Dienstag, 30. Juni 2020

Zwischenruf 1/2020

Das Denken ist gerade dadurch kraftvoll und lebendig, dass es zart, tastend und zerbrechlich entsprechende Sinn-Felder öffnen, den Blick daraufhin richten kann und damit Authentizität zum Ausdruck bringt. Es trägt etwas still mit sich "von mach die Augen auf, halte sie auf und weite sie beständig." Querfront Brecheisen Ideologie, in welcher Weise auch immer, gehört nicht zu seinen gestaltenden Intentionen. 

Kollektive Verwirrung entsteht allein dadurch, dass das Denken seinen eigenen Quellgrund für sich noch nicht hat erschliessen können. Wenn Denken und Wille nicht zusammen geführt werden können, dann öffnen sich Türen für Verwirrungen ohne Ende. Denken ist ein Blickorgan, ein Organ mit dem wachsam umzugehen gelernt sein will. Warum wohl standen über dem Eingangsbereich alter Mysterienstätten die Worte: Erkenne Dich selbst? Das "Erkenne Dich selbst" zu behüten war die grösste Sorge von Aristoteles.

Wo das hinführt, wenn das Denken nicht seinem Wesen gemäss gebraucht, wenn es als Steinschleuder missbraucht wird, das können wir in den Twitter Kommentaren von Donald Trump verfolgen. Cäsarenwahn steigt aus dem Grab, mit allen üblen Nebenwirkungen.

© Bernhard Albrecht

https://egoistenblog.blogspot.com/2020/06/folge-der-wut-und-der-gralsritter-ist.html#more

