Mittwoch, 25. Juni 2014

Ich

Bewegt in Bewegung. Ich ist nicht, wo diese fliessende Bewegung, dieses bewegt in Bewegung Sein nicht in sich aufgesucht werden kann.
Ich sehe den Einwand. Ich ist nicht?
Das widerspricht dem Anschein nach jeglicher philosophischen Forschung über Jahrhunderte hinweg, die sich um dieses Thema bemüht hat. Es widerspricht auch den Forschungen der Entwicklungswissenschaften, die von einem ersten grossen Schritt der Ich Vergegenwärtigung des Kindes im Alter von etwa drei Jahren ausgehen. Das Kind spricht zum ersten Mal von sich als Ich.
Und jetzt: Ich ist nicht, wenn ...
Ja wenn fliessende Bewegung in sich nicht aufgesucht, wenn eine Erfahrung dieser Art sich nicht eindeutig vergegenwärtigt werden kann. Ja, was nun? Fliessend erfahrene Bewegung in sich soll zum Ich führen und wo diese Bewegung sich nicht vergegenwärtigt werden kann, da ist kein Ich, da ist Ich nicht, noch nicht?  Ja wie nun?
Ich und Bewegung, wie hängen sie zusammen?
Und die andere zwangsläufig sich daraus ergebene Frage? In welcher Beziehung steht dazu die Erfahrung der Leere als scheinbarem Endpunkt einer Bewegung, als Erschöpfungszustand des Verstandes am Abgrund, als Sinnkrise, die heute so viele Lebensbereiche der Menschen durchzieht? Leere und Sturz ins Nichts, Depression.
Nun, ich will hier diese Fragen nicht ins Einzelne gehend ausloten, vielmehr das Augenmerk allein auf einige wenige Tatbestände lenken, die zum Ausgangspunkt von eigenen inneren Erkundungen werden können.
Wer sich auf eine so geartete Selbst Erkundung einlässt, der wird in deren Verlauf unschwer feststellen, dass nur das zu einer Erkenntnis hin reifen kann, was aus einer Eigentätigkeit hervorgeht. Mehr Wissen zu den angedeuteten Zusammenhängen führt, auch dies kann als Selbsterkenntnis aus einem derartigen Erkundungsgang hervorgehen, nur immer näher an eine zunächst schleichend auftretende Depression heran, mit der Folge früher oder später sich in panikartigen inneren Zuständen vor einen schwarzen Abgrund gestellt zu sehen.
Es ist heute eine allgemein zugängliche Erfahrung, dass sich unsere gegenwärtige Verstandestätigkeit als eine seit der griechischen Antike entwickelte Kulturtechnik des Denkens auf ein Aussen bezieht, also dual gepolt ist. Die Folge davon ist, dass sich daraus eine höchst differenzierte abbildende Denktätigkeit, ein abbildendes Wirklichkeitsverständnis entwickelt hat. Die bloss abbildende Tätigkeit des Denkens hat dabei eine derartige Intensität angenommen, dass unkritisch sich selber gegenüber sogar geistige Prozesse  anscheinend nicht mehr anders als abbildend wahrgenommen werden können, mit der Konsequenz eines nahezu durchgehenden materialistischen Weltverständnises.
Es scheint mir in dieser über alle Grenzen hinaus betriebenen Denkbemühung längst nicht mehr um die Abgrenzung von Subjektivität und Objektivität, was den wissenschaftlichen Blick auf die Ergebnisse des Denkens hin betrifft zu gehen, sondern um einen krampfhaft verdeckten Selbstausschluss der Kraftgestalt des Denkens innerhalb eigener innerer Erfahrungsmöglichkeiten schlechthin.
Ich und Welt erleben sich per paradigmatischer Festlegung als getrennt. Ich? Sagte ich nicht, Ich ist nicht, wenn es nicht in fliessender Bewegung, als in Bewegung auftretende Erfahrung erlebend gegenwärtig werden kann. Das aber ist die Schwierigkeit für ein abbildendes Verstandesdenken. Es hat die Verbindung zur schaffenden Bewegung in sich verloren, mit anderen Worten, die Kraftgestalt, aus der im ursprünglich aristotelischen Sinne das Denken genauer besehen hervorzugehen hat, ist dem inneren Blickfeld entschwunden. Dieser Umstand aber ruft das Abgrunderleben von immer mehr Menschen in der heutigen Zeit hervor. Die selbstgeschaffene Dualität im Verhältnis zur Welt muss aus sich heraus dynamisiert werde.
