Freitag, 28. September 2018

Nachtrag

Aus Anlass eines Kommentars auf dem Blog von Roland Wiese von Reto Andrea Salvodelli
will ich meinem bisherigen Sagen zu Karl Ballmer und der Frage nach dem wirklichen Ich diesen Nachtrag hinzufügen.

„Ich weiss wohl, was Ballmer seinem Kollegen mitteilen wollte. Aber da er es nicht gesagt hat, sondern sich – wie auch sonst so oft – provokativ abgekürzt zu äussern beliebte, ist dasjenige, was Sinn machen würde, in seiner Äusserung doch nicht drin. Ich meine, die vermeintlich vergangene zentrale Frage der „Erkenntnistheorie“ (Steiners): „Was ist das Erkennen?“ geht nicht durch Überspringung ihrer selbständigen Vertiefung – d.h. erkenntnispraktischen Beantwortung – in die Frage „Wer ist das Erkennen?“ über. Für Ballmer blieb „Erkenntnistheorie“ immer Theorie. Das stachelte ihn dazu an, mit dem Hammer zu philosophieren, wofür er, posthum, von etlichen allgemeine Bewunderung erfahren hat.“

Reto Andrea Savoldelli

Ach Reto Andrea …
Das Lauschen scheint nicht unbedingt Deinem praktischen Sinnen nahe zu liegen. Das anschauende innere Abstand-Nehmen … und von daher die Sachzusammenhänge, das Wort, Karl Balmer aus sich sprechen zu lassen … ohne das aufprägende Überstülpen eigenen Vermeinens, sprich das untergründig Mitschwingen Lassen von unreflektierten Kurzschlüssen  über wie Karl Ballmer im Verständnis gewisser Zeitgenossen „angeblich war“. Nach meinem übenden Umgang mit Erkenntnistheorie gehören solcherart Fingerübungen mit seelischen Beobachtungen unter anderem zum Grundbestand praktischer Vermittlung einer Erkenntnistheorie.
Karl Ballmer war kein einfacher Zeitgenosse, für eher empfindungshafte Weggenossen mitunter geradezu eine schreckhafte Herausforderung. Seine unterschwellige Zen-Gebärde in seiner verkürzten Wortwahl vielleicht auch für den einen oder anderen bedrohlich.
„Stell Dich auf Deine eigenen Füsse“ leuchtete durch nahezu all sein Tun auf. Darin war er unbequem, galt in gewissen Kreisen als Querkopf ohne Taktgefühl für andere Daseinsweisen. Dass er damit aber nur sich selbst über alle Widerstände hinweg treu blieb, die Fackel einsamer Ich-Herrschaft hochhielt, dahin reicht bis heute nur das Verständnis ganz weniger Menschen. Ich wage hier zu sagen, dass seine tiefere Bedeutung für die praktische Seite der Erkenntnistheorie in Zukunft erst noch wirkkräftig zu enthüllen sein wird.
Aus dem tieferen Umgang mit seinem Bildwerk kann jedoch schon heute hervorgehen, dass Karl Ballmer geradezu rigoros in der Art war, was er sich in jedem Pinselstrich seines malerischen Arbeitens an äusserster Bewusstheit abverlangte und auferlegte. Sich vor die weisse Leinwand setzend rang er bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus stundenlang und das über Wochen hinweg immer wieder mit der puren weissen Leinwand oder auch einigen wenigen gesetzten Pinselstrichen, … bis jegliche perspektivische Vorstellung über ein Bildgestalten sich von innen her aufzulösen begann und er ganz in den Erfahrungsraum seines eigenen Sehorgans, seiner denkenden schöpferischen Sehkraft (1) eintreten konnte. Imagination aus dem Hintergrund aufgelöster Perspektive „schüchtern“ im malerischen Tun in Erscheinung treten konnte.
Die gewissermassen vibrierenden Inn- und Umräume vieler seiner scheinbaren auf ein Äusserstes hin reduzierten flächigen Bildelemente können einem abstrakten Bildbetrachter daher nicht anders als verborgen bleiben. Das Bildschaffen von Karl Ballmer zu verstehen, dazu gehört eine grosse innere Regsamkeit, bzw. sehr, sehr viel Unvoreingenommenheit und Offenheit. oder wie es Peter Suter sagt: „Mit unerschrockener Direktheit wird hier eine Einladung formuliert, die Enge konventioneller Erkenntnis zu überwinden.“ (2)
Karl Ballmer lebt und bezeugt in der Art seines künstlerischen Schaffens das „was Erkennen ist, wer der Erkennende“ im Erkennen ist. Er ist darin streng, wie gleicherweise milde. (3)

