Mittwoch, 5. Januar 2011

Donna Maria-Rosè

In jenen Tagen klopfte in Arequipa ein Mann an die Tür des Hauses einer Frau, nachdem er eine Weile wie suchend durch die verwinkelten Gassen dieser Stadt, mit ihren, in diesem Wohnviertel kraftvoll orange gestrichenen Häuserfronten gewandert war und obwohl ihr fremd, grüsste er sie voll Ehrerbietung. Sie aber war bestürzt über die  Art des Umgangs, den er ihr gegenüber zeigte. Seine Worte verwirrten sie, denn sie tönten in einer Weise an ihr Ohr, die ihr gänzlich fremd war.
Sie bat ihn herein in ihre bescheidene Behausung und sagte dabei, dass ihr die Ehrerbietung, die er ihr bezeige wohl nicht gebühre, denn sie sei nur eine einfache Frau, die ihre drei Kinder zudem alleine erziehe. An das Fenster tretend, schaute sie versonnen auf einen  Innenhof, in dem zwei Mädchen und ein Junge fröhlich miteinander spielten. Und für einige wenige Augenblicke schien sie in die Welt des Baumhauses einzutauchen, das mit einfachsten Mitteln auf der Astgabel einer Zeder errichtet war, die sich kraftvoll über alle Dächer der umliegenden Häuser erhob. 
Der Mittelpunkt einer eigenen Welt, sprach sie, ihren Kopf leicht über die Schulter zur Seite gewendet, zu dem Fremden, der höflich nahe der Türe stehengeblieben war. Der Mittelpunkt von Frieden und Freiheit für immer mehr Kinder, auch aus der näheren und weiteren Nachbarschaft. Ist das nicht wunderschön, so wenig Aufwand und eine so weitreichende Wirkung!
Doch sich ihrer Gastgeberrolle erinnernd, wandte sie sich ebenso unvermittelt, wie sie diese Kinderwelt betreten hatte, wieder ihrem eigenen Wohnraum zu. Weiss gekalkt, schmückten diesen alleine zwei alte, wunderschön bemalte Holztruhen. In einer Nische standen nebeneinander drei kleinere Betten, mit in drei Farben sauber auf geschütteltem Bettzeug. Ihr eigenes Bett, den ein weisser Betthimmel überspannte, stand zur Hälfte vor dem Fenster. Gegenüber, etwas in den Raum gerückt, erhob sich eine kräftige Mauerverstrebung, in die unten eine Rundung ausgespart war. Hier hingen, sauber geputzt, Töpfe, Pfannen und Geschirr über einem offenen Feuer, daneben stand ein Holzzuber zu Badezwecken, über dem wiederum wohl geordnet die wenigen Kleidungsstücke des Alltags aufgereiht an Hacken hingen.
Mit einem feinen Lächeln nahm der Mann an dem einfachen Holztisch Platz, während die Frau seinen blauen Mantelumhang neben der Türe aufhängte. Er erzählte, dass er gegenwärtig durch viele Länder reise, auf der Suche nach Menschen mit einem offenen und mutigen Herzen. Wie er so mit ihr sprach und von dem einen und anderen Erlebnis berichtete, nannte er sie eine Begnadete unter den Frauen, denn ihre Auffassungsgabe leuchte ihm entgegen in einer Reinheit ohne gleichen. Er fühle sich geehrt durch die Art, mit der sie seinen Worten lausche.
Und so wolle er ihr ein Geheimnis offenbaren, dass sie, so sie sich entschliessen könne, es in rechter Weise zu behüten, sie in den Rang einer wichtigen Person innerhalb weltumspannender sozialer Erneuerungen erhebe. Sie aber antwortete: Wie kann das sein, da ich doch die unscheinbarste unter den mir bekannten Frauen bin? Wie kann mir ungebildeter Frau  eine solche Aufgabe und Verantwortung übertragen werden? Wie könnte ich diese tragen, da mein ganz gewöhnliches Tag Werk mir oft schon den Rücken krümmt?
Er aber sprach zu Ihr: Sobald Du den Worten des geringsten unter Deinen Mitmenschen in gleicher Weise lauschen und ihre Kraft in Deinem Herzen bewahren wirst, wie Du mir jetzt von Deinem innersten Wesen her offen begegnet bist, wird Dich die Kraft des höchsten Geistes überschatten und Dir Worte in den Mund legen, die Welten bewegen werden. So wirst Du durch Dein Worten die Ich Kraft der Menschen gründen und stärken, die das Glück haben für eine kleine Weile Gast in Deinem Haus sein zu dürfen.
Und er sprach weiter zu ihr. Fürchte Dich nicht Maria, denn unter allen Frauen hast Du Gnade vor dem Herrn gefunden die erstorbene Menschensprache unter Deines Gleichen wieder zu beleben und in ihrer Ich Kraft aufgerichtete Menschen als Götterboten in eine dunkle Welt zu entsenden, auf dass das Licht in ihr wiederum erscheine und stetig wachse.

