du nur aus der Selbstkonfrontation auf Deinen eigenen Grund hin. Steh also auf, nimm Dein Bett unter den Arm, sprich, straffe Deinen Leib in „Zurückdrängung“ - wider allen vermeintlichen Schmerz - der sich Dir dabei in den Weg stellen mag und gehe.
Dazu gehört einiges an Selbstvertrauen und viel, viel Mut. Der Schritt auf den Schwebebalken des „ich weiss, dass ich nicht weiss“ hinaus ist ein gewaltiger. Hier … im Bewusstsein nicht nur irgendwelcher Unzulänglichkeiten, sondern Deiner gesamten bemüht verdeckt gehaltenen Hinfälligkeiten Dein eigenes Gleichgewicht zu wahren, darin wird Deine Ich-Gegenwärtigkeit mehr und mehr historisch. In der unverblendeten Selbstkritik wird seelische Beobachtung real … und wirst Du mit den Worten von Karl Balmer in einem Buchtitel (1) von ihm zum Vollzieher: „der Macher bin ich, den Schöpfer empfange Ich.“ Ich entfalte aus der Erfahrung werdenden Willenskraft den Logos, das Wort in mir, lasse es als Ich in die Welt treten.
Wie aber werde ich des Wortes, das vom Weltengrund her (ein Wort Rudolf Steiners) mich anspricht, gewahr. Der Weltengrund ist heute nichts Überweltlich, Übersinnliches mehr, weist nicht mehr auf eine irgendwie geartete Transzendenz hin. Er tritt mir vielmehr in jedem Augenblick meines Lebens durch das Du entgegen. Sein Raum ist in den Armen des Du geborgen und öffnet sich, so ich darauf hin schauen will. Ich das Du insoweit also nicht mehr als ein duales Gegenüber ansehe, sondern als den Botschafter, den Überbringer der Karma Aufgaben des Ich-Werdens, in die hinein ich erwachen will.
Doch gerade hier scheitern Ich - Du Begegnungen immer wieder. Es kommt tendenziell eher zu einem Auseinandergehen, bestenfalls einem Nebeneinander Hergehen anstatt eines Aufeinander Zugehen. Das Erwachen aneinander im Erfassen der wechselseitigen Du-Botschaften in einem wachsenden Bewusstheit der Prozesse auf die es ankommt, geschieht eher rudimentär in die notwendige Tiefe hinein. Mithin kommt es auch nicht zu einem wesentlichen Voranschreiten im eigenen Ich-Werden. Etwas anders angeschaut, Ich-Werden ist ein recht holperiger Prozess.
Warum? Weil wir in diesem Prozess uns allermeist zu sehr auf das jeweiliges Gegenüber fixieren, anstatt dass wir konsequent in die Beobachtung nehmen, was ich im Spiegel des Denkens des Du in mir beobachte, was auf mich leise hin- oder zurückweisend in meinem Denken erscheint. Streng genommen kann ich, was das jeweilige Du in Persona betrifft erst dann wirklich erfassen, wenn ich zuvor dessen Botschaft an mich vertieft zur Kenntnis nehmen konnte. Der andere Mensch ist mir Schicksalsbote, ist mir Überbringer meiner Karma-Aufgabe. Das, was Rudolf Steiner seinerzeit für die Menschheit neu begonnen hat zu enthüllen findet seinen Fortgang durch das Du.
Was bedeutet, dass ich im Vollzug der Integration dessen, was mir der andere Mensch als Botschaft übermittelt ich mein Selbstbild zu korrigieren habe. Selbstbild Korrektur ist also der eigentliche Hintergrund dessen, was Rudolf Steiner mit den Worten „alle Vorstellungen müssen verbrannt werden“ nach der Weihnachtstagung 1923/24 von den Menschen einfordert, die den Grundstock dieser neuen Anthroposophischen Gesellschaft zukünftig bilden wollen.
Ein Vorgang, der sehr schmerzlich ist, wenn ich konsequent immer wieder neu an seine Umsetzung herantrete. Es ist der innere Kampf gegen die Zargen und blitzschnellen Lasso-Würfe des Ego im Gewande unbemerkt bleibender selbstüberheblicher Subjektivismen, es ist der formalistisch getarnte Starrsinn einer versteckten Angst vermeintliche wissenschaftliche Reputation einzubüssen, wenn der sogenannten Objektivität  dem Vermeinen nach nicht Genüge getan wird. Nur: Was sind Subjektivität und Objektivität, wenn dem Erkenntnis bildenden Willen im Denken nicht aufmerksame Beobachtung gezollt wird?
Wie denn? Kann Wille unserer herkömmlichen Erfahrung nach überhaupt gegriffen werden oder beziehe ich mich da auf ein letztlich dunkles, exakt nicht fassbares Ereignen? Der Erkenntnis bildende Wille, ein Phänomen im Nirgendwo? Nirgendwo? Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel versucht in seinem Buch: „Der Blick von Nirgendwo“ (2)(3) diesen Weg zwischen Skylla und Charyptis hindurch in grosser Offenheit zu finden.
Diesen Blick einnehmen zu wollen oder gar zu können scheint in sich widersinnig zu sein. Doch Prozessdenken wie ich es hier anstosse setzt genau diese Bereitschaft voraus. Sich von Anhaftungen jeglicher Art zu befreien und in diesem „abstrakt undenkbaren“ Bewegungsmodus einzufinden. Es setzt voraus wirklichen Mut zu zeigen und das Nichts als modale höchst virulente Erfahrung verstehen zu lernen und in ihr in fortlaufender Gleichgewichtsbildung dynamisch Einsitz zu nehmen. Hellt sich das Nichts auf, befreit sich das Ich.