Bernhard Albrecht Hartmann


(1)    Karl Balmer: „Drei Vorträge über Kunst,“ Verlag Fornasella, CH-6863 Besazio,      
         2. Auflage 1996 Seite 29
(2)    Peter Suter in: Karl Ballmer Kopf und Herz, Aargauer Kunsthaus, Aarau /
         Ernst Barlach Haus, Hamburg,
         Verlag Scheidegger und Spiess AG Zürich 2016, Seite 139
(3)    Thomas Hunkeler über Samuel Beckett begegnet Karl Ballmer in: dito, Seite 133

Mittwoch, 26. September 2018

Die Frage nach dem wirklichen Ich - 3.Teil

https://rolandwiese.com/2018/08/27/das-wirkliche-ich/comment-page-1/#comment-30

Lieber Roland Wiese
Du hast mir unmerklich(?) eine deutliche Vorlage für die nachfolgende dritte, wiederum nur skizzenhafte Ausarbeitung meines Essays zur Frage nach dem wirklichen Ich geliefert. Die 2. Frage im 2. Teil dieser Essay-Reihe (Was ist unter dem historischen Auftreten des wirklichen Ich zu verstehen?) könnte nach dem vorausgehend Gesagten nunmehr auch lauten: Von der innerlich erfassten Bewegung zu dem Augenblick des historischen Auftreten des wirklichen Ich.
Du sagst, das Ereignis des Ich sei heute der einzelne konkrete Mensch. In meinen Augen ist hier nachzufragen: Wie kommt dieses Ereignis genau zustande? Wie stellt es sich in der seelischen Beobachtung dar, wie zeigt es sich konkret? Bitte nimm dies nicht als eine Attacke gegen Dich persönlich, Hegel hin oder her. Wir leben hier und heute und sind gegenüber damals mit einer vertieften Bewusstseinsmöglichkeit ausgestattet. Und dieser Umstand verträgt es nicht in der forschenden Frage nach dem Ich aus der „Man-Perspektive“ sich mit der Frage nach dem Ich auseinanderzusetzen. Ich ist immer konkret, so wie Konfrontation mit sich selbst eben nur unmittelbar und konkret sein kann.
Und wenn dieser Vorgang nicht auch weh tut, dann bin ich nicht wirklich an der Sache dran. Berührung, Selbstberührung kann nicht ohne Schmerz abgehen, sie muss mitunter auch weh tun, denn wenn nicht, bewege ich mich dann nicht zu sehr im abstrakt Allgemeinen mit dieser Frage? Eine schmerzfreie Geburt gibt es schlichtweg einfach nicht.
Versuche ich mich auch nur ein wenig auf diesen Geburtsprozess innerlich anschauend hinzubewegen, heisst das dann nicht mich auf Unwägbares, Unbekanntes, auf einen Prozess in Neulande hinein einzulassen? Geburt, Neulande … hinübergehen von einem Noch-Nicht in bisher nicht betretene Gefilde? Geistige Geburt. Was hat es damit auf sich? Kann so ein Vorgang beschrieben werden, bzw. kann ich einem derartigen Ereignen überhaupt annähernd begegnen und wenn ja, welche Prozesse kann ich dabei forschend ins Auge nehmen um mich eines derartigen Erleben zu vergewissern? Gibt es ein existentielles Momentum, einen Dreh- und Angelpunkt, innerhalb dessen Durchgang sich Ich Geburt vollzieht, mir Ich Geburt gegenwärtig wird?
Ich Geburt und das Fragen des Sokrates:
Mein Fragen an Sokrates. Inwiefern rüttelt Sokrates mit dem Satz: „Ich weiss, dass ich nicht weiss“ … von heute her gesehen an der Pforte dieses Ich-Werde-Prozesses? Sind in gewissem Sinne vielleicht der Gang über den Schwebebalken innerhalb der fragenden Auseinandersetzung mit diesem Satz und die inneren Erfahrungen, die sich dabei einstellen können die geeignete Vorbereitung für diesen Prozess?
Schwebebalken: Das Loslassen des bisherigen Verständnisses eines Sachverhaltes, einer zu Vergangenheit hin bezogenen Weltsicht, nimmt sie tiefer darauf hingeschaut nicht etwas von dem festen Boden unter meinen Füssen weg, auf dem ich bis anhin stand? Zumindest dann, wenn ich dabei in die Willensbewegung des Vorwärtsgehens innerlich mit hinein gehe. Diesen Umstand verdeckt allerdings die heute allgemein verbreitete abstrakte Weltsicht auf die Belange meines Denkens. Geist-Berührung findet dabei eher nicht statt und demgemäss kann auch der innere Vorgang eventuell tatsächlicher Geist-Berührung, eines Geist-Erfahren auch nicht in Worte gefasst werden. Ich denke und werde mir dabei der tiefer gelegenen Prozessschichten und Prozessdynamik nicht bewusst, die dabei mit im Spiel stehen.
Der abstrakte, „Man“ operierende Intellekt ist ein eifrig beflissener, ein fleissiger bemühter Geist-Arbeiter. Nur, kann er in solcherart Tun dem Geist „in Tateinheit,“ also unmittelbar begegnen? Geist-Berührung sehe ich noch nicht als Geist-Begegnung an. Sie tritt nämlich wie von aussen an mich heran. Ich, dem sie widerfährt, dem sie gleichsam angetragen wird, bin in diesem Geschehen nicht voll aktiver Teilhaber. Ich empfange ein Geschenk. Meinem Geist-Bemühen webt sich etwas ein und flüstert mir zu, wach auf, werde aktiv und stelle Dich auf Deine ureigenen Füsse. Ich-Sein erfahren kannst Du nur aus der Selbstkonfrontation auf Deinen eigenen Grund hin. Steh also auf, nimm Dein Bett unter den Arm, sprich, straffe Deinen Leib in „Zurückdrängung“ - wider allen vermeintlichen Schmerz - der sich Dir dabei in den Weg stellen mag und gehe.
