Dienstag, 27. Juli 2021

Geistesgegenwart als Ich - Präsenz

Wer heute mit wachen Augen - nach aussen wie nach innen gerichtet - das gegenwärtige Weltgeschehen verfolgt, der kann nicht anders als besorgt sein über das, was da vor seinen Augen abläuft. Das  freiheitlich liberale Denken schafft sich durch intransparente Denkvorgänge innerhalb seiner eigenen Denkmöglichkeiten selbst ab. Überrumpelt von vielfältigen offenbaren wie auch schleichend herantretenden Denkereignissen an eben diese grundständig liberale Denkmöglichkeit übernimmt die Täuschung im Kleide biopolitisch sozialer Fürsorge, wie es scheint von Seiten des Staates, mit der Ansage der Bedrohung durch Corona die Macht. 

Was geht da vor sich? Ist es die Pandemie, die so bedrohlich ist, dass damit ein derartiges Vorgehen gerechtfertigt werden könnte oder hat die Täuschung, die im Zuge dieser Pandemie schleichend an die Oberfläche tritt noch ganz andere Ursachen? Stehen wir mit dieser Pandemie etwa vor der Tatsache, dass wir den Zugriff auf eigenständiges Fragen verlieren und ein von welcher Seite auch immer bedrängtes In-Fragestellen von Sachzusammenhängen allzu schnell im Begriff sind preiszugeben? Ist diese Pandemie demnach ein Ausdruck unserer schwärend um sich greifenden, nunmehr aber nicht länger mehr zu verbergenden Krise in Bezug auf eigenständig hervor zu bringende, Wirklichkeit bildende Denkakte aus geistesgegenwärtiger Ich-Präsenz heraus? 

Haben wir den Zugang zu der Logos Kraft, die im Denken in Erscheinung treten kann und will verloren oder wollen wir etwa keinen wirkkräftigen Gebrauch davon machen? Folge ich gewissen Geschehnis Abläufen wirklich allseitig kritisch, was heissen würde unter Einschluss der Achtsamkeit auch auf meine eigenen Argumentationslinien? 

Der Erwerb einer inneren Haltung, die von durchgängig sachlicher Haltbarkeit, um nicht zu sagen Nachhaltigkeit innerlich gefestigt in den Stürmen gegenwärtiger Auseinandersetzungen nicht die Orientierung verliert scheint mir jedenfalls alles andere als leicht zu sein. Sich angesichts der gegenwärtig über uns hereinbrechenden Tatsachen weg zu ducken, anstatt sich willenskräftig der Durchdringung und Überarbeitung unseres eigenen Denkens in den Interaktionen mit unserem jeweiligen sozialen Umfeld zu zu wenden stellt mich heute vor grosse Herausforderungen.

Ist die individuelle Verantwortlichkeit in dieser Richtung in der Breitenwirkung auch nur annähernd auf den Punkt gebracht? Schaue ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten z.B. in der anthroposophischen Szene um, so staune ich immer wieder welche Trennungen hier immer noch und immer wieder auf ein Neues hin untereinander stattfinden und mit welcher Verve dann über die Dächer hinweg Gehässigkeiten und Unterstellungen versandt werden. Kann sich so eine Bewusstseinsverdichtung mit einer starken Aussenwirkung bilden?

Ich pointiere hier nicht ohne Grund. Kann es sein, dass das Denken - und nicht wie es sich aufzudrängen scheint die Corona Pandemie die hintergründig eigentlich grosse Baustelle darstellt? Weit hergeholt, um nicht zu sagen weltfremd? Wir werden sehen. Dass sich unsere gesellschaftlich sozialen Verhältnisse durch eine Krise bewegen, zumindest dies kann wohl kaum noch bestritten werden.

Tritt so betrachtet über diese Pandemie gesamtgesellschaftlich die bisher eher weniger betrachtete Inn-Weltkrise in Erscheinung, die ihre Vorläuferin seit den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in dem wachsenden Bewusstsein für eine sich anbahnende Umweltkrise hatte? Unfrisierte Fragen, gewiss, die jedoch heute weitläufig und mutig, wie aus meiner Sicht unvoreingenommen noch tiefer heraus gearbeitet und sensibel differenziert zu stellen sind, wenn der Mensch die innere Ausrichtung für seine weitere Entwicklung nicht in höchstem Masse gefährden will. 

