Dienstag, 9. Oktober 2018

Das wirksame Ich

Lieber Roland Wiese. Deine Frage nach dem wirksamen Ich, mit einigen unmittelbar damit vielfältig verbundenen ineinander fliessenden Aspekten, will ich unmittelbar aufnehmen. Fliessend, ja fliessend, denn das wirksame Ich ist ein permanent im Fluss sich Ausdrückendes. Damit scheint es nicht fassbar zu sein und ist es doch. Jedenfalls für Menschen die keine Scheu davor haben von Augenblick zu Augenblick in eigenes Verändern hineinzuspringen. Das Ich steht nämlich nicht. Niemals. Selbst wenn es vordergründig betrachtet einmal so erscheint.
Im Ich stehend bin ich immer in Bewegung und von daher gesehen in der einen oder anderen Weise wirksam. Und weil das so ist erhöht das die eigene Verantwortung ungemein, wie auf der anderen Seite dem wirksamen Ich, still eingebunden in dieses Fliessgeschehen auf seinen immer wieder holperigen Pfaden jederzeit Lösungen an die Hand gereicht werden, solange es wach genug ist sich die eigene Wirksamkeit nicht abschneiden zu lassen. Solange es also schnell wieder aufzustehen bereit ist, wenn es einmal eingeknickt sein sollte.
Das Ich lebt in und durch sein Wirksam-Sein.
Das wirksame Ich bewegt sich in einer beständigen Gleichgewichtsbildung zwischen Nähe und Distanz. Es fordert demnach heraus, wie es gleicherweise sich auch begleitend im Hintergrund zu halten weiss. Innerhalb dieser beiden Grundbewegungen hält es sich in einer individuell eigen gefärbten Präsenz, einer Präsenz, die nicht unbedingt als solche wahrgenommen werden muss. Das Ich in seiner vertieften Wirksamkeit „führt“ auch nicht, weil es heute darauf ankommt, dass die Iche in einem breiteren Spektrum ihr Wirksamwerden zu einem von ihnen bestimmten Zeitpunkt selbständig ergreifen. Das wirksame Ich fördert also die Selbstermächtigung einer Vielzahl individuell unterschiedlicher Ich-Gebärden, ist bestrebt in den Ich-Du Beziehungen das Erwachen für die Wirksamkeit je eigener Ichkraft zum Durchbruch zu verhelfen durch sein eigenes beispielhaftes Tun.
Soweit so gut. Doch zu dem oben Gesagten ist noch anderes unter die Lupe zu nehmen, um die Wirksamkeit des Ich in und bei sich, sowie innerhalb seiner sozialen Prozessverläufe immer besser verstehen und von daher individuell handhaben zu können. Ich will an dieser Stelle deshalb einen Blick auf den Grund-Prozessverlauf zwischen Mann und Frau riskieren und diesen etwas näher betrachten, da ihm in meinen Augen eine entscheidende Bedeutung innerhalb existentiell gleichgewichtigen aufeinander Bezogen-Seins zukommt den Geburtsprozess der Ich Wirksamkeit zu gestalten.
Wenn ich davon ausgehe, dass die männliche Begegnungsart mit der Welt eine eher anschauende Betrachtung umfasst, was sehr viel mehr als eine bloss intellektuell verstandesmässige Hinwendung zur Welt beinhaltet, die der Frau eine erlebende Begegnungsweise in sich birgt, was keineswegs auf ein bloss emotionales Erleben zu reduzieren ist, sondern in einem innerlich ausgeglichenen Selbstverhältnis erlebende Präsenz pur ist und von daher sich nicht selten schnellläufiger als die anschauende Denkweise des Mannes darstellt. Wenn diese beiden so unterschiedlichen Herangehensweisen an die Welt im wechselseitigen Begegnen zu einem je eigenen inneren Ausgleich gelangen können, dann öffnet sich damit der Quellpunkt zeitgemässer und geistesgegenwärtiger Ich-Wirksamkeit.
Diesen inneren Ausgleich des männlichen und weiblichen Pols in einem jeden Menschen, sowie in den sozialen Beziehungen von Mann und Frau untereinander zu Wege zu bringen ist in meinen Augen die wesentliche Bewusstseinsherausforderung unserer Zeit. Sie ist vor dem Hintergrund der Philosophie der Freiheit her gesehen die Hauptaufgabe, die sich der praktischen Anwendung der seelischen Beobachtung im inneren Umgang mit der Zurückdrängung des Leibes stellt.
Zurückdrängung des Leibes (1) bedeutet tiefer betrachtet die Entflechtung von Ätherleib und Astralleib auf den Weg zu bringen, denn diese beiden Prozessebenen und ihre damit verbundenen Kräftebewegungen sind es, welche uns das grundständige Bewusstsein für unseren Leib vermitteln. Unser Leib kann uns nämlich so lange tiefere Bewusstseinsebenen verschleiern, wie wir Automatismen in unserem Erfahren nicht näher treten, sie zurückdrängen um zu einem originären Umgang mit diesen Prozessverläufen hinzufinden. Die „seelische Beobachtung“ ist von daher gesehen basisbildend für jegliche Form von Geist-Erfahren, zumindest was ihr Zeitgemäss-Sein betrifft.
Denn die Automatismen unseres Erfahrens nicht oder unzureichend ins Auge zu nehmen hat zur Folge, dass wir von unserem praktischen Handhaben her weiter in einem dualen Weltverständnis hängen bleiben. Wir schauen etwas als Wirklichkeit an, was aber von seiner Grundkonsistenz her nur aus einem schöpferischen Prozess, aus dem Wirksamwerden des Ich hervorgehen kann. Es stellt sich hier also die Frage welches tatsächliche Verständnis von Wirklichkeit wir haben.
Ist es ein Wirklichkeitsverständnis, das als ein Erwirktes aus umfänglich eigentätig gesetzten Denkschritten hervorgeht oder ist es ein Ego zentriertes, weitgehend abstraktes Bilder-Bewusstsein aus den Archiven des Unterbewusstseins und seiner dort abgelagerten vergangenheitsbezogenen Vorstellungsbildungen. Das wirksame Ich hingegen geht immer aus der Überwindung des Ego-Bewusstseins hervor. Ich Wirksamkeit wird von daher evident insoweit die entwicklungsbedingt zunächst notwendig permanent wirksamen Ego oder Selbstbild Übertragungen auf die Sinn-Felder eigenen Erfahrens einer immer bewussteren Überprüfung in der seelischen Beobachtung unterzogen werden.
Ohne Zweifel sind in diesem Zusammenhang noch viele Detailfragen zu klären. Eines ist und bleibt dabei aber gewiss, denn anders sind diese Fragen nicht aufzulösen: Schwing Dich auf „Dein Reitpferd“ und mach Dich selbständig von allem und jedem. Steh zu Dir in allen Deinen dunklen und hellen Bewusstseinsprozessen und ermächtige Dich zum Herrn über Dein zu bildendes Bewusstseinshaus, werde also wirksam aus Deinem Ich heraus.

Bernhard Albrecht Hartmann

(1)  Zur Zurückdrängung des Leibes ist von mir noch einiges mehr unter folgendem Link zu finden:
     https://ich-quelle.blogspot.com/2018/02/pneumatischer-organismus-und.html