Dazu gehört einiges an Selbstvertrauen und viel, viel Mut. Der Schritt auf den Schwebebalken des „ich weiss, dass ich nicht weiss“ hinaus ist ein gewaltiger. Hier … im Bewusstsein nicht nur irgendwelcher Unzulänglichkeiten, sondern Deiner gesamten bemüht verdeckt gehaltenen Hinfälligkeiten Dein eigenes Gleichgewicht zu wahren, darin wird Deine Ich-Gegenwärtigkeit mehr und mehr historisch. In der unverblendeten Selbstkritik wird seelische Beobachtung real … und wirst Du mit den Worten von Karl Balmer in einem Buchtitel (1) von ihm zum Vollzieher: „der Macher bin ich, den Schöpfer empfange Ich.“ Ich entfalte aus der Erfahrung werdenden Willenskraft den Logos, das Wort in mir, lasse es als Ich in die Welt treten.
Wie aber werde ich des Wortes, das vom Weltengrund her (ein Wort Rudolf Steiners) mich anspricht, gewahr. Der Weltengrund ist heute nichts Überweltlich, Übersinnliches mehr, weist nicht mehr auf eine irgendwie geartete Transzendenz hin. Er tritt mir vielmehr in jedem Augenblick meines Lebens durch das Du entgegen. Sein Raum ist in den Armen des Du geborgen und öffnet sich, so ich darauf hin schauen will. Ich das Du insoweit also nicht mehr als ein duales Gegenüber ansehe, sondern als den Botschafter, den Überbringer der Karma Aufgaben des Ich-Werdens, in die hinein ich erwachen will.
Doch gerade hier scheitern Ich - Du Begegnungen immer wieder. Es kommt tendenziell eher zu einem Auseinandergehen, bestenfalls einem Nebeneinander Hergehen anstatt eines Aufeinander Zugehen. Das Erwachen aneinander im Erfassen der wechselseitigen Du-Botschaften in einem wachsenden Bewusstheit der Prozesse auf die es ankommt, geschieht eher rudimentär in die notwendige Tiefe hinein. Mithin kommt es auch nicht zu einem wesentlichen Voranschreiten im eigenen Ich-Werden. Etwas anders angeschaut, Ich-Werden ist ein recht holperiger Prozess.
Warum? Weil wir in diesem Prozess uns allermeist zu sehr auf das jeweiliges Gegenüber fixieren, anstatt dass wir konsequent in die Beobachtung nehmen, was ich im Spiegel des Denkens des Du in mir beobachte, was auf mich leise hin- oder zurückweisend in meinem Denken erscheint. Streng genommen kann ich, was das jeweilige Du in Persona betrifft erst dann wirklich erfassen, wenn ich zuvor dessen Botschaft an mich vertieft zur Kenntnis nehmen konnte. Der andere Mensch ist mir Schicksalsbote, ist mir Überbringer meiner Karma-Aufgabe. Das, was Rudolf Steiner seinerzeit für die Menschheit neu begonnen hat zu enthüllen findet seinen Fortgang durch das Du.
Was bedeutet, dass ich im Vollzug der Integration dessen, was mir der andere Mensch als Botschaft übermittelt ich mein Selbstbild zu korrigieren habe. Selbstbild Korrektur ist also der eigentliche Hintergrund dessen, was Rudolf Steiner mit den Worten „alle Vorstellungen müssen verbrannt werden“ nach der Weihnachtstagung 1923/24 von den Menschen einfordert, die den Grundstock dieser neuen Anthroposophischen Gesellschaft zukünftig bilden wollen.
Ein Vorgang, der sehr schmerzlich ist, wenn ich konsequent immer wieder neu an seine Umsetzung herantrete. Es ist der innere Kampf gegen die Zargen und blitzschnellen Lasso-Würfe des Ego im Gewande unbemerkt bleibender selbstüberheblicher Subjektivismen, es ist der formalistisch getarnte Starrsinn einer versteckten Angst vermeintliche wissenschaftliche Reputation einzubüssen, wenn der sogenannten Objektivität  dem Vermeinen nach nicht Genüge getan wird. Nur: Was sind Subjektivität und Objektivität, wenn dem Erkenntnis bildenden Willen im Denken nicht aufmerksame Beobachtung gezollt wird?
Wie denn? Kann Wille unserer herkömmlichen Erfahrung nach überhaupt gegriffen werden oder beziehe ich mich da auf ein letztlich dunkles, exakt nicht fassbares Ereignen? Der Erkenntnis bildende Wille, ein Phänomen im Nirgendwo? Nirgendwo? Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel versucht in seinem Buch: „Der Blick von Nirgendwo“ (2)(3) diesen Weg zwischen Skylla und Charyptis hindurch in grosser Offenheit zu finden.
Diesen Blick einnehmen zu wollen oder gar zu können scheint in sich widersinnig zu sein. Doch Prozessdenken wie ich es hier anstosse setzt genau diese Bereitschaft voraus. Sich von Anhaftungen jeglicher Art zu befreien und in diesem „abstrakt undenkbaren“ Bewegungsmodus einzufinden. Es setzt voraus wirklichen Mut zu zeigen und das Nichts als modale höchst virulente Erfahrung verstehen zu lernen und in ihr in fortlaufender Gleichgewichtsbildung dynamisch Einsitz zu nehmen. Hellt sich das Nichts auf, befreit sich das Ich.