Bernhard Albrecht Hartmann


(1)  Karl Balmer, „DER MACHER BIN ICH, DEN SCHÖPFER EMPFANGE ICH,“        
      Verlag Fornasella CH-6863 Besazio, 3. Auflage 2007
(2)  Thomas Nagel: „Der Blick von Nirgendwo,“ Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, STW 2035

Donnerstag, 13. September 2018

Die Frage nach dem wirklichen Ich - 2.Teil

„Bedeutet „Wissenschaft“ das System der Begriffe, die von einem obersten Begriff (etwa „Gott“) zusammengefasst werden, so bedeutet das historische Auftreten des wirklichen Ich für die „Wissenschaft“ die Notwendigkeit, das System der Begriffe zu verwandeln in ein System der Iche.“ (Karl Ballmer) (1)

Vor dem Hintergrund dieser Aussage von Karl Ballmer will ich meinen vorangegangenen Ausführungen zu diesem Thema eine Fortsetzung folgen lassen. Dabei sind drei Aussageelemente zu untersuchen ohne dabei auf eine abschliessende Klärung hinzielen zu wollen. Untereinander besteht zwischen diesen drei Elementen nämlich ein Zusammenhang, der auf Entwicklungslinien hinweist, die wiederum in sich so dynamisch sind, dass ihnen nur nach und nach forschend in geeigneten Beschreibungen näher getreten werden kann. Diese drei zu betrachtenden Elemente sind:
1. Unter welchem obersten Begriff müsste heute das System der Begriffe                           
    zusammengefasst werden?
2. Was ist unter dem historischen Auftreten des wirklichen Ich zu verstehen?
3. Inwiefern könnte es notwendig sein das System der Begriffe in ein System der Iche zu verwandeln? 
Die Frage ist nicht so ganz einfach zu beantworten, denn welchem obersten Begriff könnte die Wissenschaft heute angesichts der Öffnung des Denkens nach allen Seiten hin noch für das System der Begriffe zu einer verbindlichen Anerkennung verhelfen. Die weltanschaulich religiösen Bünde auf der ganzen Welt verfügen nicht mehr über eine Autorität, die sie in die Lage versetzte einen derartigen Begriff durch und durch authentisch vertreten zu können. Der Begriff „Gott“ scheidet also aus. Nicht ganz ohne jeden Grund scheint Karl Ballmer bereits vor ca. 80 Jahren diesen Begriff in Klammern gesetzt zu haben - mit einem indirekten leisen Fragen?

Nun Ballmer hat seine Fragen im Hinblick auf die Hierarchie der Begriffe, er hat sie seit seiner Begegnung mit Rudolf Steiner und er ringt von daher damit, was Erkennen sei. Ein selbständiger Denker eben, ohne jedwede Tendenz zur Überhöhung der oder Anhaftung an eine sogenannte Meistergestalt. Nach innen wie nach aussen durch und durch kritisch - selbstkritisch ausgerichtet. Eine Haltung, die in der Nachfolge dieser Persönlichkeit innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft und ihren Untergruppen alles andere als selbstverständlich war und ist.

Sich derartig selbständig in eine geistige Nachfolge hineinzustellen macht ihn, mit Verlaub gesagt, zu einer „Marke“ unter vielen, die Rudolf Steiner (möglicherweise unbemerkt) nur als Schild vor sich hertragen. Er „lebt“ das womit er diesbezüglich ringt durch alle Höhen und Tiefen hindurch und so kann sein künstlerisches Werk als ein Weg innerer Wandlungen gelesen werden. Unbequem für so manche seiner Zeitgenossen, aber ganz im Sinne Rudolf Steiners, wonach Anthroposophie Leben „von innen heraus“ werden will.