Samstag, 27. Juni 2020

Den Willen dynamisieren vom "Nirgendwo" her(1) - überarbeitet

Was soll das heissen, vom „Nirgendwo“ her … den Willen? Verrückter kann ein Essay seinen Ausgangspunkt  wohl  nicht  setzen  oder? Doch wenn schon verrückt, dann will ich es genau wissen und dieser V e r - r ü c k - t h e i t  vorgängig mutig einmal tiefer ins Auge schauen. Sachlich. Kann das sein einen Tatbestand im „Nirgendwo“ aufsuchen? Bin ich etwa bekloppt so etwas untersuchen zu wollen? Und dann auch noch den Willen, den eigenen, den Willen (den freien?) dynamisieren, vom „Nirgendwo“?
Nirgendwo, Ja genau darum geht es. Die Herausforderung an die eigene Unbefangenheit sich auf bis anhin Ungewohntes einzulassen, etwas ins Auge zu nehmen, das Dir so heute nicht an jeder beliebigen Strassenecke begegnet. Deinen bisherigen Standpunkt zu hinterfragen oder gar festzustellen, dass Dein Selbstverständnis leise zu wackeln beginnt, dass selbst das scheinbar Absurde eines derartigen Ansinnens ein leises Unbehagen bezüglich des in Frage gestellten nicht beiseite zu schieben vermag. Wer weiss? Wenn ich es wirklich wissen will, dann muss ich mich mit der Frage nach dem Nirgendwo vielleicht doch näher befassen als mir eigentlich lieb ist?
Kann es sein, dass der Wille im Nirgendwo ankert? Hmm. Wenn ich ganz ehrlich sein will, dann weis ich gar nicht so recht was Wille eigentlich ist, habe … streng genommen keine so rechte Anschauung, was hier wirklich Sache ist. Da blicke ich in … eher dumpfe Untergründe.
Blicke ich? Wohl nicht wirklich. Wille hat auf ein Erstes hin betrachtet nämlich eher etwas mit mehr oder weniger gezügelten Trieben zu tun, die nur zu gerne tun wonach ihnen gerade der Sinn steht ohne lange zu überlegen? Triebe wissen ihre eigenen Wege zu gehen oder noch unmittelbarer ausgedrückt, sie wissen mich zu überrumpeln, was natürlich zumeist nicht gerne benannt wird, sondern eher ins Abseits möglichst schnellen Vergessens abgedrängt wird. Das Selbstbild könnte sich ansonsten erkälten. Das mit dem Willen ist also jenseits abstrakter begrifflicher Erwägungen eine höchst sensible Angelegenheit.
Wille in der eigenen Erfahrung sich zur Anschauung zu bringen, gleicherweise in seinen triebhaft geprägten Komponenten, wie seinen mentalen (spirituellen) Manifestationen ist alles andere als ein Unternehmen mit garantiert schnell nachfolgendem Erfolg. Warum: Weil Wille auf sich manifestierender Bewegung fusst. Und diese Bewegung zeigt sich im Bilde wie ein wildes, ungebändigtes Ross, das ich erst einmal zu bezähmen habe, bevor ich auf seinen Sattel aufspringen kann.
Aufspringen:
Es bedarf der Unbefangenheit, um zu einer inneren Erfahrung von dem kommen zu können was Wille seiner Essenz nach ist, einer grossen Offenheit, um vermeintlich Bekanntes mit allen Sinnen neu zu erfahren. Vergleichsweise hat Wille erfahren durchaus etwas mit dem ersten Moment beim Schwimmen Lernen zu tun, jenem Moment des totalen Loslassens „von allem“ bisher Erfahrenem und dem sich Einfinden in ein völlig neues Medium. Und doch ist Wille erfahren mehr als das, denn er wird seiner Konsistenz nach nicht nur wässerig erfahren, sondern ebenso feurig wie luftig und auf noch manch andere sehr fein verwobene Weise. Er ist elementar in seinem Charakter, wie immer wieder auch sehr leise und unscheinbar in seinem Ausdruck, so dass er sich dem Anschauen immer und immer wieder entziehen kann. Er ist ein Flüchtling, der nicht so leicht an die Kette gelegt werden kann und nach auch bestürzenden Erfahrungen genauer besehen wirklich beobachtbar und nicht nur begleitend erlebbar sich einfindet eigentlich nur in Ego befreiten Lebenszonen.
In Ego befreiten Lebenszonen:
Weil über Ego-Bezug und Abstraktion hinaus Wille in der Erfahrung im tieferen Sinne auf die Lebensessenz des Ich hinweist. Auf das Ich als Willensgeber.
Ego und Ich:
In dieser Kräftespannung liegt der Wille für die Beobachtung und daraus hervorgehend die eigenständige innere Erfahrung dessen was Wille ist geborgen. Wirklich zu greifen ist der Wille nämlich nur für Menschen, die den Mut aufbringen ihre je eigene Seins-Befindlichkeit mutig unter die Lupe zu nehmen, was heisst, dass sie über letztlich abstrakt verallgemeinernde Aussagen oder ideelles Flanieren zu diesem Problembereich in der Tat konkret werden wollen und  und von daher dazu bereit sind auch schmerzliche Konsequenzen aus eigenen Beobachtungen zu ziehen. Das heisst, ohne Ablenkungsmanöver in Form von Übertragungsversuchen persönlicher Willens-Ausdrucksweisen auf andere Menschen Verantwortung, basierend allein auf der eigenen Person, also Ich geführt zu übernehmen.
Das aber ist unangenehm. Ist es doch so viel einfacher den eigenen Willens-Triebmüll unversehens auf fremden Deponien klammheimlich zu entsorgen, sprich den jeweils anderen Menschen anzugreifen für eigene unter der Decke gehaltene verdeckt Trieb induzierte Willensschwächen oder Willensaussetzer. Was von anderer Seite zu fehlen scheint ist immer leichter festzustellen, als eigenes Verständnisbemühen langanhaltend zu vertiefen und Nicht-Eintreten oder gar Verschlafen von aus Zeiterfordernissen heraus sich abzeichnenden konkreten Forschungsfragen sich einzugestehen.
Zeiterfordernissen begegnen:
Weiss ich was ich will, stehe ich in einer inneren erfahrungsbasierten Verbindung zu meinem Willen, wenn ich in divergierenden sozialen Auseinandersetzungen „meine“ zu wissen, wo der Weg lang geht? Nicht wenige Leser dieses Essays werden hier im Brustton ihrer Überzeugung erwidern, natürlich weiss ich das.
Sicher? Sicher ist in meinen Augen hier nur dies, dass ich eine Vorstellung von dem habe, was in einer bestimmten sozialen Auseinandersetzung zu tun ist. So sachbezogen hingeschaut die weit verbreitete Realität. Doch habe ich unter der Wegleitung einer Vorstellung tatsächlich den durchgängigen Zugriff auf meinen Willen? Dies wäre über eingehende Beobachtungen vorgängig gegen ein allzu schnellläufiges Vermeinen genau zu prüfen, was ein jeder der dies will sich in längeren Versuchsreihen erschliessen kann. Mein inneres Forschen hat jedenfalls ergeben, dass innerhalb der Vorstellung der Wille gebunden und nicht schöpferisch frei ist. Mit der Konsequenz, dass es sehr schwer ist anderen Menschen gegenüber im eigenen Sprachausdruck durchgängig respektvoll zu begegnen.  

                  Ego und Ich - der Wille in sozialen Wirkfeldern.