Bis hierher war ich im Schreiben meines Essays gelangt als ich folgendes erlebte. Auf einem Spaziergang  ging ich  an einem etwa  3 - 4 jährigem Kind vorbei, das in einem Fahrrad Anhänger sitzend anscheinend auf seinen Vater wartete. Was ich da zu hören bekam lies mich abrupt stehenbleiben und lauschen. Das Kind spielte versonnen mit einer Perlenkette und wechselte in einer Art Dialog mit einem imaginären Gegenüber Worte, die wie ich schnell bemerkte einen bedeutungsschwerem Inhalt anzeigten. Mein Bemühen, das was da geschah zu entschlüsseln und die einzelnen Wortfolgen in einen inneren Zusammenhang zu bringen dauerte. 

Der denkwürdige Vorgang  in seiner Ganzheit, der, wie ich nicht verhehlen kann mich viele Tage danach immer wieder beschäftigte, umfasste  schlussendlich diese Worte: „Denke nie gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken. Wenn Du denkst Du denkst, dann denkst Du nur Du denkst.“

Dass das Kind diese Worte irgendwann aus seinem sozialen Umfeld heraus zu hören bekam, das war für mich von allem Anfang an keine Frage. Was mich betroffen machte war wie dieses Kind damit umging. Bei meiner lebenslangen beruflichen Erfahrung im Umgang mit besonderen Kindern und Erwachsenen war es das „Wie“ mit dem dieses Kind seine Worte aneinander reihte, das mich betroffen machte. Es spielte, ja es spielte wie mit bunten Kugeln, fügte sie in immer neuer Weise zusammen um still zu verweilen und dann von Neuem zu beginnen. Es war in einer Weise mit seinem Spiel beschäftigt, dass es nichts von dem was um es geschah zu bemerken schien. Kindhafte Verbundenheit mit der Totalität der Lebenswelt, wie sie auf diese Weise kein Erwachsener zu Stande bringt.

Nach dem ich meine Arbeit wieder aufgenommen hatte merkte ich, wie sich in meinen inneren Dialogen die Diktion des Sagen da und dort leise veränderte. Das „denke nie gedacht zu haben“ lies mich meine Worte noch sorgfältiger abwägen. Um die Leser dieses Essays aber meinerseits frei zu lassen will ich hier meine ganz persönlichen Denkbewegungen dazu nicht näher beschreiben. Das individuelle Erfahren soll so weit als möglich unbeeinflusst bleiben, damit eigene Erinnerungen, welche die Mitteilung dieses Erlebnisses möglicherweise auslösen nicht durch mein Sagen verbaut werden. Ich will vielmehr meinen oben auf die Inn-Weltkrise gerichteten Gedankengang noch näherhin untersuchen. Die Inn-Weltkrise als Wirklichkeitskrise.

Wachen wir nicht “alle“ gegenwärtig in der einen oder anderen Weise in einer Welt auf, die durch die Pandemie nicht mehr die unsere zu sein scheint. Und was sich da in seelischen Tiefen-Schichten ereignet, ist aus meiner Sicht ein zumeist eher unwägbares Erfahren. Sind Gefühle wie zum Beispiel: Bin ich hier in einen falschen Film hinein geraten? Was sich dann so ausdrückt, dass der vertraute Boden für einen kurzen Moment unter den Füssen wie zu wanken scheint. Eine  als solche kaum wahrnehmbare traumatische Erfahrung der Seele, die rasch wieder verschwindet, aber weit reichende Wirkungen nach sich zieht. 