Bewegung von innen heraus. Das verlangt ein Ausbremsen, ein Zurücknehmen und Verwandeln von Vorstellungen, die innerlich unbeobachtet schnell geneigt sind sich über Fliessgründe des Erfahrens zu legen und diese in eine Erstarrung der Abstraktion hineinzutreiben. Bewegung … von innen also. Was ist das? Und … von wo genau geht diese Bewegung aus. Was ist ihr Ort, von dem aus sie bewegt sich in Bewegung setzt? In Bewegung gesetzt wird? In Bewegung gesetzt von wem? Wer setzt hier von wo, von welchem Ort aus in Bewegung? Ort? Ein Punkt wo? Ort … ein Punkt im Raum? Raum, Innenraum; Raum, in dem Bewegung generiert wird?

Raum, was ist das? Ist Raum für mich eine reale innere Erfahrung? Na klar, … wirklich? Oder nur Vorstellung. Oben unten rechts links vorne hinten zusammengefasst … ja zusammengefasst und bis zum geht nicht mehr in den verschiedensten Konstellationen wiederholend gebraucht ergeben eine Vorstellung von Raum. Wieviel von dieser Vorstellung ist aber für mich wirklich erfahrungsbasiert? 

Raum, Ort erfahrungsbasiert? Jetzt wird es, so ich bemüht bin hier weiter selbstkritisch vorzugehen, jetzt weht mich etwas an, von dem her sich mir der Eindruck vermittelt der Boden auf dem ich stehe kann Dir nicht mehr als gesichert gelten. Das sogenannte „überkommene“ Raumempfinden wirkt verstörend auf Dich zurück. Rechts links oben unten … geben keinen sicheren Halt mehr. Der Boden fest gefügter Vorstellungen von dem was ist … oder sollte ich besser sagen von dem, was meine Vorstellung von Wirklichkeit war fängt ganz leise zu schwanken an. Raum ist … wird mir, wenn ich den inneren Wegen des Erfahrens hier weiter folge zu einem fliessenden Etwas. Ein Etwas?

Bevor ich hier jedoch weiter zu gehen versuche will ich den bisher eingenommenen Blickwinkel noch  für einen kurzen Moment etwas erweitern. Erweitern dahingehend, dass ich Sie werte Leser auffordere sich Vorstellungen ihrer Wahl, die Sie durch ihr Leben begleiten nur für einen Augenblick ein klein wenig näher unter die Lupe nehmen. Vorstellungen z.B. über einen Menschen, der unmittelbar neben ihnen lebt, bzw. mit dem Sie Tag für Tag an ihrer Arbeitsstelle zu tun haben. Was wissen Sie tiefer betrachtet … wirklich über diesen Menschen?

Wenn Ihnen heute etwas an diesem Menschen auffällt, was sie gestern an ihm noch nicht bemerken konnten, wenn sie ein stets neues Interesse für diesen Menschen in sich wach halten können, seinen Lebensbewegungen über Alltagsgewohnheiten hinaus folgen, kurz, ein Rätselhaftes von ihm ausgehend immer wieder einmal zu entdecken vermögen, dann lebt aus meiner Sicht in Ihnen ein offener Fragegeist und nicht so sehr das heute so verbreitete Infrage- Stellen, der schnell das eigene Denken in Beschlag nehmende Vorbehalt gegenüber diesem oder jenem … oder die Trägheit des Gewohnten.

Wer nicht oder zu wenig kleine oder grosse Begebenheiten seines Alltags fragend zu begleiten weiss, der kann auch nicht jenen Fliessgrund des Erfahrens in sich öffnen von dem ich oben sprach. Begriffe tragen vielschichtig fliessend zu Erfahrendes in und mit sich. Sie … sind der Quellgrund des Lebens. Bewegung, die ich, die Sie bereit sind zu induzieren öffnen … Tore in Neulande hinein. Die Lemniskate umschliesst, fasst alle Begriffe in einer unendlichen, in einer stets neuen, frei induzierten Bewegung in sich.

In der Hierarchie der Begriffe steht die Bewegung heute an oberster Stelle, weil der Wille im Denken erneut erwacht. Der Wille, der nach Aristoteles vom Denken niemals hätte getrennt werden dürfen. In der geübten seelischen Beobachtung gewinnt er an Kraft und sprengt die Abstraktionen im Denken. Das Gott-Siegel ist gebrochen.

