Freitag, 22. September 2023

Die oft übersehene Frage neben der "GOTT IST TOT" Aussage: "Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" (1)

Diese in der finstersten Stunde des Lebens - unmittelbar vor dem Tod gestellte Frage - was bedeutet sie existentiell für den Menschen heute? Aus der Sicht von Jesus am Kreuz ist Gott nicht tot, er fragt ihn vielmehr: „Warum hast Du mich verlassen?“ Im dunkelsten Augenblick des Lebens die Frage: Warum hast du mich verlassen? Was drückt sich darin menschlich aus. 

Losgelöst aus dem Bisher und GANZ ALLEINE AUF SICH GESTELLT die Frage „Warum?“ Losgelöst von Allem im Nichts stehend die Frage „Warum?“ 

Verlassen und allein auf sich gestellt - in Stille eingebettet - die Frage ohne Antwort. 

Verlassen, aufrecht, keine Antwort. 

Keine Antwort - die Herausforderung im Nichts die Antwort ganz allein auf sich gestellt selbständig finden zu müssen? 

Im Angesicht des Todes in die Freiheit entlassen selbst zu entscheiden, was zu tun ist? 

Verlassen ohne Wegweisung und damit aufgefordert die Verantwortung zu übernehmen für das, was nunmehr zu tun ist?

Der Mensch Jesus öffnet über diese Aussage die mögliche Anteilnahme und damit den von Innen her existentiell denkenden Nachvollzug seiner ausserordentlichen „ERFAHRUNG.“ Der Erfahrung ganz und gar ALLEIN AUF SICH GESTELLT ZU SEIN. Eine Erfahrung an die von unserer intellektuellen Grundhaltung her heute nicht so ohne weiteres unmittelbar herangetreten werde kann. Denn unsere Erlebnisweise ist in der Regel zu sehr abstrakt denkend kontaminiert, sodass eine auch nur annähernde Erfahrung dieser Art nicht so einfach zu machen ist. Es bedeutet in meinen Augen einen längeren bis langen Weg  der Auseinandersetzung mit seinen inneren Denk- und Erlebensabläufen, ein ernstes Ringen um die DURCHGEHENDE REDLICHKEIT innerhalb eigener Denk- wie gleicherweise Erlebens- Prozessabläufe.

Verlassen sein von Gott, was bedeutet dies also für mein Denken, wenn Gott für mich nicht mehr denkbar und noch weniger erlebbar ist. Was bedeutet es für die Art und Weise wie ich mit meinem Denken innerlich umgehe? Impliziert dies nicht die fragende Auseinandersetzung damit, was ist das Denken über abstrakte Annahmen (2) hinaus, was ist das Denken an sich. Gibt es eine Erfahrungsebene für das Denken jenseits des abstrakten Umgangs mit ihm?

Sokrates spricht zu seiner Zeit indirekt viel über das Loslassen, das stets von neuem zu übende fragende Loslassen, das dem „ich weiss, dass ich nicht weiss“ tiefer betrachtet eigentlich zugrunde liegt. Loslassen und die Befindlichkeit des Verlassen-Sein korrespondieren auf diesem inneren Erlebnisfeld wechselseitig in individuell unterschiedlich aufeinander bezogenen Dynamiken miteinander.  Sie stellen gewissermassen die seelischen Gärsubstanzen auf dem sich bildenden Bewusstseinsfeld einer tatsächlichen ERFAHRUNG von dem was Denken an sich ist dar. Mit ihnen ist die stets präsente Herausforderung Klarheit zu schaffen wie gleichzeitig das permanente Gefahrenmoment für Umstände verbunden, die mir den Grund unter meinen Füssen solange immer wieder von neuem wegziehen, bis ich einen sich stabilisierenden Einsitz innerhalb mich innerlich tragender Bewegungsgeschehnisse einnehmen kann, der mich meine Denkvorgänge aufmerksam führen lässt.

Wenn ich auf Sokrates mit den Bewusstseinsaugen von heute hinschaue, dann verhält er sich gegenüber seinen Schülern wie ein Tanzlehrer. Er zieht ihnen den Boden immer wieder wie unter ihren Füssen weg und ermuntert sie zu einem weiter und tiefer fragenden inneren Bewegen der damit sich mehr auf den Grund des Tatsächlichen hin sich ausrichtenden Fragen. Sokrates gibt seinen Schülern die Gelegenheit ihren Weg auf das hin zu finden, was der letzte Grund alles Fragens ist, was das Denken an sich ist. Sokrates ist damit ein Vorläufer im Heraufführen der Individualität. Der Geburt der Individualität und mit ihr einhergehend der tatsächlichen Erfahrung von Freiheit. Denn im Standhalten gegenüber der Furcht gegenüber dem totalen Verlassen-Sein angesichts der Frage, dass Gott tot sein könnte, geht etwas von der Substanz des Gott-Schöpferischen auf den Menschen über. Seine schöpferische Mitverantwortung für den gesamtschöpferischen Weltprozess erwacht.

Die Gott ist tot Aussage ist von daher eine existentiell letztlich nicht weiter führende Aussage, eine Aussage die sich in abstrakten Denkräumen verheddert und am Ende den Menschen dort stranden lässt. Die ausserordentliche Verlassenheit-Erfahrung des Jesus weisst hingegen urbildlich auf die zu erringende grundlegend menschliche Erfahrung hin was das Denken an sich ist und welche Verantwortung dem Menschen zukommt wenn er über den abstrakten Horizont bisherigen formgebundenen Denkens hinaus schreitet und sich fragend in dem einfindet, was das Denken an sich ist. Der Quell-Brunnen des Ich.

© Bernhard Albrecht Hartmann, 22.09.2023

(1)  https://www.bibel-online.net/text/luther_1912/matthaeus/27/ Vers 46    

       https://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/markus/15/                              Vers 34

(2)  https://ich-quelle.blogspot.com/2021/02/aufrecht-stehen-im-n-ich-ts-2.html 

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