Das mit dem dualen Wirklichkeitsverständnis erworbene Selbstbewusstsein und daraus resultierend die Möglichkeit zur fortlaufenden Selbstbestimmung hat ihren Preis in einer immer offenkundiger zu Tage tretenden Angst, sprich einem fast pandemisch um sich greifenden Sicherheitsbedürfnis auf beinahe allen Ebenen des Seins. Der Mensch stürzt ins Nichts, erlebt sich in einer immer tiefer um sich greifenden Leere, die er durch alle nur erdenklichen Ablenkungen zu unterlaufen, von sich zu weisen sucht. Seine grösste Angst ist es dabei den Boden unter seinen Füssen und damit im Bodenlosen sich selber zu verlieren.
Die  Schnelligkeit, die im äusseren Leben allenthalben gefordert und forciert wird, ist, tiefer betrachtet, ein Hinweis auf die notwendig zu entwickelnde Wachheit für im Inneren eigentätig zu gestaltende und fortlaufend tiefer zu erfahrende Bewegungen. Schwimmenlernen in geistigen Prozessen ist angesagt. Dort aber wo das abbildende Denken unterschwellig immer noch als Massstab für ein sich selbstordnend im Denken Einfinden Können angesehen wird, ist der Sprung über diesen inneren Abgrund hinweg ein immer wieder auf ein Neues sich bemerkbar machendes und zu verdrängendes Ärgernis eigene Entwicklung nur selbstverantwortlich in die Hand  nehmen zu können.
Ich in Bewegung zu erfahren scheint in der Tat für ein zur Gänze in die Abstraktion geratenes Denken unmöglich zu sein.
Dennoch ist die Abstraktion ein nicht zu überspringender höchst bedeutsamer Schritt in der Entwicklung zu selbstbestimmtem Denken, führt sie den Menschen doch an eine einzigartige Grenze heran, an eine Grenze, die, so der denkende Mensch sich eine innere Anschauung von seinem Tun des Grenzganges verschafft, eindrücklich zum Erleben bringen kann, dass an dieser Grenze im eigentlichen Sinne überhaupt kein Abgrund vorhanden ist.
Die Abstraktion ist ein unendlich weites Feld und was in dumpfem Erleben hier einen Abgrund vorgaukelt, das ist genauer besehen der in Kraftlosigkeit hinein zusammenbrechende Ausdruck eigenen Denkens, ist Ausdruck von Muskelkater in Bezug auf die eigenen Möglichkeiten denken zu können. Um das Feld der Abstraktion in seiner verschleierten Imateralität zu durchdringen fehlt die innere Spannkraft. Bildhaft gesprochen liegt der Abstraktion ein Denken im Glashaus zu Grunde. Das der Abstraktion innewohnende Wesenhafte kann nicht erfasst werden, weil dem Denken die Kraft dazu abhanden gekommen ist und Wege diese Kraft aufs Neue zu erwerben zwar vorhanden, aber allem Anschein nach als Quellgrund für ein weitreichendes forschendes Tätigwerden Können noch nicht ernsthaft genug begangen und erkundet werden.
Es mag verwundern, wenn hier gesagt wird, dass die Überwindung oder besser gesagt ein lebensvolles Durchdringen der Abstraktion nur über eine innere Neuausrichtung von Ich und Du im sozialen Raum möglich werden kann. Aus dem einfachen Grunde heraus, weil Gleiches nur durch Gleiches, Wesenhaftes also nur durch Wesenhaftes, Ich und Du als wechselseitig Wesenhaftes nur auf Augenhöhe und in Respekt für einander als gleicherweise wesenhaft erkannt werden können. Gelingt es das Wesenhafte im sozialen Raum sich erneut lebendig vor Augen zu führen,  dann wird es auch möglich werden die Abstraktion in der Wissenschaft aufzubrechen, sie auszurichten auf einen Paradigmenwechsel in der Anschauung immaterieller geistiger Realitäten.