© Bernhard Albrecht Hartmann, 13.09.2018

(1)   Karl Ballmer - Kopf und Herz, Verlag Scheidegger und Spiess AG Zürich 2016,
        daselbst: Ballmers ursprüngliche Einsicht von Ulrich Kaiser S.136

Dienstag, 11. September 2018

Fragment 2/2018

Die dynamischen Flächen-Strömungen anzuschauender Resonanzgeschehnisse bergen in ihren sich spiegelnden Tiefen, Schichtungen von Zeiten übergreifender Bedeutung. Zwischen Ich und Du wölbt sich hier eine Schwelle in Bewegung, die allen Mut sie zu überschreiten einfordert. Der so bezeichnete dynamische Schwellen-Ort kennt kein Vorher und Nachher, denn andernfalls gibt es kein Erfahren des Überschreiten.
Erfahren wird nämlich erst dann zu einer tatsächlich inneren Befindlichkeit, sofern sie aus der Bewegung heraus und im erlebenden Einsitz Nehmen in der Bewegung geschieht. Erfahrung ohne diese Bewegung ist Illusion, ist Vorstellung von etwas, das so nicht existiert.
Ein Denken ohne ein so geartetes inneres Erfahren ist abstrakt, wandert durch Denkräume ohne den Geist, der in seinen Abstraktionen gleichsam erstorben ist auch nur entfernt berührt zu haben.  Der Wille des Menschen dämmert in einer Art Schlafzustand vor sich hin.

Bernhard Albrecht

Mittwoch, 5. September 2018

Ich - Karl Ballmer - Die Frage geht weiter - 1.Teil

In dem Katalog Kopf und Herz, der anlässlich einer großen Ausstellung des Malers Karl Ballmer (1891-1958) 2016 erschienen ist findet sich ein schöner Beitrag von Ulrich Kaiser: ‚Ballmers ursprüngliche Einsicht‘. In diesem Beitrag habe ich eine interessante Stelle zum Ich gefunden. Karl Ballmer schreibt an seinen Freund Friedrich Widmer: „Ein "allgemeines Ich" ist Begriff, denn ein Begriff ist ja stets ein "Allgemeines." Das Wirkliche Ich ist aber nicht im Sinne eines Allgemeinen, sondern ist Individualität, Einzigmaligkeit. Bedeutet "Wissenschaft" das System der Begriffe, die von einem obersten Begriff (etwa "Gott" ) zusammengefasst werden, so bedeutet das historische Auftreten des wirklichen Ich für die Wissenschaft die Notwendigkeit, das System der Begriffe zu verwandeln in ein System der Iche. Also wenn z.B. bislang der Baum erkannt war, wenn der "Begriff" des Baumes festgestellt ist, so wäre jetzt nur fortan zu fragen: in wiefern ist der Baum Ich. Oder wenn bislang die erkenntnistheoretische Grundfrage lauten dürfte:"Was ist das Erkennen," so hätte auf dem Boden der neuen Tatsachen zu lauten:"Wer ist das Erkennen"“ (S. 136)(1)

Das wirkliche Ich. Umweht nicht schon diese Überschrift in dem Blog Beitrag von Roland Wiese ein gewisser Hauch von Absurdität. In einer Zeit, in der wir tagtäglich viele Male das Wort „Ich“ gebrauchen - was tue ich da, wenn ich nach dem wirklichen Ich frage? Genauer betrachtet muss das doch heissen, dass ich wenn ich „Ich“ sage nicht in meinem Ich gegenwärtig bin, denn ansonsten müsste ich nicht nach dem wirklichen Ich fragen. Autsch … das lässt mich jetzt auf dem Boden auf dem ich stehe schon etwas schwanken. Wenn nicht, dann … und das tut, so ich in meinem augenblicklichen Bemühen mir gegenüber konsequent ehrlich voranschreite richtig weh, stehe ich mit der Aussage dieser Überschrift (das wirkliche Ich) tatsächlich nicht im Ich. Ich bewege mich im Allgemeinen, sinniere gewissermassen vom Dach der Welt aus in meinem (gemeinhin unbemerkt) dual ausgerichteten intellektuellen Räsonieren über ein zu Begreifendes, das ich in Tateinheit nicht begreife, wenn ich im gleichen Atemzug in dem ich es begreifen will nicht der „inneren Bewegung“ mich in seelischer Beobachtung beobachtend annähern kann, was ich da genau zu begreifen suche.

Denn: Über das Ich kann nicht gedacht werden. Ich kann nur aus dem Ich heraus denken. Doch um diese Art zu denken innerlich auf den Weg zu bringen muss ich ich mich zunächst meines Willens vergegenwärtigen. Und dies bedeutet sich ein Tun innerlich abzuringen, das gegen die vorherrschende Gewohnheit anzugehen hat. Denken als Prozess-Erfahrung.

