Freitag, 28. Oktober 2022

Über das Dialogische

 https://www.facebook.com/groups/nobuanthro/posts/6544069638943584/?comment_id=6544105825606632&reply_comment_id=6545032998847248&notif_id=1666778489030147&notif_t=group_comment&ref=notif

Der nachfolgend hier eingestellter Kommentar wurde vor zwei Tagen auf Facebook gepostet, kurz nachdem der Beitrag auf den er sich beziehen sollte von Facebook wegen Hatespeech gesperrt und gelöscht wurde. Ein zu denken gebender Vorgang. Denn besagter Beitrag verwies per Kopie des Beitrages von Maria Dörig lediglich auf Aussagen daselbst in dem Magazin Agora 5/2022, war durch sich selbst geprägt demnach keine unmittelbar ausgeübte Hatespeech. Selbst wenn ich meinerseits die Aussagen von Frau Dörig als grenzwertig ansehe waren sie genau besehen nur Interpretationen von Vorgängen, die sie ihrerseits innerlich sich eben so zum Verständnis brachte. Eine direkt ausgeübte Hatespeech gegen eine konkrete Person konnte ich darin nicht erblicken. Insofern betrachte ich es als bedenklich, wenn von Facebook in die freie Meinungsäusserung auf diese Weise eingegriffen wird. Anscheinend sind die Algorithmen die Facebook hier einsetzt nicht differenziert genug entwickelt.


In Krisen-/Kriegs-Zeiten dem Dialogischen Bedeutung zusprechen, ist das nicht durchgedreht weltfremdes Wunschdenken?

Kann somit Waffen zu Pflugscharen umzuschmieden heute noch ein hehrer Wunsch, eine taugliche und damit auf die besonderen Gegebenheiten hinorientierte innere Haltung zum Ausdruck bringen? Oder ist dies in unseren Tagen in seinen vielfältig abgewandelten Varianten mit seinem vor sich selbst nicht selten verborgen gehaltenem, (gerade deshalb aber immer wieder mit Verve intellektuell virtuos und politisch scharf bis spitzfindig argumentierend vorgetragenen) ideologisch hochgetunten Background nicht naiv und weltfremd? Kann darin also ein Zeiten - Wende Wille, eine aktive Zeiten - Wende - Haltung tatsächlich und wirklichkeitsnah zum Ausdruck gelangen?

Ich will damit wen auch immer keinesfalls verurteilen, sondern nur versuchen den Finger in „die“ Wunde zu legen, die wir alle, mich also eingeschlossen heute mit uns durch unser Leben tragen. Und das ist bildhaft gesprochen die Wunde der (auch unerkannt oder verschleiert) gebrochenen Authentizität, des sich Abstützens letztlich mehr oder weniger deutlich auf wie auch immer vorbildhafte andere Menschen, bzw. fremdseitig eingespielte, meinerseits wohl häufiger eher nicht wirklich bis auf den Grund hin überprüften sogenannten Tatsachen (z.B. unter anderem auch Fake-news bzw. Verschwörungstheorien).

Aufrecht stehen und diesen in jedem Falle sehr individuellen Ausdruck auch durch alle inneren und äusseren Wendespiele, die dich/mich im nu dabei in Dialogen unterspülen und verdrehend in einem Malstrom erfassen können durchzuhalten, das ist wahrhaft eine Kunst innerhalb der Strudelereignisse von Scilla und Charyptis in der heutigen Zeit (→ Mehrfahrt des Aeneas, bzw. die des Odysseus).

Wie schwer diese „Dialog-Kunst“ im Leben zu verankern ist, das zeigt Maria Dörig in ihrem hier von Rainer Herzog (leider teilweise für mich nicht lesbar, zwischenzeitlich wieder zurückgezogenen) Agora Beitrag. Und wie sehr der Dialog dabei auch aus dem Ruder laufen kann, das wird an Inhalt und Duktus ihres Sagen wie auch der Reaktion hier nur mehr als deutlich.