Bernhard Albrecht Hartmann


(1)  Karl Balmer, „DER MACHER BIN ICH, DEN SCHÖPFER EMPFANGE ICH,“        
      Verlag Fornasella CH-6863 Besazio, 3. Auflage 2007
(2)  Thomas Nagel: „Der Blick von Nirgendwo,“ Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, STW 2035

Donnerstag, 13. September 2018

Die Frage nach dem wirklichen Ich - 2.Teil

„Bedeutet „Wissenschaft“ das System der Begriffe, die von einem obersten Begriff (etwa „Gott“) zusammengefasst werden, so bedeutet das historische Auftreten des wirklichen Ich für die „Wissenschaft“ die Notwendigkeit, das System der Begriffe zu verwandeln in ein System der Iche.“ (Karl Ballmer) (1)

Vor dem Hintergrund dieser Aussage von Karl Ballmer will ich meinen vorangegangenen Ausführungen zu diesem Thema eine Fortsetzung folgen lassen. Dabei sind drei Aussageelemente zu untersuchen ohne dabei auf eine abschliessende Klärung hinzielen zu wollen. Untereinander besteht zwischen diesen drei Elementen nämlich ein Zusammenhang, der auf Entwicklungslinien hinweist, die wiederum in sich so dynamisch sind, dass ihnen nur nach und nach forschend in geeigneten Beschreibungen näher getreten werden kann. Diese drei zu betrachtenden Elemente sind:
1. Unter welchem obersten Begriff müsste heute das System der Begriffe                           
    zusammengefasst werden?
2. Was ist unter dem historischen Auftreten des wirklichen Ich zu verstehen?
3. Inwiefern könnte es notwendig sein das System der Begriffe in ein System der Iche zu verwandeln? 
Die Frage ist nicht so ganz einfach zu beantworten, denn welchem obersten Begriff könnte die Wissenschaft heute angesichts der Öffnung des Denkens nach allen Seiten hin noch für das System der Begriffe zu einer verbindlichen Anerkennung verhelfen. Die weltanschaulich religiösen Bünde auf der ganzen Welt verfügen nicht mehr über eine Autorität, die sie in die Lage versetzte einen derartigen Begriff durch und durch authentisch vertreten zu können. Der Begriff „Gott“ scheidet also aus. Nicht ganz ohne jeden Grund scheint Karl Ballmer bereits vor ca. 80 Jahren diesen Begriff in Klammern gesetzt zu haben - mit einem indirekten leisen Fragen?