Ein gebrochenes Wirklichkeitsverständnis bleibt zurück, denn die Wirklichkeit ist nicht mehr die gleiche. Und mit dem Versuch die alten Vertrautheiten für sich irgendwie wieder herzustellen zeigen sich Risse, die von überall her immer unabweisbarer auf mich zulaufen. Panik weht durch die Strassen, anfangs leise, dann immer deutlicher. Von allen Seiten versucht sie anzudocken und bedroht die Orientierung oder nimmt sie schleichend. 

Um dem eigenen Vermeinen nach in diesen schwierigen Zeiten nicht ganz den Boden unter den Füssen zu verlieren werden immer mehr Scheuklappen aus dunklen Winkeln hervorgeholt und mit fragwürdigen Argumenten versehen mehr oder weniger offen durch die Strassen getragen. Bildhaft  ausgedrückt, ist  die  Illusion etwa über die  rein  physische Ursachenebene auf dem Weg zu einer über viele Ebenen hinaus immer mehr sich ausdehnenden maskierten Täuschungsschleuder zu werden? 

Nur wird diese Art von „Seuche“ der etwas anderen Art anscheinend viel weniger wahrgenommen als die eigentliche Pandemie, in deren Schatten sie aus ihren dunklen Nestern hervor kriecht. Haben wir also genauer besehen zwei Pandemien, die nebeneinander herlaufen? Und auf was wären diese zurückzuführen oder liegen hier möglicherweise viel umfassendere Geschehnisse und das über einen weitaus grösseren zurückweisenden wie vorausdeutenden Zeitrahmen hinaus zugrunde?

Das Undenkbare tritt in Erscheinung. Wir werden aus einer Ecke unserer allzu sehr zur Gewohnheit gewordenen Wirklichkeitsauffassung nunmehr von der staatlichen Fürsorge in einer Weise ins Visier genommen, die uns ängstigt. Was schaukelt sich da hoch, erwecken doch die einzelnen Spieler auf dem Felde als Ereignisgeber nicht immer den Anschein als ob sie die Wirkungen ihres Sagen im voraus genügend bedacht hätten. Und das betrifft nicht nur die offiziellen staatlichen Spieler, sondern auch die Anderen, die als Staatsbürger nunmehr gegen ihren Staat monieren anstatt sich um eine ganz auf sich allein zu gründende freiheitliche Haltung vermehrt zu bemühen. Wo letzteres zu wenig geschieht hat dies vielerorts schleichend ein egozentrisches Belieben mit gefährlicher Schlagseite zur Folge. 

Genommen von den Ereignissen bauen sich Wellen auf, die das Sozialgefüge in seiner Belastbarkeit über seine Grenzen hinaus leicht unberechenbar, um nicht zu sagen unkontrollierbar machen können. Statt Weitblick und Umsicht begleitet das Geschehen die mannigfaltig verborgen gehaltene Angst das Heft des Handelns aus den jeweiligen Händen zu verlieren. Mit den Jägern um den notwendigen Erfolg wird die erstrebte Öffentlichkeitswirksamkeit zum verdeckten Fallbeil des Scheiterns. Eines Scheiterns das mit schnellläufigen Umdeutungen und allgemeinen Absichtsbekundungen die Unsicherheiten bezüglich der jeweiligen Wirklichkeitsbeurteilung exponentiell wachsen lässt. 

Was die Wirklichkeit „ist“ wird so in Schattenbereiche abgedrängt. Das wiederum wirft unumkehrbar die Frage auf, was Wirklichkeit in ihrer Essenz nach ausmacht und welchen eigen zu verantwortenden Anteil wir an der Wirklichkeitsbildung haben.

Dem Wort Wirklichkeit liegt als Tätigkeitswort wirken zu Grunde. Es geht also im Umgang mit der Wirklichkeit um Bewegung, um stete Veränderung. Von allem Anfang an war Wirklichkeit nicht etwas fest Gegebenes, sondern immer etwas, das es zu erringen und zu bilden galt durch die Art unserer jeweiligen Arbeit, der individuellen Anstrengung für Ihr in Erscheinung Treten. Wird Wirklichkeit zur festen Gewohnheit dann haben wir es nicht mehr mit Wirklichkeit in ihrem ursprünglichen Sinne zu tun, sondern nur noch mit dem schönen Schein von ihr. Es ist nur noch eine ihrer schöpferischen Kraft mehr oder weniger beraubte Wirklichkeit und hat sich von daher insoweit vom Leben abgekoppelt. 

