Dienstag, 24. April 2018

Nachlese zur Generalversammlung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft 3

Was im Zuge der diesjährigen Generalversammlung als Sturmlaufen - wie wiederholt nach aussen hin verlautbart wurde - von sogenannten Hardlinern wider den Vorstand und die Generalsekretäre am Goetheanum seinen Ausdruck fand, scheint mir tiefer betrachtet eine mehr als grobe Missdeutung wiederzugeben. Sturm ja, aber ein Zeiten-Sturm im Hinblick auf mehr Transparenz, nicht im eigentlichen Sinne ein Sturm gegen die beiden abgewählten Herren des Vorstandes, für deren Arbeit durchaus die ein oder anderen sachlich begründbaren Argumente und darüber hinaus auch Sympathien vorhanden waren.

Ich will mit der Einschätzung der Sachlage sogar soweit gehen, dass diese Generalversammlung nicht jenes Ende hätte nehmen müssen, wenn nicht derartig viele Transparenz-Mängel im Vorfeld und bei der Generalversammlung selbst zu Tage getreten wären. So ist die Abwahl letztlich als quasi Kollateralschaden eines zeitgeistigen Sturmlaufs zu sehen. Ein Umsturzversuch gewisser Hardliner, wie die Presse vollmundig meinte schreiben zu können, hat jedenfalls nicht stattgefunden.

Es ist heute einfach nicht mehr möglich an eine grössere Mitgliedschaft so „nichts sagend“ heranzutreten wie geschehen und das anscheinend selber gar nicht zu bemerken. Das Sensorium der Mitglieder für die Qualität des Gesagten in dieser Weise zu unterschätzen zeugt - und mir ist bewusst, dass dies hart klingt - einfach von Weltfremdheit und ist schlichtweg unprofessionell. Im Gespräch mit mir fremden Mitgliedern habe ich jedenfalls mehrfach ungefragt Rückmeldungen zu hören bekommen, die genau in diese Richtung deuteten.

Die nachhaltig wahrzunehmende immer wieder neu sich manifestierende Augenhöhe mit den Mitgliedern ist in dieser Gesellschaft verloren gegangen. Und dies nicht erst im Zuge dieser Generalversammlung, sondern schleichend schon sehr viel länger. Von einem gewissen Gesichtspunkt aus ist sie zeitgemäss auch nicht wirklich entwickelt worden. Die Abwahl war demgemäss ein Alarmzeichen, ein sehr dringliches Alarmzeichen sich über den Zustand dieser Gesellschaft deutlich anders und tiefer reichend Klarheit zu verschaffen. Mit anderen Worten sich Rechenschaft zu geben, was es eigentlich heisst in heutiger Zeit Vorstand einer Gesellschaft mit einer geistigen Aufgabe zu sein und dieses Amt auch spirituell aktiv ausfüllen zu wollen.

In der Einführung zur Aussprache fiel ein Satz, der mich aufhorchen liess. Das Wort vor der Generalversammlung zu ergreifen bedeute einen besonderen Ort zu betreten. In welcher Weise dies ein besonderer Ort sei wurde allerdings nicht gesagt. So will ich nach beinahe vierzig Jahren des Schweigens aus eigenem Erfahren heute etwas dazu sagen. In diesen Saal hinein zu sprechen kann als ein Herantreten an die Schwelle zum Geistigen hin erfahren werden. Wie das? In der Weise, dass, wie Rudolf Steiner das für den grundständig zu erneuernden Gemeinschaftskörper einer zukünftig geistesgegenwärtigen Anthroposophischen Gesellschaft nach der Weihnachtstagung benannt hat, alle eigenen Vorstellungen im Sprechen von diesem Ort her zu löschen seien. Ein innerer Feuerprozess müsse im Sprechen  gewissermassen als Oberton mitschwingen können. Auf eine andere Weise könne in tatsächlicher Repräsentanz der anthroposophischen Bewegung hier nicht gesprochen werden.

So streng hat das nach meinem in langen Jahren erarbeiteten Verständnis Rudolf Steiner benannt. Und dem Vorstand wie den Generalsekretären obliegt es dafür Zeugnis abzugeben, dass dieser innere Vorgang im Sprechen zu, wie noch mehr im Antworten auf Mitgliederfragen qualitativ wenigsten ansatzweise beispielhaft wirksam wird. Das ist das eigentlich spirituelle Geheimnis von Augenhöhe, ist die Kraft, die aus tatsächlicher Augenhöhe hervorgehen kann, die anthroposophisches Leben hervorbringt.