Hier geht es also um ein Umstülpen in meinem Verhältnis zur Welt, was heisst: Ich muss in das Verwirklichen dessen, was ich zu verstehen trachte unmittelbar eintreten. Ich kann es nicht mehr, wie bis anhin von aussen als irgendwie Unbeteiligter einfach nur in abstrakten Bilderfolgen ohne tatsächlichen Erfahrungsbezug wie automatisiert mir zur Kenntnis bringen. Ich erschaffe vielmehr im beobachtenden Inne-Werden meiner begreifenden inneren Bewegungen, meines beständigen Begriffe Umschmelzen im jeweiligen Erfassen dessen was ist, Wirklichkeit. Ich erfasse mich selbst, erhelle mich in meinem Ich-Sein mehr und mehr, erfahre mich als Ich. Die Aussage „das wirkliche Ich“ beinhaltet also eine Erfahrung inneren sich Bewegens oder sie verweist auf ein "Noch Nicht," verharrt in einem Allgemeinen, das seiner Verwirklichung im Vergegenwärtigen seiner Bewegungen an den jeweiligen Tatsachen noch harrt. Individualität ist ein fort und fort  sich Bildendes und kein Status.

Dem gemäss ist die Ich-Du Begegnung, wo auch immer sie geschieht eine in ihren Untergründen immer sehr Ernste. Das wird auf den ersten Blick so nicht gesehen und das ist auch gut so. Karl Ballmer aber beunruhigt die Frage nach dem Ich in seinem Bildwerk vielerorts mehr als in seinem Sagen an seinen Freund Friedrich Widmer, denn da bekommt es, wenn auch eine mitunter verhüllte, darüber hinaus aber eine geradezu dynamische Farbigkeit. Einem vertieften Kunstbetrachten tun sich Abgründe auf und innere Erschütterungen des Erfahrens können sichtbar werden. Balmer stellt sich vor den Augen des stillen Betrachters in einem nachgerade erratischen inneren künstlerischen Ringen „seinen Ich-Erfahrungen.“ Wenn du soweit in die Betrachtung seiner Bilder hineingehen willst macht das betroffen und erzeugt Respekt vor soviel Ehrlichkeit sich selber gegenüber.

Die Ich-Du Begegnung auf den zweiten oder dritten Blick. Sie ist eine Herausforderung, denn sie impliziert ein durch das Du Angerufen Werden, was heisst verändere dich, wenn Du ersthaft „Ich“ werden willst. Denn: Im Ich-Sagen oder Dich als Ich fühlen bist Du zumeist sehr viel weniger Ich als Du zu sein vermeinst. Warum: Weil im Ich-Sagen Du weit häufiger, als Du geneigt bist dies vor Dir zuzugeben Du Dein Ego verbirgst.

Das Ich ist in seiner Entwicklung auf ein gegenwärtiges Erfahren seiner selbst nämlich eine Symbiose mit dem Ego eingegangen. Eine notwendige Symbiose, weil das Ich als innere Krafterfahrung in Bewegung eine derartige Herausforderung darstellt, dass es über lange Zeit zunächst die Möglichkeit braucht in einen Schutzraum gleichsam wie zurück kehren zu können und diesen bietet ihm eben das Ego. Das Ego kann von daher als die Gebärmutter des Ich betrachtet werden. Im Ego wächst das Ich heran bis es kraftvoll genug ist um sich zu lösen und zu verselbständigen, sprich im wahrsten Sinne des Wortes in der Lage ist in seiner individualisierenden Kraft vor die Welt hintreten zu können. Gerade in spirituellen Zusammenhängen wird dieser Tatbestand heute nicht selten übersehen. "Man" fühlt sich berufen über andere Menschen das Haupt zu erheben.

Mit Karl Ballmer gesprochen ist „Einzigmaligkeit“ jedoch eine schwer zu verdauende Erfahrung und alles andere als eine Glockenturm Weisheit, die zu verkünden ist, so Du Dich als tatsächliches Ich über ein allgemeines Räsonieren hinaus überhaupt dafür öffnen kannst und willst. Einzigmaligkeit ist eine Erfahrung, die alles, wirklich alles von Dir einfordert. Bist Du willens die Vorstellungsverschleierungen von diesem Wort zu lösen, so tut sich dahinter ein Erfahren auf, das Dich nicht nur einmalig, sondern immer wieder erschauern lässt. Vom Ich sprechen und das Ich als ein in Bewegung sich selbst Erschaffendes erfahren, dazwischen liegt solange ein Abgrund wie es Dir an dynamischer Kraft in Deinem inneren Wirklichkeit bildenden Bewegen auf Deine langsam sich erweiternde Ich-Gegenwärtigkeit hin noch fehlen mag.