Eine Zumutung ist das, höre ich hier murmeln. Ja, so erwidere ich, es ist eine grosse Herausforderung mutig wider sich selbst hier sich beobachtend in Stellung zu bringen. Ohne wenn und aber. … Ohne wenn und aber.
Seelische Beobachtung ist kein leicht Ding. Das Ego ist ein grosser Verwandlungskünstler, ein Komödiant, ein Bittsteller voller Selbstmitleid, ein Agitator und noch vieles mehr. Das Ego weis unendlich viel ins Feld zu führen, um das Ich daran zu hindern in den Sattel springen und sich dort auch wider jede Art von Bocksprüngen halten zu können. Und das ist gut so. Denn das Ego hat die Aufgabe den Ich-Keim auf jede nur denkbare Weise rüttelnd und schüttelnd herauszufordern, um dessen Reifung und Erwachen zu befördern. Denn ist das Ego nicht die  Gebärmutter des Ich?
Von daher gesehen ist jegliche soziale Auseinandersetzung wertvoll, wenn sie unter den jeweils Beteiligten zu einem gesteigerten „Erkenne Dich Selbst“ führt, was heisst: Ich bin nach dem intensiven Lesen eines Buches, nach einem Gespräch oder einer konfliktreichen Konfrontation im Nachklang ein Anderer geworden, habe mich durch den anderen Menschen „erinnert“ etwas in mir verwandelt und integriert, was ich so bisher nicht beachtet hatte. Mit anderen Worten, ich bin um ein Mehr zu mir hin erwacht.
Auf diese Weise wird die seelische Beobachtung innerhalb meiner besonderen Lebensumstände zur Fortsetzung meiner vorgeburtlichen Inkarnation. Ganz im Sinne der Aussage von Angelus Silesius: „Wer nicht stirbt bevor er stirbt, der verdirbt.“ Das Ich tritt in den Worten der Menschen, die mir in diesem Leben schicksalsmässig zugeordnet, entgegen. Je mehr ich diese Worte verinnerliche, desto tiefer kann sich mein Ich mit mir verbinden und übernimmt die Lebensführerschaft, wird zum geistesgegenwärtigen Lebensquell des Menschen, der sich auf es einlassen kann und will. Auf den eigenen Seelengrund stirbt der Mensch innerlich zu, der sich um selbstinduzierte Veränderungen innerhalb seines bisherigen Selbstverständnisses bemüht, der sich am Ende also nicht mehr ausweicht und sich etwas vorgaukelt.
Ja höre ich hier einwenden. Wir sagen doch ab dem 3. Lebensjahr alle Ich zu uns. Tun wir, nur tönt dieses Sagen im späteren Leben eher wie ein leises Wispern von innen an unser beobachtendes Herz als ein wirklich kraftvolles Sagen. Wenn wir Ich sagen drücken wir damit zumeist mehrheitlich unsere jeweilige Ego-Befindlichkeit aus. Wir sind eher selten so präsent in unserem Ich wie wir meinen es zu sein. Warum: Weil wir einschneidende Veränderungen vom Grund her fürchten. Fürchten den Boden unter den Füssen zu verlieren, sobald wir uns tatsächlich daran wagen unsere Vorstellungen einer näheren Überprüfung zu unterziehen. Ein mehr oder weniger untereinander verknüpftes kleineres oder grösseres Bündel von Vorstellungen vermittelt uns nämlich unser auf den jeweiligen individuellen Lebensort bezogenes Grund-Lebensgefühl. Und gerade in spirituellen Belangen hat dieses Lebensgefühl nicht selten eine zu meist gut getarnte Hemmschwelle zu überwinden, um den Weg frei zu bekommen, der in die Ich-Verankerung führt.
Autsch, das tut jetzt weh. Gewiss, das muss es auch oder ich weigere mich in eine permanente Wirklichkeitsbildung, sprich fliessende, fort und fort sich umstrukturierende, Veränderung einzutreten. Wirklichkeit ist nämlich nicht per se, sie will tätig hervorgebracht werden. Was ich als so genannte Realität wahrnehme ist das Netzwerk meiner Vorstellungen, die ich mir im Verlauf meines Lebens gebildet habe. Freiheit tatsächlich Schritt um Schritt erlangen zu wollen, heisst sich seinen je individuellen Ängsten zu stellen und Veränderung, sprich Vorstellungsauflösung von dem jeweils individuellen Ort und Zeitaugenblick her zu wagen, den mir das Schicksal anzeigt.