Siehe, ich bin der Erzengel Michael, der Erzengel der Auferstehung aus dem Geiste der Metanoia.

Doch in dem Augenblick, als in ihrem Geiste Verstehen aufflammte, was da vor ihren Augen geschah, war der Unbekannte über die Schwelle ihres Hauses in der langsam heraufziehenden Dämmerung entschwunden. Sie aber sann noch lange über seine Worte und fasste dann einen Entschluss.

© Bernhard Albrecht

Dienstag, 4. Januar 2011

Innere Herausforderung

Nach einigem Zögern will ich nun doch eine langjährige Arbeit von mir hier einstellen. Angesichts vielfältiger von aussen kommenden Impulse und daran anknüpfend sich individuell fortlaufend entwickelnder innerer, mehr oder weniger klar auf Erfahrungen gegründeter Schattierungen zum Thema "Erleuchtung", scheint es mir hilfreich zu sein einen alten Text vor diesem Hintergrund neu zu entschlüsseln.

Die Frage nach dem Ich ist bei genauerem und über längere Zeit anhaltendem, immer wieder neuem inneren Hinschauen, in meinen Augen keineswegs so weit geklärt, dass keine grössere Mühe mehr darauf verwendet werden könnte und müsste, da, so die sich beständig verbreiternde Anschauung hier in gewissen spirituell strebenden Kreisen, wir ja letztendlich ohnehin alle in einer All-Einheit lebten. Wie heisst es doch in vielfältigen Variationen aus dem Munde weiser Menschen: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als der Mensch ein in die bewusste Anschauung einer geistigen Welt.

Vorbei an der Notwendigkeit sich selber immer wieder neu und zunehmend wacher auf den Punkt zu bringen, die dynamisch geistesgegenwärtige Erfahrung eines inneren Auges sich zu vergegenwärtigen, aus dem die Erfahrung eigener Ich-Gegenwart erwachsen kann, erscheinen durch Selbsttäuschung und Sehnsucht hervorgerufene Ausweichmanöver der leichtere Weg in die All-Einheit zu sein. Nur wird in meinen Augen hier möglicherweise leichtfertig eine Geistes-Entwicklung von Jahrtausenden gefährdet, die mit naturwissenschaftlich exakter innerer Beobachtung auf das Ich hin zielt.

Der Weltengrund hat sich in den Menschen hinein ausgegossen, auf dass der Mensch durch sein Ich die Verantwortung für seine Enthüllung in einem zeitgemässen Denken Sorge trage. Dieses Denken aber denkt nicht als "Es", sondern mausert sich vom gedanklichen "Affentanz" zum eigentlichen Denken erst durch das Ich. Ohne Ehrfurcht für das was in mir lebt, kann das Ich nicht gefunden werden. Diese Ehrfurcht aber erwächst aus der Stille des Jetzt.