Als die Essenz des Forschen von Aristoteles über den Aktus kann in seiner Metaphysik angesehen werden, dass der Wille nicht vom Denken getrennt werden dürfe. Genau das ist in der geistigen Entwicklung nach ihm aber geschehen. Der Wille hat sich vom Denken getrennt. Das Denken hat sich in einer Art abstrahiert, dass der in ihm waltende Wille gemeinhin als nicht mehr zugänglich erscheint. Und genau dieser Umstand ist es, der heute die Frage nach dem wirklichen Ich aufwirft. Was Aristoteles in seiner Metaphysik in  seinen Ausführungen zum Aktus als Träger zukünftig zu erringender Ich-Gegenwärtigkeit wie verborgen hat ist nunmehr in Tateinheit einzulösen. Die Gegenwärtigkeit des Ich im Denken. Das Denken als zu erfahrende innere Willenshandlung oder mit Wilfrid Jaensch gesagt: Geisteswissenschaft muss Geisteswillenschaft werden (2), (3). Noch anders gesagt: Wenn die indirekte Frage nach dem Ich nicht nur in der heute üblichen Weise auf einer allgemeinen Begriffsebene gestellt festhaltend weiter verweilen soll, sondern als eine existentiell zu erforschende Daseinsfrage sich darstellen will dann geht es dabei um eine Dynamisierung des Willens (4). Diese Dynamisierung mehr und mehr zur Darstellung zu bringen ist die vielleicht grösste Herausforderung heute, wenn es um die Frage nach dem wirklichen Ich geht.

Das Ich als die sich selbst greifende, sich fliessend beständig wandelnde Entität des Seins schlechthin zu verstehen, als den Gestaltfaktor der das sogenannte Übersinnliche in fortlaufender Vertiefung zur Seinserfahrung werden lassen könnte, das wäre „die“ erweiterte Aufgabe, die ein sich selbst zu gegenwärtigen Erfahrung bringendes Ich in die eigene Seinserfahrung zu implementieren hätte. Ein Denken, welches das Übersinnliche nicht praktisch konkrete Seinserfahrung werden lassen kann ist in meinen Augen nämlich eine Verzerrung dessen was es sein kann.

„Die Welt ist die Gesamtheit der von mir hervorgebrachten Tatsachen …“ (5)(Original Ludwig Wittgenstein Traktat 1 - 1.21) oder meine Version davon: Die Welt ist die Gesamtheit der von mir tätig hervorgebrachten Tat-Sachen. Die Welt ist durch Tat-Sachen bestimmt, Tatsachen, die als Bewusstseinsprozesse in mir aktiviert, sich allesamt als tätig von mir hervorgebrachte Tat-Sachen zeigen (Traktate 1.1 und 1.11). Was hier vom gegenwärtigen offen oder verborgen in Abbildern denkenden Denken her noch zu tun, an Bewusstheit im Umgang mit dem Denken noch zu erringen ist, dabei kann einem in innerer Anschauung schon schwindlig werden. Von daher wäre es an der Zeit für echte Gespräche unter in ihrem Denken modern ausgerichteten Platonikern und Aristotelikern, denn nur gemeinsam scheint mir diese Herausforderung zu meistern zu sein.

© Bernhard Albrecht Hartmann 05.09.2018

(1)  Textstelle entnommen aus: 
       Orginalquelle: Karl Ballmer - Kopf und Herz, 
       Verlag Scheidegger und Spiess AG Zürich 2016
       siehe zum Thema auch:
       und mehr poetisch in: 
(2)  http://enzyklika.blogspot.com/    daselbst unter 30.04.2015     
(4)  https://ich-quelle.blogspot.com/2017/09/den-willen-dynamisieren_97.html
(5)  Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus.                                                                 
       Die zitierten Traktate beziehen sich auf meinem unter (3) genannten Blog-Beitrag.          


Montag, 25. Juni 2018

Was ist so schwer, dass ich es nicht ändern kann?