Nun Ballmer hat seine Fragen im Hinblick auf die Hierarchie der Begriffe, er hat sie seit seiner Begegnung mit Rudolf Steiner und er ringt von daher damit, was Erkennen sei. Ein selbständiger Denker eben, ohne jedwede Tendenz zur Überhöhung der oder Anhaftung an eine sogenannte Meistergestalt. Nach innen wie nach aussen durch und durch kritisch - selbstkritisch ausgerichtet. Eine Haltung, die in der Nachfolge dieser Persönlichkeit innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft und ihren Untergruppen alles andere als selbstverständlich war und ist.

Sich derartig selbständig in eine geistige Nachfolge hineinzustellen macht ihn, mit Verlaub gesagt, zu einer „Marke“ unter vielen, die Rudolf Steiner (möglicherweise unbemerkt) nur als Schild vor sich hertragen. Er „lebt“ das womit er diesbezüglich ringt durch alle Höhen und Tiefen hindurch und so kann sein künstlerisches Werk als ein Weg innerer Wandlungen gelesen werden. Unbequem für so manche seiner Zeitgenossen, aber ganz im Sinne Rudolf Steiners, wonach Anthroposophie Leben „von innen heraus“ werden will.

Bewegung von innen heraus. Das verlangt ein Ausbremsen, ein Zurücknehmen und Verwandeln von Vorstellungen, die innerlich unbeobachtet schnell geneigt sind sich über Fliessgründe des Erfahrens zu legen und diese in eine Erstarrung der Abstraktion hineinzutreiben. Bewegung … von innen also. Was ist das? Und … von wo genau geht diese Bewegung aus. Was ist ihr Ort, von dem aus sie bewegt sich in Bewegung setzt? In Bewegung gesetzt wird? In Bewegung gesetzt von wem? Wer setzt hier von wo, von welchem Ort aus in Bewegung? Ort? Ein Punkt wo? Ort … ein Punkt im Raum? Raum, Innenraum; Raum, in dem Bewegung generiert wird?

Raum, was ist das? Ist Raum für mich eine reale innere Erfahrung? Na klar, … wirklich? Oder nur Vorstellung. Oben unten rechts links vorne hinten zusammengefasst … ja zusammengefasst und bis zum geht nicht mehr in den verschiedensten Konstellationen wiederholend gebraucht ergeben eine Vorstellung von Raum. Wieviel von dieser Vorstellung ist aber für mich wirklich erfahrungsbasiert? 

Raum, Ort erfahrungsbasiert? Jetzt wird es, so ich bemüht bin hier weiter selbstkritisch vorzugehen, jetzt weht mich etwas an, von dem her sich mir der Eindruck vermittelt der Boden auf dem ich stehe kann Dir nicht mehr als gesichert gelten. Das sogenannte „überkommene“ Raumempfinden wirkt verstörend auf Dich zurück. Rechts links oben unten … geben keinen sicheren Halt mehr. Der Boden fest gefügter Vorstellungen von dem was ist … oder sollte ich besser sagen von dem, was meine Vorstellung von Wirklichkeit war fängt ganz leise zu schwanken an. Raum ist … wird mir, wenn ich den inneren Wegen des Erfahrens hier weiter folge zu einem fliessenden Etwas. Ein Etwas?

Bevor ich hier jedoch weiter zu gehen versuche will ich den bisher eingenommenen Blickwinkel noch  für einen kurzen Moment etwas erweitern. Erweitern dahingehend, dass ich Sie werte Leser auffordere sich Vorstellungen ihrer Wahl, die Sie durch ihr Leben begleiten nur für einen Augenblick ein klein wenig näher unter die Lupe nehmen. Vorstellungen z.B. über einen Menschen, der unmittelbar neben ihnen lebt, bzw. mit dem Sie Tag für Tag an ihrer Arbeitsstelle zu tun haben. Was wissen Sie tiefer betrachtet … wirklich über diesen Menschen?

Wenn Ihnen heute etwas an diesem Menschen auffällt, was sie gestern an ihm noch nicht bemerken konnten, wenn sie ein stets neues Interesse für diesen Menschen in sich wach halten können, seinen Lebensbewegungen über Alltagsgewohnheiten hinaus folgen, kurz, ein Rätselhaftes von ihm ausgehend immer wieder einmal zu entdecken vermögen, dann lebt aus meiner Sicht in Ihnen ein offener Fragegeist und nicht so sehr das heute so verbreitete Infrage- Stellen, der schnell das eigene Denken in Beschlag nehmende Vorbehalt gegenüber diesem oder jenem … oder die Trägheit des Gewohnten.

Wer nicht oder zu wenig kleine oder grosse Begebenheiten seines Alltags fragend zu begleiten weiss, der kann auch nicht jenen Fliessgrund des Erfahrens in sich öffnen von dem ich oben sprach. Begriffe tragen vielschichtig fliessend zu Erfahrendes in und mit sich. Sie … sind der Quellgrund des Lebens. Bewegung, die ich, die Sie bereit sind zu induzieren öffnen … Tore in Neulande hinein. Die Lemniskate umschliesst, fasst alle Begriffe in einer unendlichen, in einer stets neuen, frei induzierten Bewegung in sich.