Johannes 1, 1 – 18 (21) Prolog

Alle schöpferische Freiheit ruht gegründet im Wort und das Offenbar-Werden dieser Vollmacht des Wortes ist in die Verantwortung eines jeden einzelnen Menschen gelegt, auf dass die Einzelnen ihr göttliches Ich entfalten durch die Kraft des Wortes.

Sie war und ist immer bei den Einzelmenschen, denn nichts von dem Gewordenen ist jemals anders als durch das Wort geworden. In ihm wird stets von neuem offenbar die Quelle allen menschlichen Seins und aus dieser Quelle strömt immerdar leuchtende Liebe für die Menschen. Diese Liebesfülle strahlt hinein in die Taträume der Menschen, rufend zu den Menschen mit wachen Sinnen und erflehend ihren Opfer- und Wandlungswillen.

Doch der immer wieder aufs neue im Selbstsinn erstarrende Wille der Menschen baut aus tief gegründeten Ängsten eine Mauer der Finsternis um sich herum, anstatt der Kraft des Lichtes im Wort zu vertrauen, die selbst geschaffenen Finsternisse aktiv zu durchdringen und im innerlichen Annehmen derselben die Kernung des eigenen Ich voranzubringen.

Denn durch das Licht ist und wird das Leben und aus dem Fluss dieses Lebens das lebendige Ich gezeugt. Dieses stets aufs neue sich fort zeugende Ich aber ist das Licht der Menschen. Durch das Du scheint die stille Aufforderung, in den eigenen blinden Flecken den Weg zum Ich-Werden zu sehen und zu eröffnen beständig in die Lebenswelt der Menschen. Doch die mangelnde Wachheit der Menschen lässt den Werde-Ruf, der in unendlicher Güte durch das Du auf stets neue Weise ausgesandt wird, in den Schatten des menschlichen Selbstsinns ersterben.

Es war da Johannes, auch der Täufer genannt, der seinem Schicksal nach ein Zeuge des Lichtes war und – da er in stiller Ergebenheit auch im Angesicht seiner Enthauptung nicht wankte für das Licht zu zeugen – ,ist er seither der verborgene Hüter eines jeden Du, das unter der Verneinung des Werde Rufes des göttlichen Ich als Zeuge für das Licht von den Mitmenschen verkannt wird. Nicht ist das Du und in ihm der es überschattende Geist des Johannes das Licht, nur ein Zeuge für die Offenbarung des göttlichen Lichtes an die Mitmenschen in einem jeden Augenblick ist das Du.

Auf das Licht hinter seinen Worten verweist ein jedes Du mit seinem Sagen zu jeder Zeit und durch all seine Worte, denn es sind niemals nur seine Worte, sondern unscheinbar auch die Worte des göttlichen Ich, das leise die Wege der Wandlung weist. Das göttliche Ich wandert alle Tage an der Seite der Menschen, auf das sie durch sein Licht Zuversicht finden auf den Wegen ihres Werdens.

Nicht war Johannes das Licht und nicht ist das Du das Licht. Das Du ist ein Träger des Lichtes, unscheinbar behütet und barmherzig begleitet von der Kraft des Johannes. Ein Zeuge des Lichtes ist das Du, denn das göttliche Licht ist auf allen Wegen des Du zugegen. An der Seite des Du ist das Licht auf dem Weg in die Erdenwelt und dieses Licht, das unentwegt strömt aus dem Urbild des Menschen wird alle Menschen erleuchten und ihr göttliches Ich erwecken.

Das göttliche Urbild des Menschen ist seit Anbeginn der Zeiten in der Welt, denn alles ist aus dem inneren Hinschauen auf dieses Urbild und der stets aufs Neue sich daran entzündenden Freiheitskraft des Menschen geworden, die Menschen aber haben es bisher noch kaum erkannt und in sich belebt.

Über das Du wendet sich das Licht an die Einzelmenschen und sucht sie in ihren Herzen zu erreichen, doch die Einzelmenschen ziehen es vor ihre Vorstellungen über das Sagen des Du weiter zu pflegen, anstatt sich dem göttlichen Ich zu öffnen.

