Samstag, 24. August 2019

Fragment 2/2019

M. Scagliero - Unbewegt "

Anfangen wird der Mensch, unbewegt vor der Bewegung seines Denkens zu stehen. Daraus wird die Fähigkeit erwachsen, auch dem Fluss des Fühlens, dem Fluss des Wollens in Unbewegtheit zu begegnen, unbewegt zu bleiben vor dem Sich Erregen der Leidenschaften und Instinkte.

Der Mensch irrt, wenn er sich mit dem abstrakten, leblosen Denken identifiziert. Unbewegt zu bleiben, um das Denken in seiner Bewegung sehen zu können, heißt, sich mit ihm in Tiefen zu verbinden, in denen es das Licht des Lebens ist. Kommende Zeiten werden dieses Geheimnis entdecken."
                     Massimo Scaligero, Raum und Zeit, o.J. S. 81 

Der höchste Formausdruck von innerer Bewegung ist die Wachheit. In ihr ist alles anschauende Stille. Kein Wenn und Aber. Nur stille Begegnung mit dem je Anderen. Interesse. Respekt. Ein stiller Gruss, lächelnd. Ein Weitergehen mit neuen Fragen an sich. Fragen, die die eigene Transformation selbstbefragend vorantragen. Nicht abstrakt, sondern lebensnah, weil sich selbst nicht ausklammernd. Der Auflösung der Dualität entgegen. Brüderlichkeit erfüllt sich im nondualen Sein.

Der Augenblick - verdichtete, intensivste Bewegung in Stille. Begegnung im Ausnahmezustand. Fragen lösen sich und stellen sich im gleichen Atemzug. Für die  Philosophie und Wissenschaft: Die Begegnung des Forschers in der Abstraktion, der abstrakten Denkbewegung, mit sich selbst. Die Aufgabe: Die Renaissance vollenden durch Auflösen aller inneren selbst errichteten Denk-Barrieren, Gefühls- und Willensblockaden. Die Hindernisse für eine Entwicklung innerhalb der gegenwärtigen Weltverhältnisse liegen in mir und sonst nirgends. Die Lösung: Im Ausnahmezustand sich selber in die Augen schauen und das Notwendende tun. Ob dies klein oder gross ist, alles ist von Bedeutung im grossen Fluss des Lebens.
                           
                                                
Bernhard Albrecht

Fragment 1/2019

                          „Das, was den Gegenstand schwer verständlich macht ist … nicht,
                            dass irgendeine besondere Instruktion … zu seinem Verständnis 
                         erforderlich wäre, sondern der Gegensatz zwischen dem Verstehen
                       des Gegenstandes und dem, was die meisten Menschen sehen wollen.
                  Dadurch kann gerade das Naheliegendste am allerschwersten verstanden
                      werden. Nicht eine Schwierigkeit des Verstandes, sondern des Willens
                                        ist zu überwinden." Ludwig Wittgenstein (1)

                 (1)   Ludwig Wittgenstein - Ein Reader: Das Wesen der Philosophie S. 315,                                Reclams Universal Bibliothek Nr. 9470, Druckauflage 2011
Die Notwendigkeit diesen „Gegensatz“ vor-gängig auflösen zu müssen stellt das vielleicht grösste Hindernis dar für die längst fällige Weiterentwicklungen im Selbstverständnis der Wissenschaft. Die Anschauung dessen was tatsächlich ist wird durch den Umstand der Vorstellungsüberlagerung oder um es noch pointierter auszudrücken der vor sich selber verschleierten klamm-heimlichen „Abbild-Besetzung“ durch das Subjekt behindert, um nicht zu sagen weitgehend unbemerkt geradezu verhindert. Wittgenstein findet hier lakonisch zutreffend die Worte „was die meisten Menschen“ diesbezüglich einfach nur „sehen wollen,“ bzw. nur noch sehen können.

Im Zuge des notwendigen Durchgangs durch den Dualismus in der Wissenschaftsentwicklung geht die „Wirklichkeit“ als vom Willen bewusst zu vollziehender, wie darüber hinaus nachhaltig zu überschauender Erkenntnisgewinn in einem sich mehr und mehr verschränkenden Abstraktionskonvolut verloren. Die Wissenschaft verliert den Zusammenhang mit ihrem tragenden gesellschaftlichen Umfeld und kann die Verbindung zu diesem ihrem Untergrund zunehmend nur noch über sogenannte „dolmetschende Experten“ aufrecht erhalten. Ein letztendlich gefährlicher Isolationsprozess.
Noch bedenklicher aber ist der Umstand, dass sich auf diese Weise die immanente Anlage im Wissenschaftsverständnis  auf eine zu entwickelnde nonduale Wissenschaftshaltung im Prozess der Erkenntnisgewinnung  nicht ihre zeitgemässe Weiterentwicklung findet.

                                                                                                        Bernhard Albrecht