Was als Kraftgestalt hinter dem aristotelischen Denken liegt und was Aristoteles einstmals in seinen Dialogen, soweit sie noch erhalten sind, allem Anschein nach zum Ausdruck gebracht hat, das gilt es im Dialog zwischen Ich und Du erneut an das Licht des Tages, ins Bewusstsein herauf zu heben, wenn die über weite Ereignisfelder hin reichende gegenwärtige Bewusstseinskrise überwunden werden soll. Das Ego als ein Ergebnis dual ausgerichteten Wirklichkeit Verstehens will dynamisiert werden.
Dass ein vertieftes Verständnis, ein Durchschauen der dem Ego zugrunde liegenden Bewegungsdynamik für die Erweiterung des gegenwärtigen Wissenschaftsverständnisses in Richtung auf eine noch zu entwickelnde naturwissenschaftssysthematische Erforschung geistiger Realitäten von entscheidender Bedeutung sein könnte, das kann einem jeden einsichtig werden, der sich auf ein Erkunden der Bewegungsdynamiken innerhalb des Ich Du Prozesses über längere Zeit einlassen mag. Dass damit auf keinen leichten Weg verwiesen wird, das kann nicht verschwiegen werden. Bewusstseinsklarheit zu erringen, ganz gleich auf welchem Arbeitsfeld, das ist noch zu keiner Zeit eine einfache Aufgabe gewesen.
Ein Gewinn, den das abbildende Verstandesdenken in Bezug auf das heutige Wirklichkeitsverständnis gebracht hat, ist aber nicht hoch genug zu bewerten, nämlich ein damit einher gehendes Selbstbewusstsein des Menschen als Basis eines der Möglichkeit nach immer weiter um sich greifen könnenden Freiheitsbewusstseins. Dass an dieses Selbstbewusstsein nicht wenige auch leidvolle Erfahrungen von Verstrickungen in Ego Mustern innerhalb des eigenen sozialen Umgangs eingebunden sein können, das wird ein jeder Zeitgenosse auf seine ganz eigene Weise bestätigen können. Für den Fortgang der Bewusstseinsentwicklung ist das Ego aber nicht zu überwinden, sondern in seiner inneren Bewegungsdynamik anschauend zu verstehen. Kann doch bei genauerem Hinsehen das Ego verstanden werden als die Samenkapsel, aus der durch eine entwickelte Eigentätigkeit das Ich bewegt in Bewegung mehr und mehr in Erscheinung treten kann.
Die Abstraktion ist das Ergebnis eines auf sich bezogenen Ego zentrierten Denkens. Diesem Denken ist das Erleben der eigenen Kraft im Denken entglitten. Denken wird nicht als eine eigene Kraftbewegung erfahren und noch weniger als eine aus einem inneren Blicken hervor gehende Tätigkeit. Erwacht innerhalb dieser blickenden Tätigkeit das Bewusstsein für ein in fliessender Bewegung sich ausdrückendes Ich, dann keimt in der blickenden Tätigkeit zeitgleich ein Lichtprozess auf, der das Feld der Abstraktion mehr und mehr gleichsam aus seiner Erstarrung wie aufweckt und den Blick öffnet auf ein Reich wesenschaffend zu einander in Beziehung stehender Wesenheiten.
Für mutige Wegsucher auf dem inneren Feld des Denkens wird damit auf ein weites Forschungsfeld verwiesen, das ein jeder nur Kraft eigenen Entschlusses betreten kann. Wahrheit kann nur dem zu Teil werden, der die Vertiefung eigenen Erfahrens nicht scheut. Keine Institution, kein wie auch immer ausgebildeter Mensch kann mir die Schritte zu Entwicklung einer inneren Eigentätigkeit abnehmen, auf dem sich Erfahrungs- und Forschungsfelder dieser Art eröffnen können und damit Selbstgewissheit in Bezug auf Wahrheit dessen was ist ermöglichen. Der Dialog über alle Grenzen unterschiedlichen Anschauens hinweg, bezüglich dessen, was ein jeder zunächst für wahr halten mag, baut Schwellenängste ab und lässt scheinbare Abgründe verschwinden.
Wahrheit ist eine Prozesserfahrung im Dialog.

© Bernhard Albrecht Hartmann, 25. 06. 2014