Diejenigen aber, die sich dem göttlichen Ich innerlich zuwenden, indem sie ihren Selbstsinn opfern und durch innere Wandlung der Kernung ihres Ich den Weg ebnen, haben in den Worten des Du das Evangelium des menschlichen Urbildes vernommen. Sie bereiten hinfort, gesegnet von der Weisheit- und Liebekraft des dem menschlichen Urbild innewohnenden göttlichen Ich, dem Licht den Weg zu den Herzen der Menschen.

Als in die Göttlichkeit ihres eigenen Wesens hinein erwachende Menschen leben sie allein aus der Zuversicht auf das göttliche Ich hin und dürfen, wann immer sie dessen bedürfen, seine Kraft und Gegenwart erleben.

Nicht mehr leben sie im Rausch ihrer Illusionen und in der Fixierung auf ihre Vorstellungen, die von zerfallenden Blutskräften gewirkt, nichts als Dunkelheit um sie her schaffen. Nicht mehr leben sie aus dem leiblichen Begehren, ihren Selbstsinn gegenüber den Worten des Du durchzusetzen, sondern erfahren im Licht des göttlichen Ich, das ihnen durch die Pforte des Du entgegen leuchtet, die Geburt ihres eigenen göttlichen Wesens.

Sie leben aus der Wertschätzung für alles Menschliche und schaffen so dem Wort in ihren Ich-Taten einen irdischen Leib. So folgen sie dem nach, der zu allen Zeiten an der Seite der Menschen geht, dem aus dem Vater und Mutter Göttlichen geborenen Sohn.

Von jeher lebt das göttliche Ich in dieser Weise unter uns, für alle sichtbar, die mit wachen Augen durch die Welt gehen, denn für sie ist die Offenbarung seines Wesens an den Schwellen des Du eine beständige Tatsache. In den Schmerzen der Du-Begegnung geläutert, weitet sich ihr Blick für die Fülle seiner begnadenden Liebe und heilenden Wahrheit.

Auf das göttliche Ich-Urbild richtet sich die weisende Hand des Johannes. Im göttlichen Ich-Urbild ist gegründet das Du, das dich anspricht, wo immer du gehst. So nimmt dich auf deinen Schicksalswegen stets von neuem an seine Hand das Du und verkündet in seinem Sagen an dich, überschattet vom Geist des Johannes, die ewige Gegenwart des göttlichen Ich-Urbildes.

Und es spricht: Vernimm in meinen Worten nicht mich, sondern sieh dich selbst in deinem Spiegelbild, das sich im Schimmer des göttlichen Urbildes, das mich unscheinbar überlagert, sich abbildet. Geh den Weg deinen Sinn zu ändern und du wirst wissen, dass ich nur zu künden habe von dem, der nach mir kommt, der aber mir wie dir durch alle Zeiten vorangeht, um die Fülle seiner Liebe über uns beide auszugiessen.
Die Richtschnur des Gesetzes hat Moses gegeben. Die begnadende Liebe und heilende Wahrheit aber wird den Menschen in dem Masse zu Teil werden, wie sie die abweisende Hand gegenüber dem Sagen des Du zurücknehmen und sich im Schimmer des göttlichen Ich-Urbildes, welches das Du hinter seinem Sagen zu offenbaren berufen ist, sich selbst erkennen.

Wo solches geschieht und durch das erkennende Ich, das Du von der Last seiner Werde-Botschaft frei wird, tritt der Christus aus dem Schatten hervor und spendet seinen Emaus-Segen.
Mit diesem Segen aber ist für den Menschen der Weg offen, in der Schau auf den mütterlich-väterlichen Weltengrund, sein Wesen immer tiefer im göttlichen Ich-Urbild zu gründen.
© Bernhard Albrecht Hartmann 04.01.2011

Montag, 3. Januar 2011

Respekt - die Quelle aktiven Willens und schöpferischen Zugewandt-Sein aus dem Ich