Anmerkungen zur Aufarbeitung der Folgen der Generalversammlung der AAG 2018
                                         an Hand des 4. Briefes an die Mitglieder.
http://www.goetheanum.org/aag/generalversammlung-2018/vierter-brief-an-die-mitglieder-mitte-juni-2018/

Auf das erste Lesen hin vermittelt dieser Mitgliederbrief ein erhebliches Tätig-Sein der Verantwortlichen hinter den Kulissen. Anscheinend hat die Goetheanum-Leitung nach dem so nicht erwarteten Ausgang der Generalversammlung eine Betriebsberater-Firma aufgeboten, in der alle internen Abläufe einer genauen Überprüfung unterzogen wurden, um organisatorische Lecks und systemische blinde Flecken aufzuspüren. Das lässt den Eindruck aufkommen: wir als Goetheanum-Leitung nehmen euch - die Mitglieder - ernst und wollen alles tun, um die beanstandeten Mängel an Transparenz in der Kommunikation zu beheben. Und in der Tat scheint sich einiges zu ändern innerhalb der internen Abläufe der Zusammenarbeit am Goetheanum – d.h. der aktuellen Kenntnis von einander - was die Mitarbeiter und die Goetheanum-Leitung wechselseitig jeweils tun. Dies betrifft auch die sachbezogenen Verantwortlichkeiten, die deutlich an Kontur hinzugewinnen. Es entstehen transparentere Strukturen, Strukturen, die Sicherheit vermitteln und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen sich bestreben. So die Ansage.

Erstaunen stellt sich bei mir allerdings ein, wenn ich in diesem Brief an die Mitglieder lese, „dass dem Vorstand insbesondere die Pflege der inzwischen zu einer Weltgesellschaft angewachsenen Anthroposophischen Gesellschaft obliegt.“
Weltgesellschaft: Ist dies nicht ein Zustand der AAG, der so schon mindestens ein halbes Jahrhundert besteht? Warum also sieht sich die Goetheanum-Leitung jetzt veranlasst, ein besonderes Auge gerade darauf zu lenken?
Und Pflege: Hat nicht Rudolf Steiner die Pflege der Anthroposophie als die herausragende Aufgabe der Mitglieder und des Vorstandes der AAG bezeichnet? Warum also gerade nach dieser Generalversammlung beinahe schlagwortartig wieder die Hinwendung auf diese Aufgabe?

Versuche ich mich ein wenig an die Geschehnisse hinter den Kulissen der gegenwärtigen um Neuordnung bemühten Vorgänge am Goetheanum lauschend heranzutasten, dann wird in mir die eine Frage immer lauter: Wird hier das Scheitern in Bezug auf die individuelle Verantwortung, die Pflege der Anthroposophie wirkkräftig ins Leben hinein zu tragen, nicht erneut verschleiernd behandelt? Und dies gerade anlässlich des Umstandes, dass bei dieser Generalversammlung die Rehabilitierung von Ita Wegmann und Elisabeth Vreede anstand.
Wird im Nachgang dieser Generalversammlung - und der verbreitet erschrocken in sich und um sich herum zur Kenntnis zu nehmenden Gedanken und Emotionen - etwa wieder einmal Geschäftigkeit zu sehr in den Vordergrund gespielt und damit möglicherweise Wesentliches nicht gesehen? 
Denn andernfalls: Hätte der Mitgliederbrief dann nicht noch mehr Offenheit in der Kommunikation vertragen, hätte die Augenhöhe zu den Mitgliedern an Stelle des "wir bringen das schon wieder in Ordnung" nicht tiefer greifend die individuelle Verantwortung des Einzelnen wie der Gemeinschaft als Ganzes für das Scheitern benennen müssen?
Das Bewusstsein für den inneren lebendigen Ausdruck im gesprochenen Wort - seine individuelle Lebensgebärde - anstelle des sich Verbergens hinter dem „Wir“ ist in den letzten 50 Jahren unter den Mitgliedern erheblich angewachsen und damit auch die Mitverantwortung. Dies hier so deutlich anzumerken fällt mir alles andere als leicht.
Dieses Scheitern nicht klarer zu benennen, ist in meinen Augen nämlich das grösste Manko, warum die verschiedenen Krisensituationen in der Geschichte der AAG bis heute im Untergrund weiter schwären und von Zeit zu Zeit sich immer wieder einmal auf die eine oder andere Weise neu entzünden. Es geht und ging bei all diesen Vorkommnissen letztlich immer um das Eingeständnis der individuellen Verantwortung einer jeden der miteinander im Konflikt sich befindenden Personen, gleich auf welcher Seite im Konfliktfeld diese Person auch steht oder stand.
Es geht darum: inwieweit habe ich der Pflege der Anthroposophie meinerseits nicht genügend Rechnung tragen können? Habe ich anderen möglichen Sichtweisen in inneren Erwägungen zur Sache genügend Raum eingeräumt? Oder habe ich etwa die andere Seite stillschweigend für aus meiner Sicht bestehende Mängel allzu schnell in Haftung genommen, ohne offen den Mut aufzubringen, für eigenes Versagen einzustehen?

