Dienstag, 21. Januar 2025

Eine Nuss mit harter Schale

Ich will Ihnen (Herr Klinke) eine Nuss mit harter Schale zum Knacken anbieten. Sie stellen zwei Begriffe nebeneinander, also in einen unmittelbaren Zusammenhang miteinander, die in der Art wie Sie es tun so nicht nebeneinander stehen können.

„Probleme“ haben immer einen individuellen Hintergrund. Um von „Problemen mit systhemischen Charakterzügen“ zu sprechen bedarf es umfassend differenzierter Kenntnisse, die mit Verlaub Sie bisher in meinen Augen nicht offengelegt haben. Wieviele Waldorfschulen von den weltweit gegenwärtig ca. 1200 Schulen kennen Sie aus eigener Anschauung, mit wie vielen Lehrern haben sie „nachhaltig substantielle“ Gespräche geführt? Kennen Sie persönlich - und nicht nur vom Hörensagen - ein Duzend Waldorfschulen in ihren inneren Strukturen auch nur annähernd?  

1200 Schulen mit einmal angenommen durchschnittlich 15 Lehrern pro  Schule - also 18 000 sehr persönlichen Entwicklungswegen und demgemäss unterschiedlich weit und tief reichenden Lebenserfahrungen. 18 000 Lehrpersonen mit einer zumindest grundständigen wissenschaftlichen Ausbildung. Und Sie als Musiker, sehe ich das richtig (?), Sie würden das System Waldorfschule am liebsten total zerlegen wollen? Wie weit reicht Ihr pädagogisches Verständnis - von Können will ich dabei ja noch gar nicht sprechen? Ich würde jedenfalls nicht einmal im Traum daran denken ein Orchester so an die Wand fahren zu wollen wie Sie mit Ihrem systhemisch hochgetunten Reden glauben Kritik über „der Waldorfschule“ von Ihrem Aussageduktus her pauschal glauben ausschütten zu können.

Und damit wir uns richtig verstehen, ich will hier die Waldorfschule als Ganzes nicht in Schutz nehmen. Ich kenne sie aus der Sicht von 19 Jahren Berufserfahrung an vier Schulen in all ihren Mängeln denke ich recht gut. 

Gespräche … : Damit Gespräche überhaupt in eine gewisse Tiefe hinein in Gang kommen können bedarf es da nicht des Respekts? Des unvoreingenommenen Respekts vor der Arbeitsweise des Kollegen - auch und gerade dann, wenn ich mit dessen Vorgehensweise nicht übereinstimmen kann. Denn es kommt nicht darauf an, wie ich zu dessen Vorgehensweise stehe, sondern ob ich mir ein sachliches Verständnis davon bereit war zu bilden. Und die Möglichkeit zu einem derartigen Verständnis gelangen zu können erwächst aus der Aufmerksamkeit im rechten Augenblick geeignete Fragen stellen zu können, die den Blickwinkel auf die problematische Sachlage erweitern können, den Blickwinkel über alle Seiten der am Gespräch beteiligten Personen hinweg. Die bei diesen Gesprächspartnern die Bereitschaft für eigene Selbstkritik öffnen können, gerade weil Sie sich nicht persönlich angegriffen fühlen müssen. 

Können Sie Herr Klinke Selbstkritik bei sich üben ohne dass es bei ihnen zu inneren Ausweichmanövern kommt? Wenn es in sozialen Auseinandersetzungen um Selbstkritik geht, dann sind Mängel in dieser Richtung allseitig zu suchen, denn die Fähigkeit sich vor den eigenen Spiegel der Wahrheit zu stellen ist heute „allerorts“ für jeden Menschen, eine Herausforderung der sich in sozialen Prozessen bewegt. Schon allein der Umstand, dass ich bei einem Gang durch die Fussgängerzone einer Stadt meine Aufmerksamkeit nicht genügend bei mir halten kann macht es - dieses oder jenes dabei sehend - möglich, dass mich wie aus dem Nichts Vorurteile bestürmen. Herr Klinke gibt dieser Umstand für Sie nicht Anlass etwas weniger laut die eigene Kritikschleuder zu handhaben und dafür mehr Selbstbesinnung dazwischen zu schieben? Redlichkeit zu üben in sozialen Belangen ist ein schwieriger Weg.

Wer sich mit sozialen Prozessen nachhaltiger hat vertraut machen können, der kann wissen, dass Kritik, zumal mit Emotion gepaart selten verfängt, d.h. zu einer nachhaltigen Korrektur führt. Abwehr kommt weit eher zum Zuge, verbunden mit dem Rückzug hinter dogmatisch „verbrämte“ Schutzbehauptungen oder gar ein Oben/Unten Gehabe zwischen Lehrern und Eltern - was natürlich erzürnen muss. Und am Ende kann niemand mehr mit der je anderen Seite sprechen. Mediation kommt in einer derartigen Lage dann oft zu spät und kann allenfalls nur noch Teile der aufgebrachten Elternschaft wieder sachlich befrieden und in einer regelmässigen - wie allseitig geübten Offenheit füreinander die Weiterarbeit ermöglichen.