... Wenn mir spirituelles Erwachen so wichtig wird wie das Löschen von Hunger und Durst, kann dann in einem Kommunikationsgeschehen Kritik im Verhältnis zu einem anderen Menschen noch die erste Stelle einnehmen oder sind vielleicht ganz andere in Erscheinung tretende Faktoren ins Blickfeld zu nehmen und zu bearbeiten? Wie ist das mit der ersten Wahrnehmung eines anderen Menschen? Kann ich innerlich eine durchgehende Haltung von Interesse über alle scheinbaren Hindernisse hinweg aufbauen und erhalten oder räume ich einem Ja-Aber gegenüber seinem Sagen Raum ein, bevor ich diesen Menschen mit seinem Sagen wirklich tiefer gehender verstanden habe? Verschleiert mir hier vermeintliches Verstehen nicht oft schneller meine Sinne, als ich dies mitunter wahrhaben kann und will?

Erwachen am anderen Menschen scheint mir eine permanent latente Willensaufforderung zu beinhalten meinen Sinn zu ändern, meine Achtsamkeit primär auf mich selbst und meine eigenen blinden Flecken zu richten, Handlungsleitende Impulse aus der Selbsteinkehr zu beziehen und auf  Wege der Entwicklung zu bringen.

Freiheit ist eine hoch empfindsame keimende Bewegungsgebärde in jedem heute lebenden Menschen. Und diese Bewegungsgebärde abzublocken, sie zu schädigen oder gar ihre Entwicklung dauerhafter zu unterbinden, ist sehr viel einfacher und geschieht aus Unachtsamkeit im Eifer eigener Gedankensetzungen und Handlungsimpulse auf Gesagtes hin oft schneller als ich mir dies vergegenwärtigen kann und mag.

Eine bedachtsame Betrachtung meines alltäglichen Umgangs mit Menschen innerhalb meines sozialen Umfeldes kann mich hingegen auf immer zahlreichere blinde Flecken aufmerksam werden lassen, aus denen mein Denken und Handeln da und dort entspringt. Und wenn ich einmal in dieser Richtung beginne aufmerksamer zu werden, ist es dann nicht naheliegend das eigene Kommunikationsverhalten - und nicht nur das nach aussen gerichtete, sondern auch meine im inneren Vorfeld und Umfeld stattfindenden so genannten stillen inneren Dialoge dazu auf die prozessuale Folgerichtigkeit meiner Gedankenführung hin konsequent zu untersuchen und zu hinterfragen? Sind meine Gedankenverbindungen durchgehend transparent oder gibt es innerhalb dieser Gedankenverbindungen sogenannte Vorstellungseinschüsse, die nicht durch die unmittelbar an dem Menschen gewonnenen Sinneseindrücke, mit dem ich kommuniziere, gedeckt sind?

Leicht ist es einen anderen Menschen offen oder auch sozusagen still innerhalb der eigenen vier Wände, vielleicht sogar noch abgestützt auf mir als gleich gesinnt geltende Mitmenschen, zu kritisieren. Schwer hingegen ist es nachhaltige Entwicklungen aus mir selber heraus anzustossen und solche Entwicklungsansätze, mit der ihnen natürlicherweise anhaftenden Vorläufigkeit von Schritt zu Schritt öffentlich zu präsentieren.

Aus meiner Sicht lassen sich Entwicklungen im Wesentlichen nur aus der Aufarbeitung eigener blinder Flecken einleiten. Über meine Bereitschaft nach eigenen blinden Flecken zu suchen bevor ich einen anderen Menschen kritisiere, kann ich mich mit der Zeit für eine tiefere Ebene im Umgang mit dem W o r t als dem wesentlichen Verständigungsmittel unter den Menschen sensibilisieren. Das Wort, vom eigenen innerlich angenommenen blinden Fleck her betrachtet, führt mich zur Wesensbegegnung und öffnet über diese Wesensbegegnung den Weg zu nachhaltiger Entwicklung. Dieses ist für mich eine Erfahrung.