In der Hierarchie der Begriffe steht die Bewegung heute an oberster Stelle, weil der Wille im Denken erneut erwacht. Der Wille, der nach Aristoteles vom Denken niemals hätte getrennt werden dürfen. In der geübten seelischen Beobachtung gewinnt er an Kraft und sprengt die Abstraktionen im Denken. Das Gott-Siegel ist gebrochen.

© Bernhard Albrecht Hartmann, 13.09.2018

(1)   Karl Ballmer - Kopf und Herz, Verlag Scheidegger und Spiess AG Zürich 2016,
        daselbst: Ballmers ursprüngliche Einsicht von Ulrich Kaiser S.136

Dienstag, 11. September 2018

Fragment 2/2018

Die dynamischen Flächen-Strömungen anzuschauender Resonanzgeschehnisse bergen in ihren sich spiegelnden Tiefen, Schichtungen von Zeiten übergreifender Bedeutung. Zwischen Ich und Du wölbt sich hier eine Schwelle in Bewegung, die allen Mut sie zu überschreiten einfordert. Der so bezeichnete dynamische Schwellen-Ort kennt kein Vorher und Nachher, denn andernfalls gibt es kein Erfahren des Überschreiten.
Erfahren wird nämlich erst dann zu einer tatsächlich inneren Befindlichkeit, sofern sie aus der Bewegung heraus und im erlebenden Einsitz Nehmen in der Bewegung geschieht. Erfahrung ohne diese Bewegung ist Illusion, ist Vorstellung von etwas, das so nicht existiert.
Ein Denken ohne ein so geartetes inneres Erfahren ist abstrakt, wandert durch Denkräume ohne den Geist, der in seinen Abstraktionen gleichsam erstorben ist auch nur entfernt berührt zu haben.  Der Wille des Menschen dämmert in einer Art Schlafzustand vor sich hin.

Bernhard Albrecht

Mittwoch, 5. September 2018

Ich - Karl Ballmer - Die Frage geht weiter - 1.Teil

In dem Katalog Kopf und Herz, der anlässlich einer großen Ausstellung des Malers Karl Ballmer (1891-1958) 2016 erschienen ist findet sich ein schöner Beitrag von Ulrich Kaiser: ‚Ballmers ursprüngliche Einsicht‘. In diesem Beitrag habe ich eine interessante Stelle zum Ich gefunden. Karl Ballmer schreibt an seinen Freund Friedrich Widmer: „Ein "allgemeines Ich" ist Begriff, denn ein Begriff ist ja stets ein "Allgemeines." Das Wirkliche Ich ist aber nicht im Sinne eines Allgemeinen, sondern ist Individualität, Einzigmaligkeit. Bedeutet "Wissenschaft" das System der Begriffe, die von einem obersten Begriff (etwa "Gott" ) zusammengefasst werden, so bedeutet das historische Auftreten des wirklichen Ich für die Wissenschaft die Notwendigkeit, das System der Begriffe zu verwandeln in ein System der Iche. Also wenn z.B. bislang der Baum erkannt war, wenn der "Begriff" des Baumes festgestellt ist, so wäre jetzt nur fortan zu fragen: in wiefern ist der Baum Ich. Oder wenn bislang die erkenntnistheoretische Grundfrage lauten dürfte:"Was ist das Erkennen," so hätte auf dem Boden der neuen Tatsachen zu lauten:"Wer ist das Erkennen"“ (S. 136)(1)

Das wirkliche Ich. Umweht nicht schon diese Überschrift in dem Blog Beitrag von Roland Wiese ein gewisser Hauch von Absurdität. In einer Zeit, in der wir tagtäglich viele Male das Wort „Ich“ gebrauchen - was tue ich da, wenn ich nach dem wirklichen Ich frage? Genauer betrachtet muss das doch heissen, dass ich wenn ich „Ich“ sage nicht in meinem Ich gegenwärtig bin, denn ansonsten müsste ich nicht nach dem wirklichen Ich fragen. Autsch … das lässt mich jetzt auf dem Boden auf dem ich stehe schon etwas schwanken. Wenn nicht, dann … und das tut, so ich in meinem augenblicklichen Bemühen mir gegenüber konsequent ehrlich voranschreite richtig weh, stehe ich mit der Aussage dieser Überschrift (das wirkliche Ich) tatsächlich nicht im Ich. Ich bewege mich im Allgemeinen, sinniere gewissermassen vom Dach der Welt aus in meinem (gemeinhin unbemerkt) dual ausgerichteten intellektuellen Räsonieren über ein zu Begreifendes, das ich in Tateinheit nicht begreife, wenn ich im gleichen Atemzug in dem ich es begreifen will nicht der „inneren Bewegung“ mich in seelischer Beobachtung beobachtend annähern kann, was ich da genau zu begreifen suche.