Mit anderen Worten: Das Sprechen vor der Generalversammlung kommt einem Gang nach Emaus gleich. Wo hier sprechend die Worte nicht deutlich bemüht so geformt werden, dass „der Dritte“ leise raumgreifend anwesend werden kann fehlt dieser Gesellschaft genau diejenige Dynamik in ihrer eigentätig zu entwickelnden Gestaltungskraft, die sie vor der heutigen Welt berechtigterweise als zeitgerecht modern dastehen lässt. Und eben hier beginnt die stets sich erneuernde Schwierigkeit des Stehens dieser Gesellschaft in Augenhöhe vor der Welt, bzw. des Stehens des Einzelnen in Augenhöhe „vor sich selbst.“ Das Stehen in unerschrockener Augenhöhe  vor sich selbst bereitet nämlich den Zugang für ein begleitend Inspiriert werden Können durch den Dritten im Dialog mit dem anderen Menschen, bzw. einer grösseren Gemeinschaft von Menschen innerlich vor.

Es geht also bei einem Sprechen von diesem Ort um das aufrechte Stehen im Ich, um ein aktiv unmittelbares Bezeugen seiner Kraft in innerem Gleichgewicht. Das wiederum kann Geistesgegenwart der nicht unbedingt einfachen Art herausfordern. Die Möglichkeiten hier die Augenhöhe zu sich selbst wie zur Gemeinschaft der Anzusprechenden zu verlieren sind vielfältig, insbesondere in einem freigegebenen Dialog zwischen Sprecher von vorne und Sprechenden von der Saalseite her. Es geht grundständig ans Eingemachte des Ego in der eigenen Seele der Menschen auf beiden Seiten während eines derartigen Dialogprozesses. Darin liegt aber auch die stets neue Bewährung einer spirituell ausgerichteten Gemeinschaft, inwieweit sie sich entwickelnd vorankommt, bzw. sie durch mangelnde Geistesgegenwart in die Stagnation abgedrängt wird.

Das Stehen im Ich ist über ein ideelles Anschauen desselben hinaus und jenseits verbaler, auch anthroposophischer Abstraktionen des Verstandesdenkens vom Grund her nämlich mit dem Erfahren eigener seelischer Nacktheit, die auch nur über eine kleinere Wegstrecke auszuhalten einigen Mut erfordert, verbunden. Die Winkelzüge des Ego diese Nacktheit bei sich selber zu verbergen, bzw. die Möglichkeit bei Dialogpartnern den Sturz in diese Nacktheit zu übersehen sind gross, geht es doch um sehr subtile seelische Vorgänge, die erst einer reiferen seelischen Beobachtung zugänglich und von daher handhabbar werden. Es ist eben etwas ganz anderes vom Ich zu reden oder dieses zu leben und aus dieser Haltung heraus ein anderes keimenden Ich zu schützen. Der Schutz des Ich aber ist die grösste Aufgabe eines spirituell wirkenden Vorstandes am Goetheanum.

Auch hier ist im besinnend Nachgang dieser Generalversammlung selbstklärend für „alle Beteiligten“ in freier Weise zu prüfen welche Missgeschicke diesbezüglich geschehen sind. Es geht also heute um Missgeschicke, die sich allzu leicht unbemerkt einschleichen, wenn die Zurückdrängung des Leibes, von der Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit schreibt nicht gelingt. Möglicherweise deshalb nicht gelingen konnte, weil dieses Forschungsfeld, das bis heute in meinen Augen zu wenig praktisch nachvollzogen, bzw. in seiner ganzen Tragweite forschend hinterfragt und seiner Bedeutung gemäss weiter geführt wurde. Mit der Folge, dass die Entflechtung von Astralleib und Ätherleib, die an die Zurückdrängung des Leibes eng gekoppelt ist im sozialen Raum der Anthroposophischen Gesellschaft zu wenig als heilende Kraft dualer Konfliktfelder erkannt und demgemäss entwickelt werden konnte.

Von der Seite der inneren Bewegung der Zurückdrängung des Leibes her betrachtet kann innerhalb sozialer Prozesse sogar gesagt werden, dass das Gelingen bzw. Nichtgelingen der Zurückdrängung des Leibes nicht wenig Bedeutung dafür hat inwieweit die Anthroposophische Bewegung verduftet oder eine Möglichkeit findet zu einer zeitgerechten Metamorphose im sozialen Raum hin zu finden. Als selbstverständlich bestehend kann sie in meinen Augen jedenfalls nicht betrachtet werden, ist sie doch an die repräsentative Ichtätigkeit von Menschen gebunden. An eine Ichtätigkeit, die auch den Drachen in seine Schranken zu weisen vermag, der in der Bemühung um die Zurückdrängung des Leibes ebenfalls innerlich sein Unwesen zeigen kann. Der Einzelne, der im grossen Goetheanum Saal sprechend vor die Mitglieder dieser Gesellschaft tritt wird auf die eine oder andere Weise immer auch auf den werdende Leib der Anthroposophischen Bewegung einwirken, je nach dem wie wach er von seinem Ich her ist. Der einführende Sprecher zur Aussprache der diesjährigen Generalversammlung hatte also allen Grund auf diesen besonderen Ort hinzuweisen.

© Bernhard Albrecht Hartmann, 24.04.2018

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