Die heute so weit verbreitete Jagd nach immer neuen Events, nach immer ausgefalleneren Urlauben ist also letztlich eine Folge unseres beinahe allgemeinen Wirklichkeitsverlustes, ist eine Vorstellung vom Leben, das so nicht ist wie wir es uns als ein Art Lebens-Narrativ innerlich gerne vorzeichnen oder auch einbilden, dass es so sei wie wir es sehen wollen. Tief in uns wissen wir zumeist sehr genau wie unsere Geschichte, dass unser Lebens-Narrativ nicht das darstellt, was es wirklich ist, sondern allenfalls der Vorschein des in Wirklichkeit erst noch zu erschaffenden Lebens ist. Von daher gesehen ist das Leben also Schein und ist somit nicht das, was es zu vermitteln sich bemüht, sondern Selbsttäuschung und Täuschung aus einer Hand.

Leben hingegen  das bereit ist sich des Scheins wirkkräftig zu entledigen ist ein Weg durch das eigene Erkenne dich Selbst hindurch, was heisst das Erwachen am anderen Menschen ohne wenn und aber. Leben verläuft demnach nicht in einem vorrangigen ja aber auf den oder die anderen Menschen, sowie in mehr oder weniger gut verpackten Selbstrechtfertigungen und Ausweichmanövern vor dem Aufräumen des eigenen Augiasstall hinaus. Wenn uns eines die gegenwärtige Corona Situation mit überdeutlichem Ernst zu verstehen geben will, dann dieses: Die eigene selbstbestimmte  michaelische Heldenreise anzutreten - noch heute. Und damit die Kehrtwende zu einer schöpferisch neu zu gestaltenden Wirklichkeit in die eigenen Hände zu nehmen.

Auf die wissenschaftliche Problematik in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit der Corona Pandemie hingeschaut bedeutet dies nicht weniger als sich der einstmals unvollendet gebliebenen Epoche der Aufklärung in unserer an stürmischen Auseinandersetzungen geschichtsträchtigen Zeit wieder zu erinnern und diesbezüglich an den Mut unserer Vorväter erneut tatkräftig anzuknüpfen. Was heisst die dazumal einseitig nach aussen gerichtete naturwissenschaftliche Forschungsgesinnung um eine ebenso naturwissenschaftlich exakt forschende Haltung in Bezug auf das Denken in seinen weitgehend noch unerforschten Bereichen zu erweitern. Die Dornenhecke um den Jahrhundert Schlaf unseres zutiefst in den analytisch abstrakten Schlaf versetzten Denkens zu durchdringen und die „Materia“ in ihrer tieferen Wesensgestalt mit neu aufgerüsteter Kraft wach zu küssen. Forschung mit Weitsicht ist also angesagt. Eine Forschung, die auf erweiterten Denkwegen schreiten darf ohne von wissenschaftlichen Dogmen behindert ins Abseits abgedrängt zu werden. Denn es wäre mehr als fatal für die menschliche Gesundheit, wenn die Forschung hier im Wesentlichen auf Impfen ausgerichtet bliebe und der Immunforschung das erweitert fragende Erforschen am Ende unterbunden würde. Die verschleierten klerikalen Denkwege innerhalb der gegenwärtigen Wissenschaftsauseinandersetzungen sind jedenfalls nicht zu übersehen. Verschliessen wir also gerade hier nicht die Augen im leichtfertigen Hinweg Ducken vor scheinbaren Hindernissen, um nicht Chancen preiszugeben dem Mut mit seinem ihm innewohnenden Entwicklungspotenzial Tore offen zu halten. 

Bernhard Albrecht Hartmann

(1) Eine Antwort mit einem etwas anderen Blickwinkel 

      auf Philip Kovce, Andreas Laudert & Salvatore Lavecchia  

      in die Drei 3/2021 www.diedrei.org