Die in vielen sozialen Zusammenhängen als immer beschwerlicher wahrgenommene Willensschwäche auf der einen Seite und die zunehmend immer offenkundiger jegliche Sinn gebende Ordnung wild durchbrechenden Willensäusserungen auf der anderen Seite, sie machen heute die Frage nach der selbstregulierenden Handhabung des eigenen Willens zu der schlechterdings brennendsten Frage überhaupt. Aus meiner Sicht und Erfahrung heraus liegt das eigentliche Potential des Willens in den blinden Flecken geborgen, die ein jeder Mensch in sich identifizieren kann, sobald er Selbstverantwortung aus sich heraus zu aktivieren beginnt. Der blinde Fleck als Nadelöhr zum Erwachen.

Die weitere Frage ist nur, wie finde ich m e i n e n Weg blinde Flecken für mich ausfindig machen zu können? Aus meiner Sicht will ich dazu hier nur soviel sagen: Wenn ich überall dort, wo ich glaube etwas kritisieren zu können, ich es mir zur Aufgabe mache den zu kritisierenden Punkten mindestens doppelt so viele positive Argumente entgegen zu setzen, ohne dabei die mir geltenden Kritikpunkte zu vernebeln, ich unweigerlich nach und nach zu meinen blinden Flecken hingeführt werde. Wirklicher Respekt für einen anderen Menschen fusst nämlich auf der Anerkenntnis eigener bisher beschränkter oder toter Blickwinkel im eigenen Denken und Handeln. Ein solchermassen hervorgebrachter Respekt wird, so meine Erfahrung, mit der Zeit immer deutlicher zum zündenden Funken für die aktive Steuerung des eigenen Willens.

"Z e i t e n w e n d e" ... durch freimütige Hinwendung dem dunklen Fleck in mir?!
"F r e i h e i t" .... als Tatsache manifestiert durch die damit verbundene innere Blickumkehrung?!
Die "M y s t e r i e n" ... im Licht des Tages durch mein Erwachen in die Ich-Präsenz am anderen Menschen?!

Die Frage ist, welchen Weg der Erfahrung bin ich bereit zu gehen, welche meiner täglichen Erfahrungen  bin Ich bereit bis auf den blinden Fleck hin auszuloten, den ich in jeder Art von Erfahrung finden kann und über welche Erfahrungen lege ich den Schleier verfremdender Vorstellungsbilder, um mich dadurch unversehens dem diesen Erfahrungen innewohnendem Potential zum Erwachen zu entziehen?

Die Frage ist, kann Dualität abgelöst werden durch einander wahrhaftiges Zugewandt-Sein auf der Basis von wertschätzendem Umgang untereinander? Kann eine nicht - duale Haltung durch mich manifestiert werden, die sich in der seelischen Beobachtung als sturmfest gegenüber Agitationen aus dem eigenen Unbewussten erweist?
Bernhard Albrecht

4 Kommentare:


Gabriela 4. Januar 2011 um 08:09

Danke, dass Sie (du?) wieder schreiben, danke für den Anstoss.
Ob dies auch gilt in der Erziehungsaufgabe? 90% meiner Begegnungen bewegen sich in diesem Kontext. Und ist es möglich, diese blinden Flecken in der Selbsterforschung zu erkennen oder braucht es dazu nicht Hilfe von aussen? Heissen sie blinde Flecken weil ich blind bin dafür? Gute Schritte im heute wünscht Gabriela




Bernhard Albrecht 4. Januar 2011 um 09:26


Liebe Gabriela



Der Weg ist das Ziel. Die blinden Flecken machen sich aus den Tiefen meines Bewusstseins heraus in den meisten Fällen zunächst wie ein fernes Raunen bemerkbar und wandern langsam an die Oberfläche, bis sie dann ins klare Blickfeld hineinwachsen. Sie poltern mir in der Regel nicht von einem Augenblick auf den andern vor meine Füsse. Wenn so ein blinder Fleck dann ins Licht meines Bewusstseins hinein gereift ist, dann ist es Zeit ihn mit Achtsamkeit innerlich zu umfassen. Ich sage mit Achtsamkeit, denn die natürliche Reaktion geht eher in die Richtung sich einen derartigen blinden Flecken schön zu reden. Er aber will beachtet und respektiert werden. Gelingt das, dann kann aus der Anerkenntnis dieses bis an hin blinden Flecken in mir eine Kraft erwachsen in Richtung auf mehr Kreativität im Umgang mit meinen alltäglichen Aufgaben. 


