Samstag, 5. Dezember 2020

Das leere Bewusstsein und die Herzmitte - 1

Es gehört zu den täglich offenen oder mehr verborgen sich abspielenden schmerzlichen Begebenheiten, dass ein tieferes Verstehen anderer Menschen auch nur ansatzweise einzulösen häufig schon im nahen Oberflächenbereich scheitert. Scheitert, wenn es denn überhaupt noch gewollt wird, weil der Wille von allzu vielen selbst erzeugten Schutz und Abwehrbarrieren, bzw. äusseren Ereignissen immer wieder wie in eine Lähmung versetzt wird oder durch biographische Erlebnisse einfach nur nachhaltig verstört wurde und ein Verstehen von daher überhaupt nicht mehr gesucht wird. Ein Fernsehspot dieser Tage macht es deutlich, wir haben das „Miteinander-Sein“ verloren. 
Miteinander-Sein … wie denn? Die nachhaltige Teilhabe mit offenem Visier. Das bedingungslose Interesse. Bei genauerem Hinsehen eine Übung, die nachgerade hilflos machen kann. 
Denn: Einsamkeit hat sich wie eine zweite Haut unscheinbar um uns gelegt. Jedenfalls ist Begegnung im eigentlichen Sinn des Wortes, im Sinne eines Aug in Auge Bewusstsein nicht ohne tiefer reichende Anstrengung zu erreichen. Das Leben spielt uns hierbei immer wieder Möglichkeiten mehr oder weniger offen zu, die uns auf die eine oder andere Weise anstossen innere Hindernisse aus dem Weg zu schaffen, damit erweiterte Begegnungsräume entstehen, wieder belebt werden können. 
Das Leben ruft uns zu. … Begegnung, begegnen, über mich, meinen gegenwärtigen Horizont hinaussehen, offen sein Vorhänge vor meinen Fenstern zur Welt beiseite zu schieben und auf Fremdartiges zuzugehen - mir tiefer zu begegnen. 
Wann begegne ich mir selbst in Tateinheit wirklich. Wann komme ich wenigstens in eine Nähe zu mir, in eine Nähe, die mich nicht von allem Anfang an in vernebelnde Selbstillusionen verstrickt. Cave Cerberus. Hüte Dich vor dem Hund, der Deine Ego-Burg bewacht. Er ist wachsam, sehr wachsam. 
Selbstillusionen, die hauptsächlichen Bausteine der Ego-Burg, haben sich zumeist über Zeiträume hinweg, die bis in die Kindheit oder noch weiter zurückreichen aus den unterschiedlichsten Geschehnissen heraus wie abgesondert und von dort her Erlebnisse verkapselt, an die sich im Laufe der Zeit Narrative banden, die ihre Träger in der Folge veranlassen können bestimmte Wahrnehmungen von vorne herein auszuschliessen. Warum? Weil sie von heute her gesehen verunsichern, bzw. ein Gefühl zunehmenden Unwohlseins auslösen, das den Boden wie unter den Füssen wegzuziehen scheint. Momente, die genauer besehen vom Grunde der Seele her eigentlich zum …. Aufwachen anregen, ein „Neu-Bewegen“ intendieren wollen, denen sich aber vielerlei individuelle Widerstände entgegenstellen. 
Die eigene Individuations-Geschichte just in dem Augenblick in die Hand zu nehmen, da ein derart fragiles Erleben die Seele unmittelbar oder nicht weniger bedrohlich mehr hintergründig peripher beunruhigend bestürmt, ist kein leicht Ding. Weil: Weil diese seelische Fragilität eine Verletzlichkeit, um nicht zu sagen auch Gefühle einer inneren Nacktheit mit sich bringen, die um jeden Preis von den Menschen, die sie betreffen bedeckt gehalten werden wollen. Und solche Menschen gibt es heute weit mehr als es nach aussen hin in Erscheinung tritt. 
Es ist nur einfach nicht opportun sich mit einer derartigen Verletzlichkeit offen zu zeigen. Unter die Lupe genommen entpuppt sich der phänomenale Umkreis einer derartig gegründeten Verletzlichkeit für den Beobachter als etwas höchst Seltsames. Erblickt er doch hinter den Versuchen diese inneren Geschehnisse zu verbergen, tief ummantelt in der Seele gleichsam die Gebärmutter von Prozessen und in dem, was diesen zu Grunde liegt, was in diesen Prozessen auf den ersten Blick hin sich ausdrückend lebt - „ein Nichts.“ 
Ja ein Nichts, das auf den Bereich des mittleren Brustbeins unscheinbar drückt und dessen Wirkungen auf das Herz ausstrahlen. Doch halt. Wie kann ein Nichts solcherart Wirkungen auslösen? 
Es kann, weil dieses Nichts und die Möglichkeit es vor die eigene Anschauung zu bekommen anscheinend in vollkommener Dunkelheit ruht. Der Mensch dem solches widerfährt weis, dass da im Dunklen ein für ihn nicht Greifbares schlummert, ein „Wie im Nichts“ sich Verbergendes sein Dasein hat. Nur reicht die Kraft der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit für das Gewahren der damit einher gehenden Phänomene nicht aus. Zumal diese Phänomene in ein beständiges Fliessgeschehen eingebunden in Erscheinung treten. Ein gleichsam tastend sich Einfinden in diesen dunklen Bereich der Mitte über dem Brustbein lässt einander gegenläufige Bewegungen erspüren, Willensbewegungen, die recht virulent agieren. 
Die still sich anbahnende Geburt des Ich im Tod des Ego, eine Lichtgeburt im stetigen Loslassen der in Vorstellungen gebannten Selbstillusionen. Die soziale Herausforderung heute im Begegnen von Mensch zu Mensch. 
 
Bernhard Albrecht