Warum dies: Weil der so geartete michaelische Mut auf eigene blinde Flecken hinzuschauen in seiner Folge Bilde-Kräfte freisetzt, die in Selbsterkenntnis-Prozessen gleichsam kompostiertes Seelen-Material still in ein Verhalten umwandeln, auf dessen Grundlage im weiteren Verlauf dann von Fall zu Fall Lösungen für ein miteinander Weitergehen zu finden sind. Dass in dieser Hinsicht andere spirituelle Bestrebungen heute mitunter fortgeschrittener agieren, als dies bei nicht wenigen Anlässen innerhalb der AAG geschieht - auch ein Eingeständnis in dieser Richtung - könnte angesichts der Vorkommnisse um die diesjährige Generalversammlung am Ende einen Kraftzuwachs für die weitere Arbeit innerhalb der AAG nach sich ziehen. Zumindest könnte das Hinblicken darauf eigene dogmatische Festlegungen sichtbarer werden lassen und damit ihrer zeitnotwendigen Auflösung zuführen.
Radikales Aufwachen also aus einer Vielzahl unter dem Deckel gehaltener Illusionen. Mit Goethe gesagt: „Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“
Im Sinne Rudolf Steiners gesagt: nicht die Verwaltung des „Kulturerbes“, sprich des hinterlassenen Wortschaffens ist die Aufgabe unter „Hochschulperspektive,“ sondern der Erwerb einer in sich dynamischen michaelischen Haltung, welche für Mitglieder und Leitung im Sprechen zueinander erfahrbar werden kann. Also ins Leben gebrachte Anthroposophie. Die mittlerweile vergleichsweise wie automatisierte Sukzession auf Rudolf Steiner wäre also zu hinterfragen.
Und: Diese Anthroposophische Gesellschaft kann ihr Fortleben nur insoweit immer neu begründen und daraus Mehrwert schöpfen - sprich weiterhin finanzielle Mittel für sich in einem genügenden Umfang sicherstellen - als sie in ihren Mitgliedern und insbesondere in ihrer Leitung sich auf ein individuelles, im jeweiligen Lebensaugenblick zu gründendes Verwirklichen der Pflege der Anthroposophie zu stützen weiss. Mithin: alles Vorstellen über Anthroposophie ist zu verbrennen. Wenn Krisen zukünftig vorausgreifend gegriffen und bewältigt werden wollen, dann geht es um ein tätiges Hervorbringen von Anthroposophie im jeweiligen Lebensaugenblick.
Was bedeutet das: Sprechen und Denken in der Gegenwärtigkeit der Schwelle   zur geistigen Welt. Denn was Rudolf Steiner als Schwelle benannte und beschrieb, das ist unter mittlerweile nicht wenigen jüngeren Menschen unmittelbares Empfinden und Erfahren. Wer lauschend genauer hinschauen will, der erfährt es unmittelbar. Auf der Stirne einander sich begegnender Menschen steht wechselseitig heute vermehrt geschrieben: Erkenne Dich selbst. Und wo das nicht „beherzigt“ wird, dort kann es immer weniger zu tatsächlich menschlichen Begegnungen kommen, und krisenhafte Konflikte bauen sich unvermeidbar auf.
Die seelische Beobachtung ist heute als sozialgestalterisches Element gefragt. Aber genau diese von Rudolf Steiner seiner Philosophie der Freiheit zugrunde gelegte Methode ist vielleicht die am wenigsten geübte in der Pflege anthroposophischen Lebens.
Angewandt auf die verschiedenen vergangenen und gegenwärtigen Konfliktfelder kann sie deutlich machen, dass sämtliche Konflikte ein grundlegendes Muster in sich tragen. Sie sind, bei aller Verschiedenheit in der Ausgangslage, Produkte dual ausgerichteter Sichtweisen, einer mehr oder weniger weit und tief reichenden Vorstellungsverhaftung im Umgang von Mensch zu Mensch.
Vorstellungen aber - werden sie nicht beständig reflektiert immer wieder einer von innen her tätig zu bildenden Erneuerung unterzogen - haben es so an sich, zu Barrieren vor der Schwelle zu werden und ein begleitendes Empfinden zu verstärken: "Wir sind noch nicht so weit, die Schwelle zum unmittelbaren Erfahren des Geistes zu überschreiten." Sie verführen, je länger sie unverändert sich erhalten können, zu Schläfrigkeit und Mutlosigkeit, anstatt einer michaelischen Wachheit für den anthroposophisch zu gestaltenden Lebensaugenblick zum Durchbruch zu verhelfen. Und sie verleiten von dort her voraussehbar zu Kampfverhalten um die Oberhoheit der jeweils eigenen allein für richtig gehaltenen Vorstellungsperspektive.
Wer das bei sich nicht zu ändern weiss, „den bestraft das Leben.“

© Bernhard Albrecht Hartmann