Denn: Über das Ich kann nicht gedacht werden. Ich kann nur aus dem Ich heraus denken. Doch um diese Art zu denken innerlich auf den Weg zu bringen muss ich ich mich zunächst meines Willens vergegenwärtigen. Und dies bedeutet sich ein Tun innerlich abzuringen, das gegen die vorherrschende Gewohnheit anzugehen hat. Denken als Prozess-Erfahrung.

Hier geht es also um ein Umstülpen in meinem Verhältnis zur Welt, was heisst: Ich muss in das Verwirklichen dessen, was ich zu verstehen trachte unmittelbar eintreten. Ich kann es nicht mehr, wie bis anhin von aussen als irgendwie Unbeteiligter einfach nur in abstrakten Bilderfolgen ohne tatsächlichen Erfahrungsbezug wie automatisiert mir zur Kenntnis bringen. Ich erschaffe vielmehr im beobachtenden Inne-Werden meiner begreifenden inneren Bewegungen, meines beständigen Begriffe Umschmelzen im jeweiligen Erfassen dessen was ist, Wirklichkeit. Ich erfasse mich selbst, erhelle mich in meinem Ich-Sein mehr und mehr, erfahre mich als Ich. Die Aussage „das wirkliche Ich“ beinhaltet also eine Erfahrung inneren sich Bewegens oder sie verweist auf ein "Noch Nicht," verharrt in einem Allgemeinen, das seiner Verwirklichung im Vergegenwärtigen seiner Bewegungen an den jeweiligen Tatsachen noch harrt. Individualität ist ein fort und fort  sich Bildendes und kein Status.

Dem gemäss ist die Ich-Du Begegnung, wo auch immer sie geschieht eine in ihren Untergründen immer sehr Ernste. Das wird auf den ersten Blick so nicht gesehen und das ist auch gut so. Karl Ballmer aber beunruhigt die Frage nach dem Ich in seinem Bildwerk vielerorts mehr als in seinem Sagen an seinen Freund Friedrich Widmer, denn da bekommt es, wenn auch eine mitunter verhüllte, darüber hinaus aber eine geradezu dynamische Farbigkeit. Einem vertieften Kunstbetrachten tun sich Abgründe auf und innere Erschütterungen des Erfahrens können sichtbar werden. Balmer stellt sich vor den Augen des stillen Betrachters in einem nachgerade erratischen inneren künstlerischen Ringen „seinen Ich-Erfahrungen.“ Wenn du soweit in die Betrachtung seiner Bilder hineingehen willst macht das betroffen und erzeugt Respekt vor soviel Ehrlichkeit sich selber gegenüber.

Die Ich-Du Begegnung auf den zweiten oder dritten Blick. Sie ist eine Herausforderung, denn sie impliziert ein durch das Du Angerufen Werden, was heisst verändere dich, wenn Du ersthaft „Ich“ werden willst. Denn: Im Ich-Sagen oder Dich als Ich fühlen bist Du zumeist sehr viel weniger Ich als Du zu sein vermeinst. Warum: Weil im Ich-Sagen Du weit häufiger, als Du geneigt bist dies vor Dir zuzugeben Du Dein Ego verbirgst.

Das Ich ist in seiner Entwicklung auf ein gegenwärtiges Erfahren seiner selbst nämlich eine Symbiose mit dem Ego eingegangen. Eine notwendige Symbiose, weil das Ich als innere Krafterfahrung in Bewegung eine derartige Herausforderung darstellt, dass es über lange Zeit zunächst die Möglichkeit braucht in einen Schutzraum gleichsam wie zurück kehren zu können und diesen bietet ihm eben das Ego. Das Ego kann von daher als die Gebärmutter des Ich betrachtet werden. Im Ego wächst das Ich heran bis es kraftvoll genug ist um sich zu lösen und zu verselbständigen, sprich im wahrsten Sinne des Wortes in der Lage ist in seiner individualisierenden Kraft vor die Welt hintreten zu können. Gerade in spirituellen Zusammenhängen wird dieser Tatbestand heute nicht selten übersehen. "Man" fühlt sich berufen über andere Menschen das Haupt zu erheben.

