Samstag, 6. April 2013

Etwas über die Bedeutung des Fragens

Es ist eine, wie mir scheint, heute jedermann zugängliche Erfahrung, dass, so mir eine bestimmte Auffassung aus meinem sozialen Umfeld zugetragen wird, die mir unverständlich erscheint, mit der ich mich auf ein Erstes hin nicht vollumfänglich verbinden kann, zu der ich also in einer gewissen Nicht-Übereinstimmung mich befinde, dass ich geneigt bin diese Nicht-Übereinstimmung durch geeignete Argumente nach aussen hin, also in einer Auseinandersetzung mit dem Meinungskontrahenten auszutragen suche.
In Anbetracht einer derartigen Erfahrung sich selber in Frage zu stellen, erscheint eher seltener die erste Option zu sein, wie einer Nicht-Übereinstimmung begegnet wird.
Der erste Blick gilt zumeist dem, worin ich mich argumentativ von dem Gesagten des anderen Menschen unterscheide. Nicht das Übereinstimmende seiner Rede mit meiner Auffassung gerät ins Zentrum der eigenen Betrachtung, sondern das, was sich von meiner Auffassung zu dem angesprochenen Thema abhebt, was einen Missklang im Verhältnis zu meiner Auffassung erzeugt hat. Diesen Missklang zu beseitigen ist also das erste Anliegen.
Und genau das ist es, was allzu viele Diskussionen so schwer zu einem wirklichen, einem wirkkräftigen Ende kommen lässt. Die einzelnen Mitglieder derselben sind sich selbst nicht bewusstseinsmächtiger Mittelpunkt, sie agieren auf dieses oder jenes Gegenüber hin, aber nicht lebensecht und nondual aus sich heraus.
Nicht wenige soziale Gemeinschaften (von ganz kleinen privaten bis zu Staatsgebilden hin) ächzen heute geradezu beängstigend in ihren inneren Gefügen. Die tieferen Ursachen derenthalben das so ist scheinen mir jedoch nur selten wirklich gesehen zu werden und so doch, dann werden sie, wie ich aus zahlreichen eigenen Erfahrungen heraus weiss, mit einer ungenügend vernetzten individuellen, wie in Gemeinschaft untereinander verbundenen Sachlichkeit, Herzensgüte und Ressourcen Orientierung angegangen.
Dreigliederung als verinnerlichte Lebensgebärde.
Mangelnde Sachlichkeit und innere Feigheit, als eine dem eigenen Herzen gegenüber geschlossene Haltung nach aussen hin, sind aus meiner Sicht wesentliche Ursachen, dass so viele Misthaufen in sozialen Einrichtungen Fortbestand haben können auf denen Platzhirsche ihre Burgen errichten und mitunter beinahe endlos halten können.
Wenn ich mich aber selber nicht in Frage stellen kann und durch ein derartiges mich in Frage Stellen durch innere Nullpunkte immer wieder hindurch gehen konnte, dann kann ich in sozialen Zusammenhängen auch nicht wirkkräftig, d.h. mit Achtung vor der Würde des anderen Menschen tätig werden und sein.
Es kann doch nicht darum gehen  Menschen in sozialen Zusammenhängen aus dieser oder jener Position heraus zu drängen, selbst wenn noch so vieles für eine Notwendigkeit in dieser Richtung sprechen sollte. Der soziale Unfriede, vielleicht sogar die äussere und noch schlimmer die innere Spaltung einer sozialen Gemeinschaft begünstigt nur Kräfte, in deren Windschatten sich ein neuer Platzhirsch etablieren kann.
Soziale Kunst fusst auf der Fähigkeit Fragen so zu stellen, dass sie andere Menschen in die Lage versetzt sich selber in Frage stellen zu können.

© Bernhard Albrecht, 06.04.2013