Vor weiteren Einlassungen meinerseits zum Beitrag von Maria Dörig eine aus meiner Sicht notwendig ernste Anmerkung vorweg: Die Dialogkunst führt mich, innerlich konsequent verfolgt in das Nichts hinein, prüft mich auf jede nur erdenkliche Weise auf eine innere Meerfahrt ohne Rückhalt hin, d.h. ohne festen Boden. Was mich in meinem ganz persönlichen Erfahren, so ich aufmerksam in und um mich in den sozialen Raum hinein lausche, zum immer umfassenderen Verzicht auf alle Vorstellungen die ich über andere Menschen in mir trage offen oder verdeckt auffordert. Dialog auf eine fortschreitend sich entwickelnde Kunst hin geübt, weckt damit gleichlaufend in mir eine weitere Kunstfertigkeit, die der seelischen Beobachtung.

Kurz und bündig auf Maria Dörig bezogen, übt sie im Hinblick auf Ute Halaschka und Jaroslava Black-Terletska hier seelische Beobachtung? Die seelische Beobachtung zeichnet sich nämlich gerade dadurch aus, dass sie vorsichtig fragend an das tiefer zu Verstehende herantritt. Maria Dörig hingegen tritt kämpferisch auf, wogegen grundsätzlich nichts zu sagen wäre. Nur, zeichnet sich ein echter Kämpfer nicht durch differenzierte Waffenführung aus?

Nimmt Frau Dörig von daher die Argumente von Ute Halaschka und Jaroslava Black-Terletska näher unter die Lupe? Knüpft sie mit eigenen Gedanken an sie an? Nein, sie wischt sie vom Tisch, belegt sie mit der Deutung der luziferischen Irreführung und unterstellt Manipulation. Doch weil das noch nicht reicht bringt sie sogar die schwarzmagische Keule ins Spiel.

Frau Dörig, ich will sie hier ganz direkt offen ansprechen, haben Sie, ihrem Beitrag in Agora 5/2022 vorauseilend sich um Teilhabe an den Geschehnissen z.B. in Butscha soweit innerlich angenähert, dass sie nachfühlen konnten was Schmerzagonie für eine Grossmutter bedeutet? Eine ältere Frau, die Tochter, Enkelkind und Mann, sowie ihr Haus mit bescheidener Habe in einer einzigen Nacht verloren hat? Können Sie innerlich erlebend nachvollziehen, dass, um am eigenen Schmerz nicht zu ersticken, Schreien und in Gemeinschaft sich Bewegen hilfreich sein kann, um sich selbst wieder zu spüren und damit dem Leben nicht verloren zu gehen?

Können Sie das, was ich Ihnen denkend hier näher zu bringen versuche, Frau Dörig, können Sie konkret auf die Situation dieser schwer traumatisierten Menschen in Kiew bezogen Mitgefühl in sich soweit aktivieren, dass Sie in Ihrem Herzen still geöffnet nachempfinden den Schmerz, die innere Leere, das innerlich ausgebrannt Sein dieser Menschen? Oder bin ich in Ihren Augen, weil ich diesbezüglich anders denke als Sie auch ein luziferischer Verführer? Ein Un-Denker?

Ein Wort zum Schluss: Die Mitte Europas liegt nicht in Deutschland und nicht in der Ukraine, also nicht im Aussen. Aus meiner Sicht hat Rudolf Steiner sie zu Weihnachten 1923/24 als dynamische Äthersubstanz in die Herzen der Menschen zur frei zu verantwortenden Entwicklung eingepflanzt, auf dass sie aus dieser Keimkraft im Dialog Wege eröffnen könnten alle ihre „Vorstellungen“ auf mehr „gelebte“ Menschlichkeit untereinander hin zu verwandeln. Die Versäumnisse hier sind ein wesentlicher Auslöser für den Krieg in der Ukraine heute. Denn was ich hier vor meiner Haustüre, in den menschlichen Zusammenhängen, die mir geistig etwas bedeuten durch „meine innere Verwandlung“ als Beitrag einbringe, nur das kann sich in die Weite atmen und in Russland zur gegebener Zeit als neuer Geisteskeim aufblühen. Konkret individuell gelebte Ich geführte Geistestat also, frei von jeglicher Dogmatik.

© Bernhard Albrecht Hartmann