Blinde Flecken sind also nicht gleichsam a u s z u r a d i e r e n aus meinem Bewusstsein und als Schmutzflecken zu entsorgen. Sie wollen vielmehr als Quelle neuer kreativer Kräfte erfasst werden. In der Erziehungsaufgabe gilt Entwicklung vor Perfektion. Wo ich mich schrittweise weiter entwickle, dort gedeihen auch die Kinder, die mir anvertraut sind. Ich darf also Fehler machen. Probleme entstehen erst dann, wenn blinde Flecken über eine längere Zeit hinweg immer wieder verdrängt werden. 



Kinder haben ein grosses Herz im Umgang mit meinen Fehlern und noch nicht bewusst erfassten blinden Flecken. Und manche mühsame Hindernisse, die sie mir in meinem Alltag in den Weg stellen sind weit eher verdeckte Liebesimpulse, Anstösse für meine Weiterentwicklung, als ein Anlass zu einem Ärgernis. Heiterkeit über ein Missgeschick befreit, Lachen weitet den Blick für Lösungsmöglichkeiten. Das weist Du aber ohne Zweifel selber. Bernhard Albrecht




Anonym 4. Januar 2011 um 11:41

Aneinander vorbei reden könnte man leicht, werden die Worte mit unterschiedlicher Bedeutung benutzt. Im Nicht-Dualen tut es sich von alleine - ist alles rund - eins.

Co-kreieren können immer nur zwei. Gehen sie ein Stück des Weges gemeinsam, ist Respekt die beste Voraussetzung, denn beide sind Individuen, sind Unikate, die im Idealfall co-kreieren können. Liebe Grüße Barbara




Bernhard Albrecht 4. Januar 2011 um 13:40

Der dem Du Lauschende redet nicht vorbei. Er vernimmt durch das Sagen des Du mehr oder weniger immer zweierlei. Er vernimmt sich selbst in seiner Endlichkeit, vernimmt das Du, das ihm leise Neulandwege für seine mögliche Entwicklung weist und er nimmt stillen Anteil an den Wegen des Du ohne Wenn und Aber, bricht mit ihm das Brot des Lebens.



Wenn ich will, also achtsam mich auf das Du hin ausrichte, dann kann ich in jeder Rede des Du, auch in einer sozusagen banal alltäglichen Anrede einen blinden Flecken von mir ins Auge nehmen und als Orientierungsimpuls für meinen weiteren Weg aktivieren. Einander zugewandt sprechendes Handeln ist kein Idealfall, sondern eine Frage der Achtsamkeit. Ob und wie weit eine tiefer reichende Achtsamkeit dem Du bereit gestellt wird, das ergibt sich aus der Intensität des Hinein Lauschen in die Worte des Du. Des über die Endlichkeit eigener Vorstellungsbarrieren Hinaus Schreiten angesichts des So Sagen des Du. 



Die erste Begegnung am Du ist zunächst die mit der eigenen Endlichkeit. Bin ich bereit diese meine Endlichkeit innerlich anzunehmen, erst dann öffnet sich mir der Raum tieferen Verständnisses für das Sagen des Du. Da dies immer wieder übersehen wird, bleibt viel von möglicher gegenseitiger Entwicklung fördernder Kommunikation im Idealischen hängen, kommt nicht auf die Füsse verwirklichender Repräsentation durch das Ich und verliert sich im ungünstigen Falle im Kräfte zehrenden Schattenboxen. Das Du als Ich-Quelle für mich, das Du als Türöffner für einander zugewandtes Handeln. Bernhard Albrecht