Was wir mitunter gar nicht wahrhaben wollen ist, dass das Schicksal in Zumutungen an die Fenster und Türen unserer inneren Ego-Verschränkungen rüttelt, die wir nicht bereit sind einer näheren Untersuchung zu unterziehen, also auf Veränderung hin zu trimmen. Doch wo keine echten inneren oder äusseren Dialoge stattfinden, keine Gespräche über Gegensätze hinweg mehr gewagt werden, finden aus der Vorgeburt durch unsere Mitmenschen für uns mitgebrachte Karma-Botschaften keine Möglichkeit mehr sich in unser Leben hinein verändernd auswirken zu können. Die individuelle tatsächliche Freiheitsfindung gerät ins Stocken. Mit allen in der heutigen Zeitlage am Horizont aufscheinenden, potenziell gefährdenden Momenten.
Schauen wir darauf hin. Weist uns Corona auf unsere allseitig geschwächten sozialen Atmungsprozesse hin? Will es uns aufrütteln uns wieder vermehrt aufeinander aus- „und“ einatmend zu besinnen und wirklich einzulassen? Haben unsere hartnäckigen Vorstellungsverklebungen möglicherweise mehr Einfluss auf unser Immunsystem, als wir bisher sehen wollten? Wie steht es gesamthaft angeschaut um unsere vielschichtigen leiblichen und psychischen zirkulären Systeme? Können wir weiter in dem Umfang für dieses und jenes Pillen einwerfen oder in Ablenkungen flüchten, wie es sich landauf landab anzeigt? Ist hier vielleicht eine gesamthaft ins Blickfeld zu nehmende erweiterte Verantwortungsbereitschaft ins Auge zu fassen? Die Menschheit an der Schwelle.
An der Schwelle. Doch halt. Was heisst das. Ein Fatum, das gleich einem Damoklesschwert über uns schwebt? Schauen wir genauer hin. Tun wir es unbefangen. Schwelle bildet sich dort wo etwas abbricht. Wo sich also irgendwie ein „Nirgendwo“ auftut, ein „ich weis, dass ich nicht weis,“ wie es einst Sokrates mit seiner Art zu fragen seinen Schülern zumutete. Schwelle. Ein durch die Verweigerung des Vorwärtsgehens entstehende Staubildung. Schwelle, eine entschiedene Aufforderung die weitere Entwicklung vermehrt in die eigenen Hände zu nehmen, mutig. Selbstführung und Selbstermächtigung anstatt Hinterherlaufen wem auch immer, ohne die Selbst-Denkerkraft aus jeder Lebenslage heraus beständig weiter zu entwickeln.
Wille, das grosse Wagnis. Der Drache erhebt sich vielgestaltig aus unseren vielfach von unscheinbaren Triebkräften zusammen gehaltenen Gedankenblöcken, unseren je eigenen Lebensnarrativen, um zwischen unsere Füsse hinein grätschend uns am Vorwärtsgehen zu hindern. Wer oder was ist der Drache? Eine unzeitgemässes mythologisches Bild oder eine auch heute reale Kraftgestalt, die es gilt in der seelischen Beobachtung individuell zu verifizieren. Was ist Wille? Was heisst es ganz real ein Drachenreiter sein? (Könnte es bedeuten mit dem Speer in der Hand in durchgehender Aufmerksamkeit auf dem Drachen zu stehen?) Wie weit ist unser Wille wirklich Ich geführt? Wie weitgehend haben wir ein Bewusstsein von unseren Illusionen im konkreten individuellen Lebensmoment? Im Hier und Jetzt dieses Augenblicks während Sie dieses Essay lesen? Ich will hier für mich kein Blatt vor den Mund nehmen.
Wer ein Bewusstsein von seinen Illusionen hat, der spricht nicht mehr nur von Schwelle, beruft sich auf ein „Meister-Sagen,“ er weis seine Füsse über diese Schwelle zu bewegen, sein Ich durch schmerzliche Lebenswandlungen zu gebären und im Hier und Jetzt fliessend zu verankern. Er taucht aus dem in unserer Zeit dynamischen „Jordan-Fluss“ als ein Neuer auf, um hinfort seiner wachsenden Ich-Auferstehung zuzuwandern. Mutig.

© Bernhard Albrecht Hartmann 27.06.2020

(1) Der hier verwendete Begriff "Nirgendwo" bezieht sich in ganz eigener Anwendung auf Thomas     Nagel und sein Buch. Der Blick von Nirgendwo. Suhrkamp TB 2012.
Siehe auch: https://ich-quelle.blogspot.com/2016/07/einige-anmerkungen-zu-thomas-nagel-der.html