Mit Karl Ballmer gesprochen ist „Einzigmaligkeit“ jedoch eine schwer zu verdauende Erfahrung und alles andere als eine Glockenturm Weisheit, die zu verkünden ist, so Du Dich als tatsächliches Ich über ein allgemeines Räsonieren hinaus überhaupt dafür öffnen kannst und willst. Einzigmaligkeit ist eine Erfahrung, die alles, wirklich alles von Dir einfordert. Bist Du willens die Vorstellungsverschleierungen von diesem Wort zu lösen, so tut sich dahinter ein Erfahren auf, das Dich nicht nur einmalig, sondern immer wieder erschauern lässt. Vom Ich sprechen und das Ich als ein in Bewegung sich selbst Erschaffendes erfahren, dazwischen liegt solange ein Abgrund wie es Dir an dynamischer Kraft in Deinem inneren Wirklichkeit bildenden Bewegen auf Deine langsam sich erweiternde Ich-Gegenwärtigkeit hin noch fehlen mag.

Als die Essenz des Forschen von Aristoteles über den Aktus kann in seiner Metaphysik angesehen werden, dass der Wille nicht vom Denken getrennt werden dürfe. Genau das ist in der geistigen Entwicklung nach ihm aber geschehen. Der Wille hat sich vom Denken getrennt. Das Denken hat sich in einer Art abstrahiert, dass der in ihm waltende Wille gemeinhin als nicht mehr zugänglich erscheint. Und genau dieser Umstand ist es, der heute die Frage nach dem wirklichen Ich aufwirft. Was Aristoteles in seiner Metaphysik in  seinen Ausführungen zum Aktus als Träger zukünftig zu erringender Ich-Gegenwärtigkeit wie verborgen hat ist nunmehr in Tateinheit einzulösen. Die Gegenwärtigkeit des Ich im Denken. Das Denken als zu erfahrende innere Willenshandlung oder mit Wilfrid Jaensch gesagt: Geisteswissenschaft muss Geisteswillenschaft werden (2), (3). Noch anders gesagt: Wenn die indirekte Frage nach dem Ich nicht nur in der heute üblichen Weise auf einer allgemeinen Begriffsebene gestellt festhaltend weiter verweilen soll, sondern als eine existentiell zu erforschende Daseinsfrage sich darstellen will dann geht es dabei um eine Dynamisierung des Willens (4). Diese Dynamisierung mehr und mehr zur Darstellung zu bringen ist die vielleicht grösste Herausforderung heute, wenn es um die Frage nach dem wirklichen Ich geht.

Das Ich als die sich selbst greifende, sich fliessend beständig wandelnde Entität des Seins schlechthin zu verstehen, als den Gestaltfaktor der das sogenannte Übersinnliche in fortlaufender Vertiefung zur Seinserfahrung werden lassen könnte, das wäre „die“ erweiterte Aufgabe, die ein sich selbst zu gegenwärtigen Erfahrung bringendes Ich in die eigene Seinserfahrung zu implementieren hätte. Ein Denken, welches das Übersinnliche nicht praktisch konkrete Seinserfahrung werden lassen kann ist in meinen Augen nämlich eine Verzerrung dessen was es sein kann.

„Die Welt ist die Gesamtheit der von mir hervorgebrachten Tatsachen …“ (5)(Original Ludwig Wittgenstein Traktat 1 - 1.21) oder meine Version davon: Die Welt ist die Gesamtheit der von mir tätig hervorgebrachten Tat-Sachen. Die Welt ist durch Tat-Sachen bestimmt, Tatsachen, die als Bewusstseinsprozesse in mir aktiviert, sich allesamt als tätig von mir hervorgebrachte Tat-Sachen zeigen (Traktate 1.1 und 1.11). Was hier vom gegenwärtigen offen oder verborgen in Abbildern denkenden Denken her noch zu tun, an Bewusstheit im Umgang mit dem Denken noch zu erringen ist, dabei kann einem in innerer Anschauung schon schwindlig werden. Von daher wäre es an der Zeit für echte Gespräche unter in ihrem Denken modern ausgerichteten Platonikern und Aristotelikern, denn nur gemeinsam scheint mir diese Herausforderung zu meistern zu sein.

© Bernhard Albrecht Hartmann 05.09.2018

(1)  Textstelle entnommen aus: 
       Orginalquelle: Karl Ballmer - Kopf und Herz, 
       Verlag Scheidegger und Spiess AG Zürich 2016
       siehe zum Thema auch:
       und mehr poetisch in: 
(2)  http://enzyklika.blogspot.com/    daselbst unter 30.04.2015     
(4)  https://ich-quelle.blogspot.com/2017/09/den-willen-dynamisieren_97.html
(5)  Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus.                                                                 
       Die zitierten Traktate beziehen sich auf meinem unter (3) genannten Blog-Beitrag.