Rudolf Steiner hat seine Aussagen zur Pädagogik nicht als Programm vermittelt, das damit einzuhalten ist, er hat seine diesbezüglichen Aussagen an jede einzelne Lehrperson gerichtet und diese damit auf einen individuellen Entwicklungsweg, auf eine je eigene Forschungsreise gerufen. Und wer sich diesem seinem freilassenden Ansinnen stellen wollte, der konnte dabei erfahren, ja nicht selten dramatisch erfahren das Stehen an Abgründen des Niemandslandes. Das Durchgerüttelt Werden von der allseits fliessenden Kraft des Nichts, die nur durch das mutige Eingeständnis, dass ich weis, dass ich nichts weis (Sokrates) fragile innere Haltegeschehnisse im Augenblicklichen schaffen konnte. Panda rei …

Dass dies zunächst keine Reise für jedermann sein konnte, das war von Anfang an klar. Ich selber bin ohne offizielles Waldorf - Lehrer Patent diesen Weg gegangen und habe durch mein Bemühen eine ganze Reihe von Menschen kennenlernen dürfen, die in diesem Sinne eigene Forschungsergebnisse zusammentragen durften. Das vermittelte mir das berechtigte Wissen, dass die Waldorfpädagogik weiterleben wird - auch dann, wenn es ihnen gelingen sollte sie hier und heute auszurotten.

Leicht ist es mit der Steinschleuder auf Mängel zu zielen, die schlichtweg nicht zu übersehen sind und von daher nicht unter den Tisch gekehrt werden dürfen. Weit schwerer ist es hingegen das eigene Denken zu vertiefen und weiter zu entwickeln. „Denke nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken. Wenn Du denkst du denkst, denkst Du nur Du denkst“ (Erich Kästner?). Nun Herr Klinke - sind Sie zur Selbstkonfrontation bereit und damit zur Entwicklung einer echten Kritikfähigkeit? Ich/Sie können andere Menschen - selbst mit nachhaltigem Geballere - nicht auf einen Weg erhöhter Kritikfähigkeit hinführen. Dazu bedarf es lebensnaher Beispiele von Menschen, die vorangehen. Könnten Sie sich aus ernster Selbstbesinnung heraus dazu entschliessen? Können Sie auch nur zaghaft daran denken sich auf einen derartigen Mut-Weg einzulassen, also die Steine, die heute allenthalben Entwicklung hemmend landauf landab herumliegen vorurteilslos durch eigene innere Anstrengungen mithelfen beiseite zu schaffen?

Zu guter Letzt noch ein Hinweis auf eine echte wissenschaftliche Haltung. Thomas Metzinger, zwischenzeitlich emeritierter Gehirnforscher von internationalem Rang hat als bisher letzten philosophischen Werkstattbericht das Buch „Der Elefant und die Blinden“(1) veröffentlicht (nach unter anderem seinem Bestseller „Der Ego Tunnel“). Darin sind erstmals 500 meditative Erfahrungsberichte reinen Bewusstseins aus der ganzen Welt zur Darstellung gelangt. Für den heutigen Wissenschaftsbetrieb ein mehr als mutiges Unternehmen. Dem scheinbar Unwägbaren sich forschend annähern, das ist der Weg in das Zeitalter  der „Bewusstseinskultur hinein.“ Es ist Ihre Entscheidung ob Sie das scheinbar Unwägbare in der Waldorfpädagogik weiter eher verdammen oder ob Sie über alle Fehler hinweg zu einem tiefer reichenden Verständnis forschend sich auf den Weg machen wollen. Das Denken will weiter entwickelt werden - übersubjektiv. Alles andere wäre ein Beleidigung von Kant, Rudolf Steiner und Thomas Metzinger, wäre ein Rückschritt hinter das Wissenschaftsverständnis der Aufklärung, das unvollendet heute seiner Vollendung harrt. Entwicklung fusst auf Selbsterkenntnis(2). Ohne die Bereitschaft zur Selbsterkenntnis kann Selbstkritik nicht gedeihen.

© Bernhard Albrecht Hartmann, 21.01.2025

(1)  Thomas Metzinger der Elefant und die Blinden - Auf dem Weg zu einer Kultur der Bewusstheit,            

       Berlin Verlag in der Piper GmbH, Berlin/München 2023

(2)  https://ich-quelle.blogspot.com/2018/09/ich-karl-balmer-die-frage-geht-weiter.html

(3)  https://ich-quelle.blogspot.com/2018/09/die-frage-nach-dem-wirklichen-ich-eine.html

(4)  https://ich-quelle.blogspot.com/2018/09/die-frage-nach-dem-wirklichen-ich-3teil.html

(5)  https://ich-quelle.blogspot.com/2018/10/das-wirksame-ich.html

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